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von johannes knuth
Doha – So gespenstisch die ersten Stun-
den dieser Leichtathletik-Weltmeister-
schaften in Doha begonnen hatten, mit kol-
labierenden Marathonläuferinnen zur
Geisterstunde – die letzten Stunden verlie-
fen umso harmonischer. Als die letzten Me-
daillengewinner prämiert wurden, auf ei-
ner mächtigen Empore, die unter dem Sta-
diondach hing wie eine gewaltige Orgel in
einer Kathedrale, mochten viele Zuschau-
er noch immer nicht gehen. Die Weitsprin-
gerin Malaika Mihambo lächelte auf dem
Siegerpodest wie eine, deren Kopf allmäh-
lich realisiert, was ihr Körper gerade ange-
stellt hatte: Weltmeisterin, 26 Jahre nach
Heike Drechslers Triumph in Stuttgart.
Erst als sie die 4x400-Meter-Staffeln ehr-
ten, wurde es hektischer, unten im Innen-
raum bauten sie gerade die Matten und
Wurfringe ab. Dafür begleiteten ein paar
letzte Anhänger das Geschehen mit ihren
tapferen Schlachtrufen, als wollten sie jene
Euphorie anfachen, die Doha in den ersten
Tagen so gefehlt hatte.
Auch der Deutsche Leichtathletik-Ver-
band hatte sich das Beste für das letzte
WM-Wochenende aufgehoben, so hatte es
der Zeitplan gewollt. Da lag es nahe, sich
noch mal ein paar grundsätzliche Gedan-
ken über die Stärke einer Leichtathletik-
Mannschaft zu machen. Olympias Kern-
sport zerfällt ja in 24 Einzeldisziplinen, er
bringt Athleten mit verschiedenen Talen-
ten und Charakterzügen zusammen, die
erst mal wenig zu vereinen scheint. Aber
wenn die Besten des DLV in Doha etwas ge-
mein hatten, vor allem die Weltmeister Mi-
hambo Niklas Kaul (Zehnkampf), die Bron-
ze-Inhaber Gesa Krause (Hindernis), Chris-
tina Schwanitz (Kugel), Konstanze Kloster-
halfen (5000 Meter) und Johannes Vetter
(Speerwurf) –, dann war es wohl die Kunst,
dass sich jeder seinen Weg zum Erfolg ge-
bahnt hatte, auf seine Weise. Und dass in
Doha alle im rechten Moment zur Stelle wa-
ren. Auch wenn sich der eine oder andere ei-
nen längeren Anlauf gegönnt hatte.
Den perfekten Athleten oder die perfek-
te Athletin gibt es nicht, aber wenn sie sich
im DLV eine basteln dürften, dann hätte sie
viele Ähnlichkeiten mit Malaika Mihambo,
von der LG Kurpfalz. Sie kam als Elfjährige
in die Trainingsgruppe von Ralf Weber ge-
schneit, auf einem Sportplatz unter Hasel-
nussbäumen im badischen Oftersheim, wo
sie bis heute trainiert. Sie war schon in der
U20- und U23-Klasse Europas Beste, aber
Weber war immer viel daran gelegen, die
Belastung nicht in den Dienst einer Saison,
sondern einer ganzen Karriere zu stellen.
Mihambo glitt auch deshalb fast mühe-
los zu den Erwachsenen hinüber, sie ge-
wann 2016 EM-Bronze, wurde Vierte bei
Olympia in Rio, überstand vor zwei Jahren
eine Gelenkverletzung, die sie nach einem
Treppensturz erlitten hatte. Der DLV nahm
sie kurz drauf sogar für eine Weile aus der
höchsten Förderklasse, ein Jahr später war
Mihambo in Berlin schon wieder Europa-
meisterin. Diesmal bei den Erwachsenen.
Dieses Gefühl hat man mittlerweile oft
bei ihr: Dass ihr Selbstbewusstsein fast an-
geboren ist; als könne sie, wenn es zählt,
mit ihrer Disziplin anstellen, was sie will.
