Neue Zürcher Zeitung - 18.10.2019

(Barry) #1

Freitag, 18. Oktober 2019 WOCHENENDE 47


schäftsleitung nur bis 300 000 Franken
plus diePensionskassenbeiträge direkt
über dieRaiffeisen-Buchhaltung. Der
grosseRest fliesst diskret über ein exter-
nes St. Galler Anwaltsbüro.
Das grösste Geheimnis ist der Lohn
des Chefs. Gerüchte über einJahres-
gehalt von total 3 bis 4 MillionenFran-
ken, teureAutos und einen insgesamt
sehr aufwendigen Lebensstil des Ge-
nossenschafts-Bankers machen ab 2005
immer wieder dieRunde. DochVin-
cenz dementiert stets und ruftJourna-
listen sogar eigens aus denFerien an,
um sie in stundenlangen Gesprächen
davon zu überzeugen, dass solche Zah-
lenkomplett an den Haaren herbeigezo-
gen seien.Das sind sie nicht. Sein Salär
bei derRaiffeisen dürfte in jenenJahren
zwar weniger hoch liegen, nämlich bei 2
bis 2,5 MillionenFranken. Hinzukom-
men jedoch Beiträge an diePensions-
kasse, Spesen und – ganz besonders ein-
träglich – die Honorare aus denVerwal-
tungsratsmandaten, welcheVincenz in
jenenJahren zu sammeln beginnt.
Zu diesen Mandaten gehören neben
anderen das Präsidium beimKredit-
kartenunternehmen Aduno, Verwal-
tungsratssitze beiderBankVontobel
und der Helvetia-Versicherung, aber
auch bei der Schweizer Börse SIX.
Fraglich bleibt, ob derVerwaltungs-
rat je einenkonsolidierten Überblick
über sämtliche Bezüge hatte. Insgesamt
dürfteVincenz in jenenJa hren tatsäch-
lich diekolportierten 3 bis 4 Millionen
Franken proJahr verdient haben.

Grossbankallürendes Chefs


Mit den zweistelligen Millionensalären
bei der UBS und der Credit Suisse kann
PierinVincenz nicht mithalten. Aber
punkto Status rüstet er auf. In St. Gallen
wird für die Geschäftsleitung ein luxu-
riöserFuhrpark mit umgebautenAu-
di-A8-Limousinen und einemPool von
Chauffeuren zurVerfügung gestellt.Für
den Chef gibt es einen eigenen Chauf-
feur mit Dienstwagen. Begründung: Die
obersteFührung muss fast jedeWoche
anVeranstaltungen in denRegionen
präsent sein, und dort wirdTr inkfestig-
keit erwartet. Mit PierinVincenz stos-
sen denn auch allebesondersgern an,
wenn man ihn schon einmal live sieht
und nicht nur amFernsehen oder in der
«Schweizer Illustrierten».
Doch dann geht er zu weit. Infolge
einerkomplizierten Knieoperation ge-
wöhnt sichVincenz offenbar an, immer
wieder einen Helikopter zu chartern.
Was er selber alsFrage der Praktikabi-
lität kleinredet,kommt bei vielen Ge-
nossenschaftern als Grossbankenallüre
an. Mindestens so sehr stösst einigen an
derBasis auf, dass er sich dieKosten für
eine aus privaten Gründen vorzeitig an-
gesetzteReise zumFinal derFussball-
Europameisterschaft2008 inWien per
PrivatjetvonRaiffeisen bezahlen lässt.
Wenige Monate später passiert dann,
wasVincenz lange zu verhindern suchte.
Gleich mehrere Artikel in der «Sonn-
tags-Zeitung» berichten im Dezember
2008 über den Flug im Privatjet, die
Helikopterflüge und die teuren Dienst-
wagen, den persönlichen Chauffeur und
das Salär in Millionenhöhe. «PierinVin-
cenz hebt ab», heisst die Schlagzeile
dazu, garniert wird sie mitFotos seiner
grossen neuenVilla im steuergünstigen
Niederteufen.Das alles passt nicht ins
bisherige Bild des sympathischenBan-
kers aus den Bergen, bescheiden und
sehr zugänglich. Und es beisst sich auch
heftig mit derKultur und Geschichte
vonRaiffeisen.

