Der Spiegel - 26.10.2019

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ie Queen schickte aus England die Sintflut herüber,
was eine nette Geste ist. Die kleine, mit dunklem Stift
gezeichnete Vision des Weltuntergangs hängt nun im
Louvre, im letzten Raum einer Ausstellung zu Ehren von
Leonardo da Vinci.
Bereits seit Monaten war spekuliert worden, was wohl
alles aufgeboten werden würde in der größten Leonardo-
Schau aller Zeiten – und was nicht. Das Pariser Museum
löste mit seinen Bitten um Leihgaben diplomatische und an-
dere Krisen aus. Italien, Geburtsland des Genies, lehnte den
Transport einer Verkündigungsszene ab, die Zeichnung des
»Vitruvianischen Mannes« wurde sozusagen in letzter Minute
von einem Gericht auf die Reise geschickt.
Aufregung herrschte auch wegen eines Ölbilds, auf dem
Jesus als Retter der Welt zu sehen ist, als »Salvator Mundi«.
2017 war es für 450 Millionen Dollar versteigert worden, an-
geblich in einen der Ölstaaten, vielleicht für einen saudischen
Prinzen. Der Preis heizte eine für den Käufer unschöne De-
batte an: In der Frage, ob Leonardo überhaupt der Urheber
des Werkes oder wenigstens einzelner Partien ist, sind die
Experten heute mehr denn je zerstritten. Der Louvre wollte
es trotzdem in seine Schau integrieren und nahm über eine
Mittelsperson Kontakt zum Eigentümer auf. Bei einer auch
wegen dieser Angelegenheit völlig überfüllten Pressever -

anstaltung am Dienstag und noch bei der Eröffnung am Don-
nerstag war das Gemälde allerdings nicht da.
Über das kleine Blatt aus der Kollektion der Königin von
England dagegen wurde nie groß gesprochen. Dabei wäre
die Ausstellung ohne diese Skizze wirklich ärmer: Häuser ei-
ner Stadt, miniaturhaft klein, werden von einem apokalypti-
schen Strudel erdrückt, ertränkt. Dass die Kuratoren diese
geflutete Zivilisation als eine Art Schlusspunkt setzen, ist ein
starkes Statement. Leonardo starb vor 500 Jahren, aber seine
Warnung wirkt im jetzigen Jubiläumsjahr erschreckend ak-
tuell. Fast hat man den Eindruck, schon er habe sich für »Fri-
days for Future« starkmachen wollen.
Zum Glück geht es nach diesem beunruhigenden Finale
doch noch weiter. Wer will, lässt sich in einem Kabinett eine
Virtual-Reality-Brille anpassen – und sitzt einer Mona Lisa
gegenüber, die ihr Gemälde verlassen hat. Sie bewegt sich,
zwinkert gelegentlich. Nach einigen Minuten taucht ein von
Leonardo entworfenes Fluggerät auf: In diesem Himmelsboot
scheint man über Berggipfel zu gleiten, wie sie der Künstler
gern malte. Ihm gelang es ja wie keinem anderen Künstler
vor ihm, Menschen, Tiere und Pflanzen lebendig wirken zu
lassen. Jede seiner Skizzen, jedes seiner Bilder ist eine Hom-
mage an die Schöpferkraft der Natur, ans Natürliche. Damals,
um 1500, müssen seine Darstellungen wie eine neue virtuelle
Realität erschienen sein. Noch mehr: Sie dürften ihre Be-
trachter überwältigt haben.
Werden die Kuratoren diesem Renaissancekünstler aber
wirklich gerecht? Reicht eine Jahrhundertausstellung wie die
im Louvre für einen Jahrtausendkünstler? Diese Ausnahme-
gestalt hinterließ andererseits nur wenige Ölgemälde, laut
den Fachleuten »etwa 15«, und von denen ist eben nur eine
Auswahl zu sehen. Dennoch sind noch nie so viele Werke
Leonardo da Vincis, seines Lehrmeisters, seiner Mitarbeiter
zusammengeführt worden, alles in allem mehr als hundert.
Seine Zeichnungen veranschaulichen, dass er sich nie wirk-
lich zufriedengab. Auf Papier erprobte er die Wirkung kleins-
ter Details. Seine Gehilfen trainierten ihre Fähigkeiten, indem
sie wiederum seine Gemälde kopierten, seine Entwürfe auf-
griffen. Und offensichtlich setzte Leonardo sich irgendwann
mit dem Motiv des Erlösers auseinander. Das weiß man, viel
mehr aber auch nicht. Seriöserweise steht man dazu.
In der Schau befindet sich sogar eine Version eines »Salva-
tor Mundi«, auch sie wird seiner Werkstatt zugeschrieben,
wurde von seinen Leuten geschaffen. Weil es aber nicht die
450-Millionen-Dollar-Variante ist, hielten sich viele Journalis -
ten bei der Vorbesichtigung am Dienstag nicht lange davor auf.
Dass Malergesellen den Stil, sogar die Kompositionen ihrer
Meister nachahmten, war üblich. Aber nicht einmal die ta-
lentiertesten Schüler konnten mit diesem Lehrer konkurrie-
ren. Man ahnt, welch schwindelerregend hoher Maßstab sei-
ne Kunst war.
Genau das will der Louvre festschreiben, nämlich dass
Leonardo zuerst und zuletzt ein Maler war. Natürlich wird
veranschaulicht, dass er sich ebenso als Wissenschaftler und
Erfinder betätigte und auch als solcher seiner Epoche voraus
war. Aber alles Forschen diente – das legen die Kuratoren
nahe – der Perfektionierung seiner Kunst, dessen, was er
zum Ausdruck bringen wollte. Er allein war in der Lage, eine
Dame aus dem Umfeld des Mailänder Hofes durch eine ge-
heimnisvolle Gelassenheit zu adeln. Nun wirkt es, als blickte
sie über den Trubel im Ausstellungssaal einfach hinweg.
Im Grunde ist er selbst der Salvator, ein Erlöser, er rettete
die Malerei. Lange wurde die als ein Handwerk unter vielen
betrachtet, er trug wie kein anderer zu ihrer Aufwertung bei.
Frankreich, wo er seine letzten Jahre verbrachte, feiert ihn
als eine Art Künstlerjesus – und der zu werden war für Leo-
nardo nun einmal harte Arbeit.Ulrike Knöfel

Gott in Frankreich


AusstellungskritikDer Louvre
erklärt den Superstar Leonardo da Vinci
zum Erlöser der Malerei.

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019

Kultur

THIBAULT CAMUS / AP
Leonardo-Gemälde »La Belle Ferronière«, 1490/97
Geheimnisvolle Gelassenheit
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