Anfang Juli übertraf Mihambo in Rom erst-
mals die sieben Meter. Im August trieb sie
ihre Bestleistung bei den nationalen Meis-
terschaften auf 7,16 Meter. Sie verlor bis Do-
ha keinen Wettkampf. Sie fiel auch nicht
aus ihrer Ruhe, als sie nach zwei missrate-
nen ersten Versuchen am Sonntag unbe-
dingt einen besseren dritten brauchte, um
nicht im Vorkampf zu stranden. „Das Wich-
tigste ist, dass man das Besondere nicht zu
etwas Besonderem macht“, hatte sie vor
der WM im Gespräch gesagt – es war wohl
auch diese Immunität gegen das Nerven-
flattern, die Mihambo zu ihrem dritten
Sprung trieb. Es war, als würde mit einem
Mal alles verschmelzen, woran sie mit ih-
rem Trainer in diesem Jahr gearbeitet hat-
te: ein Anlauf mit der Kraft einer Sprinte-
rin, kurze, trommelnde Schritte, ein Ab-
sprung, der sie wie ein Katapult auf 7,30
Meter trug. „Das war wirklich unfassbar“,
sagte sie später. Vielleicht, fügte sie an, war
das sogar ein Sprung, „den ich nie mehr in
meinem Leben schaffen werde“.
Johannes Vetter, der kurz darauf die letz-
te deutsche Medaille in Doha gewann, hat
auch längst seinen Weg gefunden, wobei
er dafür erst mal sein Umfeld in Dresden
verlassen musste, wo er sich nicht richtig
gefördert fühlte. Aber alles in allem sind
die deutschen Speerwerfer seit Jahren ein
Beispiel dafür, wie man aus Einzelwün-
schen eine Erfolgsgemeinschaft bastelt.
Sie teilen ihr Wissen, helfen sich im Wett-
streit, was wiederum jedem Einzelnen
hilft, der sich an der Bestweite des anderen
hochziehen muss. Doha geriet dann aller-
dings zum misslungenen Fallbeispiel:
Olympiasieger Thomas Röhler und der
deutsche Meister Andreas Hofmann waren
in der Qualifikation gestrandet – Röhler
machte ein hartnäckiges Technikdefizit
geltend, Hofmann rauschte wortlos aus
dem Stadion.
Dafür beendete Julian Weber sein erstes
WM-Finale auf Platz sechs (81,26). Er hatte
den Startplatz geerbt, den ihm der form-
schwache Bernhard Seifert vermacht hat-
te. Und Vetter, der hätte schon gerne mehr
als diese 85,37 Meter geschafft, zumal
Gold mit eher lauwarmen 86,89 an Überra-
schungsmann Anderson Peters aus Grena-
da wegging. Andererseits hatten Vetter in
diesem Jahr abwechselnd der Rücken und
die Adduktoren geschmerzt, nach der WM
wird er sich am Fuß operieren lassen. Hin-
zu kamen zuletzt „familiäre Schicksals-
schläge“, sagte der 26-Jährige. Bronze wer-
tete er da als „Willensleistung“, über den
ausgezehrten Körper und Geist.
Sie konnten am Ende im DLV mit ihren
sechs Medaillen durchaus zufrieden sein,
sie hatten vorher ja allein „zwölf Topathle-
ten mit Medaillenpotenzial“ in den Kran-
kenstand verabschiedet, wie DLV-General-
direktor Idriss Gonschinska erinnerte.
Man tue auch weiter gut daran, die Athle-
ten eigenverantwortlich ihren Weg finden
zu lassen, sagte er – auch wenn das manch-
mal bedeutet, dass Konstanze Klosterhal-
fen sich einem hochumstrittenen Umfeld
anschließt, dessen Cheftrainer gerade für
vier Jahre wegen Dopingverstößen ge-
sperrt wurde. Andererseits wirkten viele
deutsche Athleten in Doha ermattet von ei-
ner langen Saison, viele hatten bis zuletzt
auch große Kräfte investiert, um über-
haupt die Zulassungsnorm für Doha zu er-
werben. Gonschinska sagte, man bastele
im Wissenschaftsressort gerade an einer
Handy-App, mit der die Athleten künftig
in Echtzeit ihre Leistungswerte einfließen
lassen können – und künftig automatisch
gewarnt werden, wenn der Körper eine
Pause benötige, auch wenn der Athleten-
kopf das noch nicht wahrhaben will.
Um Mihambo müssen sie sich im DLV
auch in dieser Hinsicht längst nicht mehr
sorgen: Die 25-Jährige war vor einem Jahr
durch Indien gereist und hatte das Meditie-
ren für sich entdeckt. Am Sonntag kündig-
te sie an, dass sie jetzt erst mal vier Wochen
durch Thailand reisen werde. Mit dem
Rucksack, „zum Rauskommen aus dem All-
tagstrott“, sagte sie. Zum einem langen An-
lauf gehört eben auch: die Pause danach.