Gehalt sinkt um die Hälfte


Nach diesemAufruhr tauchtVincenz
erst einmal ab. Mehrere Monate lang
verschwindet er in der Zentrale von der
Bildfläche. Erstmals muss er sich nun
eineReihe kritischerFragen seitens der
Medien gefallen lassen. Und es bleibt
nicht nur beiFragen. So deckelt der
Verwaltungsrat unter PräsidentFranz
Marty, dem früheren SchwyzerFinanz-
direktor (cvp.), dasRaiffeisen-Salär des
CEO bei maximal 2 MillionenFranken
(ohnePensionskassenbeiträge). «Das
ärgertVincenz sehr», sagteiner, der ihn
fluchen gehört hat.Kommt hinzu, dass
derVorsitzende der Geschäftsleitung
wegen regulatorischer Vorgaben ab
2009 neu dieTantièmen aus seinenVer-
waltungsratsmandaten inklusive allfälli-
gen Aktienbesitzes an die Zentrale ab-

liefern muss. Ab diesem Zeitpunkt kann
er alsokeine Honorare aus diesen Man-
daten mehr für sich behalten. Mit ande-
ren Worten: Sein Gehalt sinkt ab 2009
um schätzungsweise die Hälfte – nicht
aber sein Ego.
Doch zunächst hat er sich in Demut
zu üben. Mit seinem PräsidentenFranz
Marty muss er auf eineTour de Suisse
in dieRegionen gehen.Das tat er zwar
schon früher, sobald erUnruhe imRaiff-
eisen-Reich verspürte, weil noch immer
jährlichDutzende vonFilialen fusioniert
wurdenoderweil man murrte, dass die
Zentrale denBanken zu viel für ihre
Dienste abknöpfe. Doch diesmal ist es
vor allem eine Buss-und-Beschwichti-
gungs-Tour an derBasis. Den Chauffeur
lässt er deshalbausser Sichtweite parkie-
ren und geht die letzten Meter jeweils zu
Fuss, obwohl er es im Grunde für eine
Zumutung hält, dass nun die Genossen-
schafter darüber befinden sollen, ob sein

Lohn, sein Haus und der Aston Martin
in der Garage zuRaiffeisen passen oder
nicht. In derRomandie und in den Städ-
ten ist daskeinThema für die «Raiffeis-
ler», umso mehr aber im Emmental oder
in der Ostschweiz.

Herrscher über den Stehtisch


Der so machtbewusste wie geschmei-
digeVincenz pariert die Kritikmit einer
Mischung aus Charme, Koketterie und
Tr otz, je nach Publikum. Erweiss genau,
was wo gut ankommt, in derTurnhalle
oder an derBar, und er vergisst nie den
Hinweis, dass er ja gar nichts zu sagen
habe, sondern die vielen kleinenBan-
ken seine Chefs seien (was formal auch
stimmt). Gerade unter Druck erweist
er sich als Herrscher über den Steh-
tisch und bügelt mit vielWeisswein, ab
und zu einem Bier, Zigarren und einem
kräftigen SchussJovialität so manches
Unbehagen wieder weg. Es scheint, als
könne fast niemand diesem gmögigen
und fitten Bündner, der joggt und zum
Frühstück nur Cola Zero trinkt, wirk-
lich böse sein. FastkeinRaiffeisen-
Banker kritisiert denn auch denimmer
selbstsicherer auftretenden «Piz Pierin»
(«Bilanz»). Dies auch dann nicht, wenn
er dieGrenzen des guten Geschmacks
überschreitet und dem Publikum sagt,
er sei stolz, «heute die besteRaiffeisen-
bank imLand» zu besuchen, um dann
gleich anzufügen: «Das sageich übri-
gens bei jederBank.»
Besonders gut kam er schon immer
beiFrauen an. Der Mann, derkeine Be-
rührungsängstekennt und mit allen per
Duist, hat nicht nur in jungenJahren
gefestet und geflirtet.Das tut er auch
als oberster Chef, und in seiner Entou-
rage ist das Getuschel darüber so heftig,
wieseine Spesenrechnungen üppig sind.
Denn anders als sein Lohn sind die Spe-
sen weiterhin nicht gedeckelt. Normale
Mitglieder der Geschäftsleitung bei
Raiffeisen erhalten einePauschale von
rund 12 000 bis 18000 Franken imJahr,
fürVincenz dürfte sie deutlich höher
sein. Allein mit derRaiffeisen-Kredit-
karte begleicht er jährlich einen bis zu
sechsstelligen Betrag. Teuer ist alles, was
unterPflege und Akquise vonKunden
fällt. Beispielsweisekostet ein Abend
mit Gästen in der Zürcher «CasaAure-
lio», einem seiner Lieblingslokale mit
besonders edlenWeinen,rasch einmal
mehreretausendFranken.
Vincenz benutzt zudem Kreditkarten
von mindestens zwei weiterenFirmen.

dieBankenkommission alsAufsichts-
behörde nicht dieRessourcen hat, jede
einzelneRaiffeisenbank zu überwa-
chen, überträgt sie dieseAufgabe be-
reits in der ÄraWalker der St. Galler
Zentrale. Dies entlastet zwar die Be-
hörde, führt aber zu einer paradoxen
Situation: Die Zentrale überwacht die
Raiffeisenbanken, dieTochter beauf-
sichtigt also ihre Mutterbanken und
Eigentümerinnen – eine verkehrte
Welt, dieVincenz in die Hände spielt.


