Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

U


we Steimle ist ein Mann schlechter
Scherze. Der sächselnde Kabaret-
tist verbreitet in seiner TV-Sendung
»Steimles Welt« schon mal verleumderi-
sche Gerüchte über Flüchtlinge, er nennt
Deutschland gegenüber dem rechtskonser-
vativen Blatt »Junge Freiheit« ein »besetz-
tes Land«, und auf der Bühne vergleicht
er die rechtsextreme Terrorzelle »Revolu-
tion Chemnitz« mit der Olsenbande. Im
Sommer erst ließ sich Steimle mit einem
»Kraft durch Freunde«-Shirt ablichten –
und konnte die Aufregung um den NS-Ka-
lauer nicht verstehen.
In jeder anderen Anstalt der ARD wäre
ein Komiker von seinem Schlag untragbar.
In Sachsen ist er ein Star, die Quoten stim-
men. Für den Sender ist Steimles Popula-
rität ein Dilemma. Der Mann steht dem
MDR nicht gut zu Gesicht, aber das Publi-
kum liebt ihn.
Jahrelang drückte sich der MDR um
eine klare Position. Erst jetzt scheint Steim-
les Zeit allmählich abzulaufen. Die Verant-
wortlichen wollen die Zusammenarbeit
mit ihm überdenken. Offiziell heißt es, die
Redaktionen seien gerade dabei, »den Be-
reich Kabarett und Satire inhaltlich neu
aufzustellen«.
Nicht nur Steimle ist ein Problem für
den MDR. Der Sender steht länger schon
im Ruf, auf dem rechten Auge wenn nicht
blind, dann zumindest kurzsichtig zu sein.
Und es sind ganz schön viele Einzelfälle.
Am 1. September war die Aufregung
wieder besonders groß. Wahlabend in
Sachsen, Livesendung im Ersten, eine
Stresssituation. Mitten im Interview leistet
sich die MDR-Moderatorin Wiebke Binder
einen Schnitzer. Ein Bündnis aus CDU und
AfD nennt sie »bürgerliche Koalition«.
Sekunden später hyperventiliert das
Netz. Eine Koalition mit der AfD könne
niemals bürgerlich sein, schreiben Journa-
listen und Politiker. Die Wortwahl sei
»eine Katastrophe«. Der MDR verharm-
lose Rechtsradikale, mal wieder.
Intendantin Karola Wille kennt diese
Vorwürfe. Im Kampf dagegen wirkt sie
manchmal hilflos. Sie verweist auf Koope-
rationen und Beiträge, auf Journalisten-
preise und ein eigens gegründetes Extre-
mismus-Expertenteam. Dann kommt der
nächste Einzelfall: Einer ihrer Radiosender
möchte mit Frauke Petry darüber spre-
chen, ob man noch »Neger« sagen darf.
Eines ihrer Funkhäuser lädt einen Neonazi


aufs Podium. Und die Intendantin muss
sich schon wieder rechtfertigen.
An einem Samstag im Oktober sitzt Wil-
le in einem schmucklosen Metallcontainer
und bemüht sich, lauter zu sprechen, als
Mark Forster singen kann.
Es ist der Backstagebereich von »Halle
zusammen«, einem Solidaritätskonzert in
Halle an der Saale, das der MDR in Folge
des rechtsextremen Attentats mit Partnern
organisiert hat. Wille ist stolz.
Aus Liebe zur Stadt, die jetzt dringend
»Optimismus und Kraft« brauche, wie sie
sagt. Aber auch, weil es ein Narrativ un-
terläuft. Nach einem solchen Konzert, live
übertragen in die ganze Republik, soll es
über die Gesinnung des Senders keine
Zweifel mehr geben. Schaut uns an, wir
sind nicht rechts.
Wille empfindet die Vorwürfe als »dif-
famierend«, vor allem, wenn selbst die
Kollegen innerhalb der ARD draufhauen –
und das auch noch öffentlich. Im Fall der
»bürgerlichen Koalition« war es ein Redak-
teur des Westdeutschen Rundfunks. Beim
MDR, twitterte WDR-Mann Arnd Henze,
»verwischen nicht zum ersten Mal die
Grenzen nach ganz rechts!«
Im Sender war man außer sich. Der 17-
köpfige Redakteursbeirat schickte vier
Tage später einen geharnischten Brief nach
Köln. Die Tweets seien »unangemessen
und unkollegial« gewesen, hieß es darin,
der MDR verwische »mitnichten« die
Grenzen nach rechts. Henze entschuldigte