Sein letzter Anruf kam im Januar. Er melde-
te sich immer an diesem Januartag. Seit
Jahren. Geburtstagswünsche übermit-
telnd. Seine Stimme am Telefon: schlep-
pend. Es musste ihm nicht gut gehen. Er
verlor gleichwohl kaum Worte über seine
Krankheit. Zuletzt Ende August berichtete
eine gemeinsame Bekannte, es gehe ihm
weiter schlecht. Mit dem Schlimmsten war
zu rechnen. Besorgte Freunde, sofern sie
vor dem Fernseher saßen in Vorfreude auf
den Auftritt der Oftersheimer Weitspringe-
rin Malaika Mihambo am letzten Tag der
Leichtathletik-WM, erreichte die Nach-
richt vom Tod Sonntagnachmittag via ZDF.
Martin Lauer, begann der Moderator die
Sportsendung, der ehemalige Hürden-
Weltrekordler und Staffel-Olympiasieger,
ist im Alter von 82 Jahren gestorben.
Es mag schicksalhafte Fügung gewesen
sein, dass Lauer während des Hochfests sei-
nes Sports aus dem Leben schied. Versi-
chern ältere Semester doch heute noch, zu-
mindest die deutsche Leichtathletik habe
nie einen höher Begabten erleben dürfen.
Martin Lauer war ein Alleskönner: Er lief,
er sprang, er schrieb, er sang, er arbeitete
auf außergewöhnlichem Niveau.
Und war doch ein Unvollendeter.
Nur fünf Sommer lang, von 1956 bis
1960, rauschte er wie ein Außerirdischer
durch die Reihen des Sports, ehe ihn, den
gerade mal 23-Jährigen, das Missgeschick
eines Mediziners jäh aus der Bahn warf.
Gerade der Jugendklasse entwachsen,
war Martin Lauer 1956 bereits deutscher
Zehnkampfrekordler und bei den Olympi-
schen Spielen im selben Jahr in Melbourne
viertbester Hürdensprinter und die Num-
mer fünf unter den „Königen der Leichtath-
letik“, den Zehnkämpfern. Zwei Jahre
drauf dann Europameister über 110 Meter
Hürden, und 1959 schließlich nahe am
Zehnkampf-Weltrekord mit den 7955
Punkten nach damaliger Wertung, außer-
dem der global Schnellste über die kurze
Hürdendistanz in handgestoppten 13,2 Se-
kunden. Beide Höchstleistungen indes:
nur die Andeutung dessen, was möglich ge-
wesen wäre für den talentierten Kerl aus
Kalk bei Köln. Viele Jahre nach seinem
Olympiasieg 1964 im Zehnkampf überleg-
te Willi Holdorf aus Schleswig-Holstein:
„Ich hätte wohl nicht gewonnen, wenn der
Martin hätte starten können. Der wäre
schon nach neun Übungen Sieger gewe-
sen.“ Den erst 1973 unterbotenen Hürden-
Weltrekord markierte der Maschinenbau-
Student jedenfalls nach Vorlesungen am
Vormittag an der TU München, dem Flug
mittags nach Zürich und einer Segelpartie
am frühen Nachmittag auf dem Zürichsee.
Heutzutage wissen Athleten, wie mit einer
solchen Wettkampfvorbereitung zu verfah-
ren ist: als Zumutung entrüstet ablehnen.
Mit seinem furiosen Auftritt bei den
Schweizern hob der Deutsche im Übrigen
das populärste Meeting der Weltleichtath-
letik im Letzigrund aus der Taufe.
Im Winter drauf nahm das Unheil sei-
nen Lauf. Im Sprunggelenk des Weltleicht-
athleten sowie deutschen Sportlers des Jah-
res 1959 hatte sich die Knochenhaut ent-
zündet. Von gewaltigen Schmerzen im
Schwungbein geplagt, quälte sich Lauer
nach Rom zu den Spielen 1960. Das er-
träumte Hürden-Gold musste er den Ame-
rikanern überlassen (er wurde Vierter wie
vier Jahre zuvor), nicht jedoch den Sieg in
der 4x100-Meter-Staffel. Nach Querelen
über die Zusammensetzung des Quartetts
entschädigten sich die deutschen Sprinter
mit einem Weltrekord, 39,5 Sekunden. Der
meinungs- und durchsetzungsstarke Lau-
er war dabei Herr des Verfahrens. Die Beset-
zungsprobleme hatten nicht Trainer und
Funktionäre gelöst, der angeschlagene Köl-
ner hatte das letzte Wort.
