Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
zum Dienstwagen nahm. Oettinger ahnt
Böses. Der EU-Kommissar für Haushalt
und Personal sieht eine Abhängigkeit
Europas und seiner Auto industrie von den
IT-Konzernen in Amerika und Asien vor
sich. Bei den klassischen Bauteilen, sagt er,
bei Stoßdämpfern, Kotflügeln, bei Sitzen
oder Beleuchtungstechnik seien die deut-
schen Konzerne führend, nicht jedoch
beim Sammeln und Auswerten großer Da-
tenmengen. »Autobauer wie Mercedes,
Audi oder BMW könnten zu Zulieferern
für Datenkonzerne wie Google oder Mo-
bilitätsdienstleister wie Uber degradiert
werden«, fürchtet Oettinger. »Die große
Gefahr ist, dass die Autokonzerne die Ho-
heit über die Daten und damit die Schnitt-
stelle zum Kunden verlieren. Wer keine
Daten hat, ist machtlos.«
Zugleich hält es Oettinger für falsch, alle
Kraft auf die Elektromobilität zu konzen-
trieren. Mit ihren E-Offensiven reagierten
die Konzerne auf den Druck der Politik –
aber die setze die Anreize falsch. Die EU-
Regulierung erlaube es den Herstellern, ihre
CO 2 -Bilanzen schönzurechnen: Bei der Be-
rechnung ihres Flottenausstoßes dürften sie
ein E-Fahrzeug mit null Gramm CO 2 an -
setzen, obwohl allein bei der Herstellung

mehrere Tonnen des schädlichen Gases frei-
gesetzt würden. »Elektrofahrzeuge als kli-
maneutral zu betrachten ist nicht immer
richtig«, sagt Oettinger. »Es kommt ja auch
drauf an, wie der Strom hergestellt wird,
sind es erneuerbare Energien oder nicht.«
Selbst wenn die Kundschaft künftig ver-
mehrt auf E-Autos umsteigt, müssen das
noch lange keine deutschen Modelle sein.
Ein Autotester der französischen Tageszei-
tung »Le Monde« staunte im Mai über Kauf-
preise von 82 600 Euro für den Audi e-tron
und 78 950 Euro für den Mercedes EQC.
Schöne, komfortable Fahrzeuge, gewiss, mit
um die 400 Kilometern Reichweite und
300 Kilowatt Leistung, schrieb der Kollege,
aber in der Steuerung doch »weniger aus-
gereift« als vergleichbare Tesla-Modelle.
Vor allem fehle beiden Autos ein Schuss Ver-
wegenheit: Sie wirkten wie »elektrifizierte
konventionelle Fahrzeuge und nicht wie
eine neue Generation von Automobilen«.

Mit Revolutionen, ob politisch oder tech-
nologisch,tun sich die Deutschen von
jeher schwer. Und so ist auch das Aus des
Verbrenners noch lange nicht im Bewusst-
sein angekommen. Die Industrie baut wei-
ter schwere SUV mit Benzin- und Diesel-

motor, als hätte es die Klimadebatte nie ge-
geben. Fuhren 2010 35 Millionen sportliche
Geländewagen über die Straßen der Erde,
sind es heute 200 Millionen. Laut einem
Bericht der International Energy Agency
macht die Autoindustrie damit jeglichen
technischen Fortschritt wieder zunichte. Es
sind Rückzugsgefechte, die jedoch den
Trend nicht mehr umkehren können.
Der Motor, der Stolz der deutschen Au-
tobauer, der werthaltigste Teil ihrer Auto-
mobile, wird vor ihren Augen gerade ab-
geschafft. Das tut weh und hat gravierende
Folgen weit über große Marken wie Daim-
ler und Audi hinaus: Wer einmal einen
komplett zerlegten Verbrennungsmotor ge-
sehen hat, mit 1200 oder 1400 Teilen, be-
kommt eine Ahnung davon, wie groß und
ziseliert eine Zuliefererindustrie sein muss,
die all diese Teile herstellt. Hinter jedem
Riemen und Saugrohr, jedem Kolben und
Gussteil, hinter jeder Dichtung und No-
ckenwelle stehen ganze Unternehmen, die
die Teile in bester Qualität mit höchster
Präzision fertigen und zuliefern. Das ist bei
einem Elektromotor alles ganz anders.
Ein elektrischer Antrieb hat vielleicht
100, maximal 200 Teile. Die dazugehörige
Batterie ist im E-Mobil das werthaltigste
Stück, sie macht etwa ein Drittel der ge-
samten Wertschöpfung aus. Die Batterien
werden aber nicht – wie die Motoren – aus
Deutschland kommen, sondern von Sam-
sung und LG Chem aus Südkorea oder von
CATL aus China. Der Wettlauf um eine ei-
gene, wenigstens europäische Batteriepro-
duktion scheint bereits verloren.
Was wird das heißen für den Standort
Deutschland, der zu Recht so stolz ist auf
die in der Provinz beheimateten Mittel-
ständler, die alles können außer Hoch-
deutsch? Was wird es heißen für die Auto-
mobilindustrie, den wichtigsten deutschen
Industriezweig mit 880 000 direkt Be-
schäftigten und noch einmal knapp
900 000, die indirekt von ihr abhängen?
Es sind, das ist nüchtern zu konstatieren,
Hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet.
Kaum einer stemmt sich diesem Schick-
sal so vehement entgegen wie VW-Chef
Diess. 30 Milliarden Euro steckt der Kon-
zern in den nächsten Jahren in den »Sys-
temwandel«, um den ehemaligen Diesel-
sünder in den künftigen Weltmarktführer
für E-Mobilität zu verwandeln. In den
nächsten zehn Jahren plant VW, 22 Mil-
lionen Elektroautos zu produzieren, mehr
als jeder andere Hersteller. Ein teures Ex-
periment mit unsicherem Ausgang.
Niemand weiß, wie sich der Absatz von
E-Autos entwickeln wird, noch sind sie
Ladenhüter, ihr weltweiter Marktanteil liegt
zwischen zwei und drei Prozent, in Deutsch-
land niedriger. Die Bundesregierung wird
das einst ausgegebene Ziel von einer Milli-
on E-Fahrzeugen im Jahr 2020 krachend
verfehlen. Aber das muss alles nichts hei-

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 21

KRISZTIAN BOCSI / BLOOMBERG / GETTY IMAGES


Elektroantrieb auf der Hinterachse des Porsche Taycan

Statt 1400 Bauteilen hat der Antrieb der Zukunft


noch maximal 200 Teile.

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