Der Spiegel - 26.10.2019

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66 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Gesellschaft

N


eulich hat eine israelische Filmfirma angerufen und
gefragt, ob sie die Ermordung von Abu Dschihad in
unserem Garten drehen dürfe. Abu Dschihad hieß
eigentlich Chalil Ibrahim Mahmud al-Wasir. Er wurde in Ram-
la geboren, wuchs im Gazastreifen auf und gründete zusam-
men mit Jassir Arafat in Kuwait die Fatah. Er koordinierte
Guerillaaktivitäten der PLO. Deshalb nannte man ihn den
Vater des Dschihad. 1988 wurde er von einer 26-köpfigen is-
raelischen Eliteeinheit in Tunis getötet. Zusammen mit zwei
Leibwächtern und seinem Gärtner. Der Anschlag wurde vom
Mossad geplant, es geschah in der Nacht.
Der Mann vom israelischen Film hatte bei einem Rundgang
durch das Viertel unsere Hoftür gesehen, von außen. Er hatte
sich in der Welt hinter der Mauer das nächtliche Attentat
von Tunis vorstellen können.
Ich war mir nicht sicher,
ob 26 schwer bewaffnete
israelische Einsatzkräfte in
unseren Garten passen wür-
den. Zusätzlich zu Abu
Dschihad, seinen beiden
Leibwächtern und dem ar-
men Gärtner. Es ist nur ein
kleiner Garten. Es ist eher
ein Hof als ein Garten. Wir
haben ein paar Kletterpflan-
zen aufgestellt und Töpfe
mit Kräutern, das Basilikum
schießt. In Tel Aviv wächst
ja alles sehr schnell. Außer-
dem hängt ein Ast vom Man-
darinenbaum unserer Nach-
barin in den Hof. Man müss-
te den Wäscheständer weg-
stellen. Man würde es schon
hinbekommen, dachte ich.
Der Filmmann wollte wissen, wie es denn im Haus aus -
sehe.
Ich weiß nicht genau, wie sich der Vater des Dschihad in
den Achtzigerjahren eingerichtet hat, fürchte aber, dass es
bei ihm anders aussah als in unserer Wohnung. Bevor wir
hier einzogen, gab es in den Räumen ein japanisches Spa. Es
soll ein gutes Spa gewesen sein, sagen unsere Nachbarn und
Bekannten. Es ist alles sehr weiß und glatt, es gibt viele Bade -
zimmer. Im Prinzip ist die ganze Wohnung ein einziges Bad.
Man kann sich überall Massagetische vorstellen, Teeschalen
und Japanerinnen im weißen Kittel, aber eher nicht den mili -
tärischen Zweig der PLO. Ich habe das dem Filmmann nicht
gesagt, aber ich glaube, er hörte den Zweifel in meiner Stimme.
Fernsehleute verlieren schnell das Interesse, wenn sie Zwei-
fel spüren. Sie leben von der Begeisterung. Ich bin ein paar-
mal in Filmprojekte eingebunden gewesen. Es gab immer
sehr viele Abendessen, bei denen sich alle versicherten, dass
sie ein gutes Gefühl haben. Ich glaube zehn Prozent der Pro-
duktionskosten gehen immer für diese Abendessen drauf.
Wenn es keine Abendessen mehr gibt, weißt du, die Luft ist
raus aus dem Projekt. Das kann von heute auf morgen pas-
sieren. Ich wurde von einer Filmproduzentin mal ins Hotel

Vier Jahreszeiten nach Hamburg bestellt, um einen Drama-
turgen eines großen öffentlich-rechtlichen Senders zu unter-
halten, damit er Geld für unser Filmprojekt herausrückte.
Der Mann war alt und unfassbar schlecht gelaunt. Ich erzählte
lustige Geschichten, er sagte immer nur, dass alles scheiße
sei, die Drehbücher und die Welt. Andererseits bekommen
sie natürlich viel hin bei Film und Fernsehen. Viele Defa-
Indianerfilme wurden in Jugoslawien gedreht, »Das Leben
der Anderen« auf dem Dachboden eines Hauses in der Hufe -
landstraße. Die ostdeutschen Kritiker des Films beklagten,
dass auf dem Dachboden gar kein Stasi-Überwacher hätte
sitzen können, weil wir ja da immer die Wäsche aufhängen.
Aber das vergisst man. Die DDR sieht in meinen Erinnerun-
gen so graublau aus wie in »Das Leben der Anderen«, obwohl
ich weiß, dass Florian Henckel von Donnersmarck bewusst
die warmen Farben aus seinen Bildern wegließ. Mein kind -
liches Afrikabild wurde im Wesentlichen von Tarzan und
»Daktari« geprägt, mein Amerikabild von »Rauchende
Colts«, »Bonanza« sowie Gojko Mitic als Tecumseh bezie-
hungsweise Chingachgook, die große Schlange. Von Män-
nern, die mit Tropenhelm, Indianerhaube, Cowboyhut in
Kulissen herumstanden und mit Platzpatronen schossen. Die
Bundesrepublik stellte ich mir als Junge in etwa so aufgeräumt
und erstickend vor wie die
Häuser, in denen Derrick er-
mittelte. Ganz wird man die-
se Eindrücke nie los.
Vorige Woche stand ich
mit einem Fernsehteam der
ARD in einem russischen
Restaurant in Berlin-Fried-
richshain. Es hieß Datscha.
Ich war hier, um über mein
Buch zu reden, das zu gro-
ßen Teilen in Russland
spielt. An der Wand hingen
Fotos mit russischen Land-
schaften und Menschen. Auf
einem erkannte ich Erich
Honecker mit einem rus -
sischen Mann bei der Jagd.
Beide trugen große Fellmüt-
zen. Der Kollege von der
ARD sagte, der Russe sei
Chruschtschow.
»Aber Honecker hatte mit Chruschtschow gar nix zu tun«,
sagte ich.
»Das ist auch nicht Honecker«, sagte der Redakteur.
Ich starrte das Bild an, und Honecker schien wirklich aus
dem Foto zu verschwinden, er sah nun eher aus wie der sow-
jetische Atomphysiker in der Fernsehserie »Chernobyl«. Ein
Schauspieler, den ich schon als King George in »The Crown«
gesehen hatte und als Agenturchef in »Mad Man«. Immer
rauchte er. Vielleicht sucht er sich seine Rollen danach aus.
Die Sowjetunion der Achtzigerjahre sieht in »Chernobyl«
grünlich aus. Auch die Gesichter der Menschen wirken grün-
lich. Alle sprechen Englisch, sogar Gorbatschow. Sie gucken
grimmig und trinken viel Wodka. Das weiß man ja.
Ich redete mit den ARD-Kollegen über Russland, Familien
und Bücher, ich lief nachdenklich hin und her, und einmal
sagte der Kulturreporter den wunderschönen Satz: »Wir stel-
len Alexander Osang jetzt mal auf eine Kiste.« Das machten
wir dann. Ich spielte mich selbst. Ich legte mich ein bisschen
ernsthafter an, als ich bin, glaube ich. Später stellten wir Ale-
xander Osang dann noch vor die Stalin-Bauten an der Berli-
ner Karl-Marx-Allee.
Nach Moskau. Sozusagen.

Spa des Todes


LeitkulturAlexander Osang über Dokudramen
in Fantasiekulissen

ALEXANDER OSANG / DER SPIEGEL
Osangs Hoftür (l.) in Tel Aviv
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