Im späten Herbst nach Rom versuchte
der Kölner Vereinsarzt Lauers Verletzung
mit einer Spritzenkur in den Griff zu be-
kommen. Ende Mai 1961 stand nur noch ei-
ne Injektion auf dem Plan, Lauer trainierte
bereits wieder. Es sah gut aus. Doch dann
passierte es: Ein Münchner Arzt behandel-
te ihn mit einer nicht sterilen Spritze. Blut-
vergiftung, Amputationsgefahr, Ring-
kampf mit dem Tod, dem der Sportler nur
dank eiserner Natur und unbändigem
Überlebenswillen entging.
Schwer gezeichnet zog sich Lauer mit 24
Jahren vom Sport zurück. Ein herber Ver-
lust für die deutschen Leichtathleten.
Nach jahrelanger Arbeit an der Aufarbei-
tung seines Lebenswerkes präsentierte
Martin Lauer 2017 einen aufwendig gestal-
teten, in kleiner Zahl aufgelegten und
durchnummerierten Band: „Meine zwei
Leben – gewidmet meiner Lauer-Sippe.“
Und ein paar Freunden. Die bestaunten die
Talente, die der Alleskönner jenseits des
Sports offenbarte. Seine horrenden Kran-
kenhauskosten tilgte er als Country-Sän-
ger, mit chartreifen Singles wie „Sacramen-
to“, „Taxi nach Texas“ oder „Am Lagerfeu-
er“ schaffte er eine Auflage von drei Millio-
nen. Auch auf beruflicher Ebene ging zu Be-
ginn des Computerzeitalters hierzulande
der Weg des Spezialisten Lauer im Sprint-
tempo nach oben. Zuvor hatte er sich als
Journalist mit spitzer Feder einen Spitzen-
platz unter den Kritikern des häufig verlo-
genen Spitzensports erfochten.
Beim Ausflug ins Journalistenlager kam
der Widerspruchsgeist des ehemaligen
Athleten noch einmal zum Vorschein. Re-
bellisch und ganz mündiger Athlet zog er
gegen ungerechte Sportfunktionäre und
deren Heuchelei um den Amateurparagra-
fen zu Felde. Legendär war die Geschichte
mit dem Ventilator: Den hatte er im heißen
Quartier bei den römischen Spielen 1960
aus dem Raum „der Bonzen“ aus der Ver-
bandsführung entwendet und im Athleten-
zimmer deponiert. In „Meine zwei Leben“
erklärte Lauer lakonisch: „Wenn wer Küh-
lung nötig hatte, dann wir.“
Im Sommer 2016, Lauer wähnte das En-
de nicht mehr weit (überstand das Tief
dank eines neuen Medikaments aber noch
einmal), lud er die Goldstaffel von Rom zu
einem letzten Zusammensein zu sich nach
Lauf in Mittelfranken. Der Startläufer
Bernd Cullmann, Jüngster des Quartetts,
100-Meter-Olympiasieger Armin Hary,
Walter Mahlendorf aus der zweiten Kurve
und noch zwei, drei Freunde eilten herbei.
Und schwelgten in Erinnerungen.
In der großen Pfanne über dem offenen
Feuer im Garten schmorte die Paella. Mar-
tin liebte Paella. michael gernandt
von johannes knuth
N
un steht also endlich fest, was
man von den Leichtathletik-Welt-
meisterschaften halten darf, die
gerade in Doha zu Ende gegangen sind.
Es waren „die qualitativ hochwertigsten
aller Zeiten“, wie der Weltverbands-Präsi-
dent Sebastian Coe in einer Mitteilung
verkündete. Auch die Bedingungen fand
Coe „unübertroffen“ – wobei er in sei-
nem Wort zum Sonntag zufällig die Lang-
streckenwettbewerbe vergaß, die nachts
im Ambiente eines Dampfbades stattfan-
den. Aber das bisschen Hitze muss einem
ja nicht die Bilanz verhageln. „Organisato-
risch ist alles wunderbar gelaufen“, assis-
tierte Jürgen Kessing, der Präsident des
deutschen Verbandes; er sei in Doha auch
immer wieder angenehm überrascht wor-
den. Wenn er nur sehe, „wie die Kataris
stolz sind, dass sie deutsche Produkte
haben, von den Autos bis zu Aufzügen
und Sanitäranlagen – da gibt es exzellen-
te Verbindungen, die man weiter pflegen
kann“. Wäre das auch geklärt.
