es verschiedene Ursachen: Abholzung und Wil-
derei, eingeführte Krankheitserreger, Klimawan-
del, Überfischung und die Versauerung der
Meere. Alle lassen sich auf einen Schuldigen
zurückführen. Der große Naturforscher E. O.
Wilson schrieb, dass der Mensch „als erste Art
in der Geschichte des Lebens auf der Erde zur
geophysikalischen Kraft geworden ist“. Mit
anderen Worten: Der Asteroid sind diesmal wir.
WAS GEHT VERLOREN, wenn eine Tierart ver-
schwindet?
Man kann sich Arten, egal ob Ameise oder Affe,
als Antwort auf ein Rätsel vorstellen: Wie ist es
möglich, auf dem Planeten Erde zu überleben?
Jedes Artengenom bildet sozusagen ein Bedie-
nungshandbuch mit einer mögliche Lösung.
Geht die Art unter, geht auch das Handbuch ver-
loren. So gesehen plündern wir gerade eine ganze
Bücherei: die Bibliothek des Lebens. Wilson
bezeichnet die kommende geologische Epoche
nicht mehr als das Anthropozän, also das vom
Menschen geprägte Zeitalter, sondern als das
Eremozoikum – das Zeitalter der Einsamkeit.
Seit 1 3 Jahren fotografiert Joel Sartore Tiere
für sein Projekt „Photo Ark“, „Foto-Arche“. Er will
jede einzelne Spezies dokumentieren. Immer
häufiger hat er Exemplare aus Zoos oder spe-
ziellen Zuchtprogrammen vor der Kamera, die
zu den letzten ihrer Art zählen. Manchmal sind
sie die einzigen Überlebenden.
Wie Toughie, ein aus Zentralpanama stam-
mender Rabbs-Fransenzehen-Laubfrosch, der
im Botanischen Garten von Atlanta gehalten
wurde. Toughie war das letzte bekannte Exem-
plar seiner Art. In seinem natürlichen Lebens-
raum wütete eine Pilzkrankheit. Ein Zucht -
programm scheiterte. Als Toughie 2016 starb,
war dies wohl das Ende der Rabbs-Fransen-
zehen-Laubfrösche.
Der Sehuencas-Wasserfrosch Romeo (siehe
Seite 54) lebt im naturgeschichtlichen Museum
von Cochabamba in Bolivien. Auch er galt als
letzter Überlebender seiner Art. Dann erstellten
Biologen auf einer Online-Partnerbörse ein Profil
für ihn – mit einem Link zu einer Spendenseite.
25 000 Dollar gingen ein. Damit wurden Expedi-
tionen in die Ostanden unterstützt, wo die Art
früher in großer Zahl vorkam. Und tatsäch-
lich: Forscher fanden fünf weitere Sehuencas-
Wasserfrösche. Die beiden männ lichen und drei
weiblichen Tiere wurden nach Cochabamba
gebracht. Das einzige geschlechtsreife Weibchen
erhielt den Namen Juliet. Ob sie eine geeignete
Partnerin für Romeo sein und die Art weiterfüh-
ren wird, kann noch niemand sagen.
War der Laubfrosch ein schönes Tier? Nicht
auf so unwiderstehliche Weise wie der Spix-Ara
(gilt als in freier Wildbahn ausgestorben) oder
der stark gefährdete Goldlangur. Aber mit
seinen ausdrucksvollen braunen Augen und
langen Beinen besaß der Frosch seinen eige-
nen Reiz.
Sartore begegnet allen Lebewesen mit Ach-
tung. In seinen Bildern fängt er das Wesen der
Tiere ein. Zu meinen Lieblingsbildern gehört die
Aufnahme einer Baumschnecke (Partula
nodosa), wie sie gerade eine Schleimspur zieht.
Einst gab es im Südpazifik Dutzende Arten
dieser Schnecke. Sie lebten auf mehreren In-
seln und besetzten verschiedene ökologische
Nischen. Ähnlich wie Darwinfinken sind sie für
Evolu tionsbiologen wichtig, weil sie Beispiele
für die Macht der natürlichen Auslese sind. Ein-
geschleppte fleisch fressende Schnecken aus
Florida ließen fast ein Drittel der Partula-Arten
verschwinden. Einige überleben nur, weil Zucht-
programme ein gerichtet wurden.
Wir leben in einer ungewöhnlichen Zeit. Wenn
wir das verstehen, haben wir die Chance, eine
Welt zu bewahren, in der – soweit das noch mög-
lich ist – die wunderbare Vielfalt des Lebens
weiter besteht. N
Aus dem Englischen von Sabine Schmidt
Elizabeth Kolbert ist auf Umweltthemen spezi ali-
siert. Ihr Buch „Das sechste Sterben“ wurde zum
Bestseller. Joel Sartores größtes fotografisches
Projekt ist die von ihm initiierte Photo Ark.
Mehr Info unter: natgeophotoark.com
ES STERBEN
SO VIELE
ARTEN AUS, DASS WIR
DAS AUSMASS
KAUM BEGREIFEN UND
ABSTUMPFEN.
FOTOS SIND SCHON
DESHALB SEHR
WICHTIG. SIE HELFEN
UNS, SENSIBEL
UND WACHSAM
ZU BLEIBEN.
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