sich, doch das Thema war noch lange nicht
gegessen. Mitte der Woche brachte es der
MDR wieder zur Diskussion, bei einem
Treffen der öffentlich-rechtlichen Redak-
teursausschüsse in Wien. Am Ende rang
sich das Gremium zu einer Stellungnahme
durch, sie liest sich wie ein verzweifelter
Appell: »Wir erwarten einen respektvollen
Umgang innerhalb der öffentlich-rechtli-
chen Sender.« Kritik sei erlaubt, Diffamie-
rungen nicht. Sie wüsste auch nicht, sagt
Wille, »dass jemand von uns über Fehler
in der Berichterstattung anderer getwittert
hätte«.
30 Jahre nach der Wende fühlt sich die
einzige reine Ostanstalt noch immer als
Außenseiterin. In Thüringen, Sachsen und
Sachsen-Anhalt ist der Sender beliebt –
von Medienjournalisten und den Kollegen
im Westen wird er noch immer belächelt.
Die Position am Rand ist so tief ver -
innerlicht, dass der MDR beinahe intuitiv
eine Schicksalsgemeinschaft mit seinem
Publikum zu bilden scheint. Er bedient die
Unzufriedenen und ist selbst oft unzufrie-
den. Er versteht die Abgehängten, weil er
selbst das Gefühl hat, man würde nicht auf
Augenhöhe mit ihm sprechen.
Der MDR war lange als Schlager- und
Skandalanstalt verschrien, und das nicht
ohne Grund. 20 Jahre lang hatte Grün-
dungsintendant Udo Reiter seine Anstalt
auf Gefälligkeit getrimmt, viel Geld in Un-
terhaltung gesteckt und den MDR in
schwindelige Quoten hochgeschunkelt.
Helene Fischer, Florian Silbereisen, das
Fernsehballett kosteten.
Für Investitionen in Nachrichtliches war
kein Geld da – zumal auch kein Bedarf
bestand. Die täg lichen Informationen ka-
men aus Köln (»Morgenmagazin«), Mün-
chen (»Mittagsmagazin«) und Hamburg
(»Tagesschau«), die neue Anstalt im Osten
sah man tendenziell als Eindringling in
ein gut funktionierendes System. Und
dann brachte sie noch so viel Ärger ins
Haus.
Da gab es die Stasiverstrickungen, die
tief in den Sender hineinreichten. Den
Skandal um veruntreute Millionen beim
Kinderkanal Kika. Oder den Unterhal-
tungschef, der sich wegen Untreue, Betrug
und Bestechlichkeit vor Gericht verant-
worten muss. Als die Juristin Karola Wille
den MDR 2011 übernahm, bemühte sie
sich um Aufklärung, Controlling, einen
transparenteren Sender. Die Skandale hör-
ten auf. An ihre Stelle trat ein neuer Vor-
wurf: Der MDR gebe rechtem Gedanken-
gut eine Bühne.
Ende August sollte zur Vorpremiere ei-
ner Dokumentation über die Ausschrei-
tungen in Chemnitz eine Podiumsdiskus-
sion stattfinden, eingeladen war auch der
stadtbekannte Neonazi Arthur Österle.
Redaktionsleiter Jörg Wildermuth, das zei-
gen Äußerungen im Intranet der Anstalt,

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Medien

Grenzwertig


TV-SenderDer MDR kämpft gegen den Vorwurf, auf dem rechten
Auge blind zu sein. Zur Landtagswahl in Thüringen
will er das Gegenteil beweisen. Vor allem den Kollegen in der ARD.

CHRISTOPH BUSSE / VISUM
Intendantin Wille
»Diffamierende Vorwürfe«
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