In einer Sache hatte Coe freilich recht:
An manchen Abenden zog ein Gewitter
an Fabelleistungen auf, das einem die Sin-
ne betäubte. So gut waren viele Darbie-
tungen, dass die neuen Gesichter des
Sports schon wieder in den alten Zwie-
spalt rutschten. Man kann niemanden oh-
ne einen aktenkundigen Positivtest über-
führen. Man kann aber auch niemandem
blind trauen, der sich dopingumwitter-
ten Trainingsnestern anschließt oder Fa-
belrekorde aus den Hochzeiten des
Turinabol-Konsums ins Wackeln bringt,
wie über 400 Meter der Frauen. Dafür
sind die Anti-Doping-Radare der Verbän-
de noch immer zu störanfällig.
Der Weltverband hat seine Ermitt-
lungsarbeiten seit zwei Jahren an eine In-
tegritätseinheit ausgelagert, die Athletics
Integrity Unit. Sie hat in dieser Zeit mehr
als 600 Dopingfälle verhandelt, weltweit,
darunter waren und sind Dutzende Hoch-
leister. Das ist verdienstvoll, und doch
mündet das bestenfalls in Fangquoten
einstelligen Prozentbereich. Und die Rea-
lität? Eine anonymisierte Studie aus Lau-
sanne befand zuletzt, dass bei den Welt-
meisterschaften 2011 und 2013 allein 18
Prozent der Teilnehmer Blutdoping be-
trieben hatten. Eine andere Forschungs-
gruppe hatte für 2011 eine Doping-Ge-
samtquote von mindestens 30 Prozent er-
rechnet. Das ZDF berichtete vor der WM
über anhaltenden Chemiebetrug in Ke-
nia, die ARD über dubiose Vorgänge in
Marokko. Bei den Amerikanern, mit 29
Medaillen der mit Abstand erfolgreichste
Verband in Doha, spurteten einst gesperr-
te Veteranen (Justin Gatlin, Michael Rod-
gers) neben Christian Coleman, 23. Der
neue 100-Meter-Weltmeister war einer
Sperre vor der WM nach drei verpassten
Tests gerade noch entkommen.
Der Weltverband hat in Doha wieder
Athleten nachträglich geehrt, die nach po-
sitiven Nachtests der Konkurrenz im Me-
daillenranking aufgerückt waren. Die pol-
nische Hammerwerferin Anita Wlodarc-
zyk erhielt zum WM-Start ihre Goldme-
daille, die sie im Grunde schon 2013 ge-
wonnen hatte. Als sie im Stadion die Hym-
ne spielten, um den süßen Moment ein
wenig nachzustellen, waren die Ränge
fast leer. Was wohl vom Bildergewitter
von Doha in sechs Jahren noch übrig ist?
Alleskönner auf außergewöhnlichem Niveau
Zehnkämpfer, Hürden-Weltrekordler, Staffel-Olympiasieger – und doch unvollendet: Die deutsche Leichtathletik hat nie einen höher Begabten erlebt als Martin Lauer. Ein Nachruf
Gold Silber Bronze Gesamt
- USA 14 11 4 29
- Kenia 5 2 4 11
- Jamaika 3 5 4 12
- China 3 3 3 9
- Äthiopien 2 5 1 8
- Großbritannien 2 3 0 5
- Deutschland 2 0 4 6
- Japan 2 0 1 3
- Niederlande 2 0 0 2
Uganda 2 0 0 2
DEFGH Nr. 232, Dienstag, 8. Oktober 2019 23
Turnen
Bei der WM in Stuttgart bietet das
deutsche Männerteam eine
mitreißende Vorführung 24
Fußball
Trainer Marco Rose führt Gladbach
an die Liga-Spitze, mahnt aber
zur Nüchternheit 25
LEICHTATHLETIK-WM
Störanfällige
Radare
Medaillenspiegel der WM
Die 25-Jährige wirkt so, als könne
sie, wenn es zählt, mit ihrer
Disziplin anstellen, was sie will
Die Fangquoten reichen nicht
annähernd an die Realität heran
SPORT
Mit längerem
Anlauf
Zum unerwartet harmonischen
Finale der WM in Katar liefert
Malaika Mihambo das deutsche Glanzlicht
HEUTE
Ein Kerl aus Kalk bei Köln: Martin Lauer machte sich in den Fünfzigerjahren als Hürdensprinter einen Namen, der weit über
das Ende seiner Sport-Karriere hinaus gefragt war. FOTO: HORSTMÜLLER / IMAGO, CLAUS BERGMANN / IMAGO
Malaika Mihambo, 25. FOTO: IMAGO
Weit, weiter, Mihambo:
Die Deutsche landete die drei
weitesten Versuche des
Wettkampfs in Doha.
FOTO: SEBASTIEN BOUE / WITTERS
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