Der Spiegel - 26.10.2019

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80 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019

Wirtschaft

V


ier Jahrzehnte lang baute Wilhelm
Kremer-Schillings auf seinem Hof
am Niederrhein nebenberuflich
Rüben und Raps an. Dann ging
er in Rente – und wurde berühmt. Er nann-
te sich fortan »Bauer Willi« und schrieb
in einem Blog an den »lieben Verbrau-
cher«, er habe die Schnauze voll.
Lebensmittel sollten ungespritzt sein,
zugleich billig und ohne Macken?
Gehe ebenso wenig wie regional ein-
zukaufen und im Januar Weintrau-
ben zu wollen. »Du hast keine Ah-
nung und davon ganz viel.«
Willis Wut löste eine Welle an Zu-
stimmung aus, spülte ihn in diverse
TV-Talkshows – und am vergange-
nen Dienstag sogar ins Büro von
Bundeslandwirtschaftsministerin Ju-
lia Klöckner (CDU). Zur selben Stun-
de, in der landesweit die Bauern pro-
testierten und mit ihren Treckern
Straßen blockierten, trank er Kaffee
mit der Ministerin. Einflussreicher
als der 65-jährige Rentner mit seiner
leicht aufdringlichen Kumpelhaftig-
keit dürfte im Moment kaum ein
deutscher Kleinbauer sein. Seine
Stärke schien lange zu sein, dass er
nicht Teil des Agrarestablishments ist,
sondern nur ein einfacher Bauer, der
sagt, was er denkt. Aber ist das wirk-
lich so?
Eine Stunde nach dem Termin ist
er schon wieder auf dem Sprung zum
nächsten. Auf einer Bank im Berliner
Hauptbahnhof wartet er auf den Zug
und tippt noch schnell ein paar Sätze
in sein Handy. Schließlich muss er
seiner Facebook-Fangemeinde Bericht er-
statten. Hunderttausende erreicht er mit
seinen Nachrichten. »Es war klar und di-
rekt von beiden Seiten«, schreibt er. Das
»keine Blockadehaltung« streicht er wie-
der. Bei Klöckner, sagt er, sei »die Ernst-
haftigkeit der Situation noch nicht ange-
kommen«.
Wie ernst es sei, sehe er bei sich zu Hau-
se. Seinem Sohn riet er gerade ab, den Hof
weiterzuführen. Das Agrarpaket der Bun-
desregierung, das mehr Naturschutz, stren-
gere Dünge-Richtlinien und wohl auch


mehr Formulare vorsieht, habe ihn end-
gültig frustriert. Aus Protest stellte er vor
einigen Wochen ein grünes Kreuz in eines
seiner Felder, ein stiller Protest gegen das
bäuerliche Artensterben. Tausende taten
es ihm nach. Es war ein Grummeln, das
kaum einer kommen sah, das kein Ver-
band inszenierte – und das schließlich am
Dienstag zum Kreuzzug der enttäuschten
Zehntausenden auf ihren Treckern führte.
Kreuzzug, so würde es der auf Dialog
bedachte Kremer-Schillings selbst nie nen-
nen. Er gratulierte den Organisatoren,
aber ihn beschleiche dabei auch »ein mul-
miges Gefühl«: Wenn so etwas ausarte,
werde man die Geister, die man rief, nicht
wieder los.
Am Dienstag blieb es friedlich. Dass
sich Bauer Willi aber an dem Tag nicht auf
den Trecker setzte, sondern mit Klöckner
sprach, nehmen ihm viele übel. Er sei ein
»ekelhafter Populist«, schrieb ihm jemand.

Es ist nicht das erste Mal, dass
die Glaubwürdigkeit Kremer-Schillings lei-
det. Vor zwei Wochen beleuchtete die
»tageszeitung« sein berufliches Wirken als
Agrarchemieberater und Pestizidver -
käufer. Aus Bauer Willi wurde »Chemie-
Willi«, und der habe vermutlich sogar
krebserregende Unkrautvernichter ver-
marktet. »Das hat mich getroffen«, sagt
Kremer-Schillings, der Redakteur habe
ihm wenige Wochen zuvor über Facebook
doch noch eine Freundschaftsanfrage ge-
stellt.

Nachdenklich mache ihn zudem, dass
er von manchen nur als verlängerter Arm
des Deutschen Bauernverbands gesehen
werde, ein lautstarker Verteidiger der
Agrarindustrie alten Schlags.
Überraschen kann ihn das jedoch nicht
wirklich. Bauer Willis Reflexe sind denen
vieler Verbandsfunktionäre ziemlich ähn-
lich: zu viel Nitrat im Grundwasser durch
Überdüngung? Da habe er Zweifel, ob
auch richtig gemessen wurde. Insekten-
sterben? Da existiere eine englische Un-
tersuchung, die Entwarnung gebe. Gen-
technik? Helfe, den Hunger der Welt zu
bekämpfen.
Kremer-Schillings, promovierter Agrar-
wissenschaftler, hat zum Beleg auch
Studien parat, vor allem solche, die sein
Weltbild stützen. Doch je länger er redet,
desto sturer wirkt er auch. Und manchmal
versteht man weder bei ihm noch bei
den Organisatoren der Bauern-Demos,
ob sie wirklich noch die Stimme
der bäuerlichen Familienbetriebe
sind, die letzte Hoffnung sterbender
Höfe.
Bei den Demos sollten die Bauern
beispielsweise »keine Plakate mit ge-
rechten Preisen und so weiter« mit-
bringen. Aber warum? Ist doch gera-
de die miese Bezahlung Ursache vie-
ler Probleme.
Die Organisatoren der Proteste,
die »Landschaft Verbindung«-Bewe-
gung, indes folgen der Doktrin des
Bauernverbands, der Forderungen
nach fairen Preisen für wenig ziel-
führend hält. Die deutsche Agrarin-
dustrie müsse schließlich auf dem
Weltmarkt mithalten. Waren die
Organisa toren womöglich nicht so un-
abhängig wie behauptet? Quatsch,
sagt Kremer- Schillings, der Bauern-
verband sei »bei diesen Demos völ-
lig außen vor«.
Was er nicht sagt: Fachleute des
Bauernverbands berieten die Veran-
stalterund traten als Sprecher auf, wie
etwa Thomas Andresen in Schleswig-
Holstein. Auch Walter Peters, Land-
wirtschaftsberater und ehemaliges
AfD-Mitglied, fungierte als Sprecher.
Die AfD war die einzige Partei, die
Verständnis für sämtliche Forderun-
gen zeigte und sich »fest an der Seite der
deutschen Bauern« sieht.
Beunruhigt Bauer Willi diese mögliche
Allianz? Die AfD betreibe lediglich
»bil lige Bauernfängerei«, sagt Kremer-
Schillings.
Sein Zug ist jetzt in Leipzig angekom-
men. Er muss los, zu einem Vortrag. Ver-
triebsleuten einer Agrochemiefirma soll
er »mehr Mut zur kreativen Kommunika-
tion« machen. Nils Klawitter
Mail: [email protected]

Die Wut


des Bauern


ProtesteDer Kleinbauer Wilhelm
Kremer-Schillings schimpft
über Verbraucher und Umwelt-
auflagen. Sein Aufbegehren
machte ihn zum Internetstar.

SILVIA REIMANN
Blogger Kremer-Schillings: »Mulmiges Gefühl«
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