Aufbruchstimmungin derBank


Unter dem neuen energiegeladenen
und charismatischen CEOkehrteine
richtige Aufbruchstimmung in die
Gruppe. Leidenschaftlich macht sich
Vincenz nun an die Eroberung jener
Hälfte desLandes, die fürRaiffeisen
bisher brachlag. HundertJahre lang
endete ihreWelt am Dorfrand. Wie
noch mitWalker angedacht, drängt
Raiffeisen unterVincenz nun in die
Städte und Agglomerationen. Selbst im
teuren Zürichetabliert erFilialen an
besterLage. Diese Niederlassungen, die
entweder von benachbarten Genossen-
schaften oder von der Zentrale als Ge-
schäftsstellen geführt werden, erlauben
esRaiffeisen Schweiz, selber imBank-
geschäft mitzumischen.Damitkonkur-
renziert die Zentrale zwar dieRaiff-
eisenbanken, denen sie eigentlich nur
zudienen sollte, doch fürVincenz geht
dieRechnung auf. Die städtischenFilia-
len bescheren ihm zusätzliche Erträge,


mit denen er seinenAktionsradius er-
weitern kann.Nichts offenbart das neue
Selbstbewusstsein der Zentrale besser
als der ebenfalls noch unterWalker
initiierte Neubau ihres Hauptsitzes in
St. Gallen. Es istkein einzelnes Haus,
sondern ein halbes Quartier, das man
hochziehen und 2005 von derKünst-
lerin Pipilotti Rist zum «Roten Platz»
veredeln lässt; mittendrin das Eckbüro
von PierinVincenz, dessen Grösse jedes
Chefbüro an der Zürcher Bahnhof-
strasse aussticht.
Der Anfang des neuenJahrtausends,
das sind dieJahre der boomendenBan-
kerlöhneund Boni.Zumindest bei den
börsenkotierten Unternehmen liegen
sie seit kurzem offen und wecken auch
den Appetit von PierinVincenz, der
sein eigenes Gehalt ohnehin nie mit
den Löhnen in Bichelsee verglich, son-
dern mitjenen in Zürich. Seit 2005 sitzt
er auch imVerwaltungsrat der Privat-
bankVontobel, mit derRaiffeisen be-
reits seit gut einemJahrzehntkoope-
riert.Von «typisch bündnerischer Zu-
rückhaltung», wieJugendfreundeVin-
cenz’ früheren Stil beschrieben,ist bald
nicht mehr viel zu spüren.
AlsFinanzchef dürfte er geschätzt
einige hunderttausendFranken imJahr
verdient haben. Doch als Chef stösst er
in ganz andere Dimensionen vor. Im
Jahr 20 00 holt er sein erstes neues Ge-
schäftsleitungsmitglied an Bord, seinen
StudienfreundPatrik Gisel, den er von
der UBS als neuen IT-Chefabwirbt.
Dessen Gehalt soll, so erzählen meh-

rereBeobachter, deutlich über den bis-
her bezahlten Löhnen für dieGeschäfts-
leitung gelegen haben. In der ÄraVin-
cenz schiessen die Saläre für dasTop-
kader gesamthaft steil nach oben.
Wohlgemerkt: Kein Genossenschafter
weiss in jenen 20 00 erJahren,was die
Kaderleute in der Zentrale verdienen.
Lohntransparenz istkeinThema, um
die Löhne der Geschäftsleitung wird ein
regelrechtes Geheimnis gemacht. So be-
zahlt dieBank jedem Mitglied der Ge-

In der Ära Vinc enz


schiessen die Saläre fü r


das Topkader steil nach


oben. Wohlge merkt:


Kein Genossenschafter


weiss in jenen2000er


Jahren, was diese


verdienen.


Mit Pierin Vinc enz


stossen alle besonders


gern an, wenn man ihn


schon ei nmal live sieht


und nicht nur am


Fernsehenoder in der


«Schweizer Illustrierten».


PierinVincenz hebt ab:
Wegen einer kompliziertenKnieoperation
lässt er sich öfter in einem Helikopter
herumchauffieren.Das kommt bei
vielen Genossenschaftern nicht gut an.
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