Der Spiegel - 26.10.2019

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Griechenland


Mehr Kontrollen


 Griechenland hat die Überwachung
an den See- und Landgrenzen zur Tür-
kei verstärkt, um Dschihadisten an der
Einreise in die EU zu hindern. Athen
entsandte zusätzliche Beamte des Ge -
heimdienstes und der Antiterrorpolizei
auf die Inseln in der Ägäis. Dort kom-
men derzeit die meisten Migranten an,
die weiter nach Westeuropa wollen.
Nach der Militärinvasion der Türkei in
Nordsyrien droht den Kurden die Kon-
trolle über Tausende IS-Kämpfer zu
entgleiten, die bislang in kurdischen
Gefängnissen festgehalten werden. In
Athen, aber auch in Berlin wächst die
Sorge, dass IS-Kämpfer als Flüchtlinge
getarnt über die griechischen Grenzen
kommen könnten. Auch Europol wird
ab dem 1. November zusätzliche Anti-
terrorexperten nach Griechenland
schicken. Am griechisch-türkischen
Grenzfluss Evros sollen sie den Behör-
den und der Grenzagentur Frontex bei
der Kontrolle helfen. Diese Entschei-
dung fiel allerdings schon im Mai. Die
Europol-Mitarbeiter sollen vor allem
für sogenannte sekundäre Überprüfun-
gen von besonderen Verdachtsfällen
zuständig sein und die Personalien der
Ankommenden in Datenbanken ab -
gleichen, in denen Terrorverdächtige
erfasst sind. Europol betont, es gebe
keine Beweise dafür, dass Terroristen
systematisch auf den Migrationsrouten
nach Europa einreisen würden. In
einigen Fällen ist das allerdings schon
passiert. So reiste zum Beispiel der
in Belgien geborene Drahtzieher der
Anschläge von Paris, Abdelhamid
Abaaoud, 2015 über die griechische
Insel Leros ein und gab sich dabei als
syrischer Flüchtling aus. Zwischen
2017 und August 2019 hat die grie-
chische Polizei nach eigenen Angaben
insgesamt sieben ausländische Terror-
verdächtige festgenommen. GEC


Libanon

Ohne Schießbefehl


Der Libanon erlebt die größten Proteste
seit Jahren. Heiko Wimmen von der
Denkfabrik International Crisis Group
über die Gründe für den Aufstand – und
die Chancen auf einen Wandel.

SPIEGEL:Herr Wimmen, was steckt hin-
ter den Protesten?
Wimmen: Das lang anhaltende, chroni-
sche Staatsversagen. Die öffentlichen
Dienstleistungen – Strom, Wasser, Müll-
abfuhr – funktionieren kaum, die Kor-
ruption ist groß. Jeder kann machen, was
er will, wenn er genug Geld und Einfluss
hat. Gerade hatten wir Waldbrände im
Libanon, doch die von Bürgerinitiativen
gestifteten Helikopter der Feuerwehr
waren nicht einsatzfähig, weil der Staat
sie nicht gewartet hatte. Als dann die
Regierung ankündigte, eine Steuer auf
WhatsApp-Anrufe erheben zu wollen,
eskalierte der Protest.
SPIEGEL:Wie reagiert der Sicherheits -
apparat?
Wimmen: Die Innenministerin hat ange-
kündigt, dass sie die Polizei nicht gegen

die Demonstranten einsetzen wird. Die
Armee, eine der wenigen Institutionen,
die noch Respekt genießt, ist in einer
schwierigen Rolle. Soldaten, die die Pro-
teste absicherten, mussten von Demons-
tranten getröstet werden. Ich glaube
nicht, dass ein Schießbefehl ergehen
wird – hier gibt es kein zweites Syrien.
SPIEGEL:Die Hisbollah ist auch Teil des
Apparats. Wie verhält sich die schiitische
Bewegung?
Wimmen: Ihr Anführer, Hassan Nasral-
lah, hat in einer Rede die Demonstratio-
nen als berechtigt bezeichnet. Es sei auch
in Ordnung, wenn ihn Demonstranten
beschimpfen. Das war bislang ein Tabu.
Der Fernsehsender der Hisbollah berich-
tet positiv über die Protestbewegung,
hebt allerdings die wirtschaftliche Kritik
hervor statt die am politischen und kon-
fessionellen System.
SPIEGEL:Wie könnte es weitergehen?
Wimmen: Vielleicht könnte eine Über-
gangsregierung aus Technokraten die
Menschen besänftigen. Keiner weiß,
was passiert, wenn der Protest Wochen
andauert. Die Versorgung könnte zu -
sammenbrechen, vielleicht das Banken-
system. Finanziell ist der Libanon schon
länger dem Ende recht nah.RAS

Polen


Halleluja für eine Faust


 Zum »Marsch der Unabhängigkeit« am



  1. November, dem polnischen National-
    feiertag, gehen jedes Jahr Zehntausende
    Menschen auf die Straßen Warschaus. Das
    Bild bestimmen Rechtsradikale mit rassis-
    tischen Spruchbändern und ultranationa-
    listischen Symbolen. Vor allem diese
    Gruppen organisieren die Kundgebung.
    Nun haben sie ein Logo entworfen, das
    für Streit sorgt: Es zeigt eine geballte
    Faust mit einem Rosenkranz, dessen Win-
    dungen die Finger ähnlich umgeben wie


ein Schlagring. Die extreme
Rechte profaniere damit ein
katholisches Symbol, erregt sich
Michał Szułdrzyński, ein Publi-
zist. Doch das Episkopat ver -
urteilte das Logo nicht eindeu-
tig: »Mit dem Rosenkranz beten
Menschen unterschiedlicher Kul-
turen und Nationen auf allen
Kontinenten«, schwurbelt die Bischofs-
konferenz in einer Erklärung. Dabei
reagieren die Geistlichen äußerst scharf,
wenn etwa LGBTI-Aktivisten die »Schwar-
ze Madonna«, Polens Schutzheilige, mit
einem regenbogenfarbigen Heiligenschein

zeigen. Die Märsche sind ein
Problem für die national-kon -
servative Regierung, die das
patriotische Gedenken an den
November 1918 für sich rekla-
miert. Damals hatte Polen die
Teilungen überwunden und war
als Staat neu gegründet worden.
Zum 100. Gedenktag hatte PiS
sogar mit den rechtsextremen Veranstal-
tern verhandelt, schließlich marschierte
man gemeinsam, mittendrin Staatsober-
haupt Andrzej Duda. Doch das werde
es diesmal nicht geben, versicherte der
Präsidentensprecher. JPU

JOSEPH EID / AFP

Protestierende
nahe Beirut

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