Der Spiegel - 26.10.2019

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rote Faden ihrer Selbstdarstellung, die unaufhörlich an
sich arbeitet, um ein besserer Mensch zu werden – und
die das Leben genießt. Keine unbedingt harmlose Kombi-
nation: Sie würde mit vielem schon fertig, räumte sie
im Gespräch mit dem Interviewer ein. Aber was sei ein
Leben wert, wenn es nur daraus bestehe?
Bei so einem Statement liegen die königstreuen Nerven
natürlich blank. Das Publikum hat bei den Queen-Kin-
dern und deren Partnern so ziemlich alles aufmerksam
miterlebt, was die moderne Welt an Krisen bereithält:
Ehebruch und Scheidungen, frivole Telefonmitschnitte,
royale Füße küssende Finanzberater, traurige Geständ -
nisse und schreckliche Hüte. Lady Diana, die legendäre
»Prinzessin der Herzen«, riss in ihrem Selbstverwirkli-
chungstaumel fast die britische Monarchie mit in den
Abgrund. Ihre Wünsche nach wahrer Liebe, Urlaub am
Mittelmeer und entspannt aufwachsenden Kindern waren
zwar von exzessiver Durchschnittlichkeit, sorgten im
Kensington Palace aber für Bulimieattacken, angebliche
Selbstmordversuche und Affären und führten schließlich,
nach der Scheidung, zu einer Liaison mit dem ägypti-
schen Playboy Dodi Al-Fayed. Dianas tödlicher Unfall
1997 war das tragische Ende einer jahrelangen, melodra-
matischen Soap mit dem Titel »Zeige deine Wunde« –
die in Großbritannien dazu führte, dass das Prinzip »stiff
upper lip« zugunsten öffentlicher Trauer von Millionen
Menschen vorübergehend in Vergessenheit geriet.
Die Queen allerdings hielt daran fest, was ihre Beliebtheit
über Jahre empfindlich schmälerte.


AGENCY PEOPLE IMAGE USA
Ehepaar Meghan und Harry in Südafrika

Lady Diana war wie ihre Schwiegertochter Meghan,
ein »hugger«, ein Umarmung spendender und suchen-
der Mensch. Doch während William mit Gefühlsäuße-
rungen sparsam ist, hat Harry nicht nur durch eine tur -
bulente Adoleszenz (Alkoholabusus, Naziverkleidung
und Nacktfotos inklusive), sondern auch mit einer offen -
siven Geständniskultur das emotionale Erbe seiner
Mutter angetreten. Er sprach über seine Depressionen
und über sein Gefangensein »im Goldfischglas« der
Monarchie, und immer, wenn er den Tod seiner Mutter
erwähnt, ist das Bild des Zwölfjährigen, der unter Mil -
lionen stummer Zeugen dem Sarg seiner Mutter durch
London folgt, präsent.
Dieser offensichtlichen Traumatisierung durch
Dianas gewaltsamen Tod, vermutlich aber auch durch
ihr Leben als gehetzter Liebling der Yellow Press,
be gegnet Harry mit einer Doppelstrategie: Er zeigt sich
als verwundbar, aber er wehrt sich auch. Meghan und
er verklagten drei britische Medienkonzerne, die ver -
suchen, ebenjenes Glück zu zerlegen, das sie zunächst
gefeiert haben.

A


nders als bei Diana haben diese Konzerne es nun
mit erfahrenen Gegnern zu tun. Harry hat deren
Macht nun über Jahre erlitten, Meghan ist selbst
eine versierte Agentin der Populärkultur. Der Kon-
flikt wird, das ist die bittere Pointe, von der Yellow Press
als Beklagter, als Angreifer wie als vermeintlicher Modera-
tor geführt. Doch auch die britische Bevölkerung, soweit
sie sich vom nächsten Akt des Windsor-Dramas erschüttern
lässt, hat an der Tragödin Diana erlebt, wie zerstörerisch
jene Medien agieren. Und die Jugend hat durch die so -
zialen Netzwerke längst eigene widersprüchliche Erfah -
rungen gemacht mit der Selbstdarstellung vor Publikum,
mit der Abgründigkeit von Sichtbarkeit und Verletzlich-
keit. Womöglich wird sich eine relevante Menge von
Zuschauern der Lust der Demontage weniger naiv hinge-
ben als zuvor.
Und vermutlich ist eine wirkliche Krise der Monarchie
auch vom Publikum gar nicht gewünscht. In der zer -
klüfteten britischen Gesellschaft stellt bereits das absurde
Theater um den Brexit eine existenzielle Belastungsprobe
mit ungewissem Ausgang dar. Die psychische Entlas -
tungsfunktion der britischen Monarchie wird längst auch
von den meisten ihrer Gegner anerkannt; das Haus Wind-
sor ist gewissermaßen das Haustier Großbritanniens.
So wie man in der Familie über die Katze redet – ist sie
gut aufgelegt oder verstört, warum lässt sie sich nicht
streicheln, sieht sie nicht entzückend aus? –, so stiftet die
königliche Familie einen Widerschein von Gemeinschafts-
gefühl in Zeiten, da die nationale Identität fraglich ist
wie niemals zuvor. Nicht nur durch seine überzeitliche
schiere Existenz, sondern auch durch seine chronisch wie-
derkehrenden Krisen.
Das Zauberwort »authentisch«, das Harry wie Meghan
gern gebrauchen, ist einerseits, in Kameras und Mikro -
fone gesprochen, ein Widersinn. Aber zugleich ist es ein
zeit gemäßes Problem. Authentisch, irgendwie »sie
selbst«, das wollen alle sein. Der regierende Edward VIII.
hat 1936 für seine authentische Liebe zu Wallis Simpson
die Königswürde niedergelegt; das war der erste Akt des
modernen Windsor-Dramas. Wir sind nun, vier Windsor-
Generationen später, immer noch Zuschauer in dem -
selben Stück. Dessen Ausgang, eine vergleichsweise gute
Nachricht, durchaus offen ist. 
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