IRGENDWAS IST JA IMMER
Wie war das noch mal mit Elizabeth Tay-
lor und Richard Burton? Haben sie sich
zuerst gehasst, dann geliebt, dann wieder
gehasst, wieder geliebt, wieder ...? Oder
fing diese berühmte Hassliebe, dieser be-
rüchtigte Liebeshass mit dem Lieben an?
Wer weiß das schon? Das Einzige, woran
ich mich erinnern kann, ist, dass die Film-
geschichte wahrscheinlich keine schönere
Frau gesehen hat als Liz Taylor in Die
Katze auf dem heißen Blechdach. Na ja,
vielleicht noch Michelle Pfeiffer in Die
fabelhaften Baker Boys. Und Uma Thur...
aber wir kommen vom Thema ab.
Zu lieben, was man früher gehasst hat,
das kennt wohl jeder. Bei mir trifft das zum
Beispiel auf Rosenkohl, Wandern und
Pfälzer zu. Als Kind hasst man Rosenkohl,
weil es Rosenkohl ist, Wandern, weil in der
Natur keine rechteckigen Felder mit zwei
Toren drauf wachsen. Und Pfälzer hasste
ich, weil ich Saarländer bin und das Pfälzer-
Hassen so lange für regionale Lebensart
hielt, bis ich erkannte, wie unsagbar dämlich
es ist, diejenigen zu hassen, die genauso sind,
wie man selbst ist. Wegen Helmut Kohl hat
der Prozess des Pfälzer-lieben-Lernens aller-
dings deutlich länger gedauert als die Phase
meiner emotionalen Neuorientierung beim
Rosenkohl. Und beim Wandern auch.
Jetzt liebe ich was Neues, was ich früher
gehasst habe: das Campen. Camper waren
für mich immer die größten Spießer. Kaufen
sich im Outdoor-Laden sauteure Fjällräven-
Hosen, North-Face-Windjacken und Lowa-
Boots, setzen sich eine dämliche Stirnlampe
auf, fahren, Entschuldigung: traveln in die
Bretagne, die Camargue oder nach Schwe-
den, wo sie ganz viele andere Fjällräven-
Hosen-Träger treffen, um sich gemeinsam
ganz individuell zu fühlen. Und frei. Zelt an
Zelt – und Wohnwagen an Wohnwagen.
Nun campe ich gerade selbst, und ich
muss sagen: Es ist großartig! Der erste
Kaffee am Morgen schmeckt einfach an-
ders, wenn man die Nacht im selbst auf-
gebauten Zelt verbracht hat. Wer die
Wonnen banaler Spaghetti mit Tomaten-
soße neu entdecken will, sollte sie auf der
einzigen Kochplatte eines Gasherdes zu-
bereiten.
Und wer glaubt, der moderne Mensch
müsse heutzutage klimaneutral reisen,
um sich modern und als Mensch zu füh-
len, sollte sich einen Jeep mit Vierrad-
antrieb, eingebautem Kühlschrank, eige-
nem Kompressor und Warmwasserdusche
leihen. Und durch Namibia reisen. Das
Land, in dem ich das Campen lieben
lernte. Natürlich in Fjällräven-Hose.
LIEBE
Rosenkohl schmeckt furchtbar, und Camper sind die größten Spießer. Denkste! VON PETER DAUSEND
Peter Dausend
ist Politischer
Korrespondent
im Hauptstadt-
büro der ZEIT
aut neue Atomkraftwerke!, forderte
vergangene Woche an dieser Stelle
(ZEIT Nr. 41/19) Rainer Klute. Die
»smarte« Kernenergie der Zukunft soll
sauber, sicher und rentabel sein – dies-
mal wirklich. Atommüll verbrennen
und damit CO₂-arm Strom produzie-
ren, das klingt erst einmal großartig.
Aber das ist es nicht.
Die neue Reaktorgeneration, die
all das leisten soll, wird zum Teil seit
Jahrzehnten beforscht. Trotzdem ist vieles von dem,
was ihre Verteidiger in robuster technokratischer Dik-
tion vortragen, im aktuellen Entwicklungsstadium
mehr Glaube denn Gewissheit.
Es gibt noch keine Nachweise darüber, dass die be-
haupteten Vorteile sich verwirklichen lassen. Unter an-
derem das Problem der starken Materialbelastung durch
hohe Reaktivität ist ungelöst. Außerdem produzieren
auch die vermeintlichen »Atommüllfresser« Abfall, für
den es neue, teure Entsorgungsstrategien braucht.
Darüber hinaus fragt sich, warum die neue Tech-
nologie ökonomischer sein sollte als die bisherige.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung
(DIW) beziffert den durchschnittlichen Verlust bei
Neuinvestitionen pro Kernkraftanlage auf 4,8 Mil-
liar den Euro. Die Lagerung von Atommüll und der
Rückbau sind dabei noch gar nicht eingerechnet.
Kostengünstiger ließen sich Kernkraftwerke nur dann
bauen, wenn man Abstriche bei den Sicherheitskon-
zepten machen würde.
Selbst wenn man die Studie bezweifelt – was die
Befürworter der Kernenergie tun –, ganz ohne Zwei-
fel würden auch in Zukunft Atommeiler nicht versi-
cherbar sein. Die potenziell katastrophalen Schäden
wären jeder Versicherungsgesellschaft zu hoch. Die
Kosten trüge im Ernstfall die Allgemeinheit – und
zwar nicht nur die finanziellen. Absolute Sicherheit
bleibt im Zusammenhang mit Atomenergie schließ-
lich eine Illusion.
Der Traum der Atomwirtschaft, die Welt flächen-
deckend mit schnellen Reaktoren auszustatten, könnte
sich aber auch in anderer Hinsicht in einen Albtraum
verwandeln. Denn die Brüter-Reaktoren können zur
Herstellung von potenziell waffenfähigem Plutonium
genutzt werden. Damit wächst das Risiko der Ver-
breitung von Atomwaffen immens – eine Horror-
vorstellung angesichts der Weltunordnung, in der die
wichtigsten nuklearen Nichtverbreitungsabkommen
gerade bröckeln.
Eine Renaissance der Kernenergie würde voraus-
setzen, viel öffentliches Geld und viel Zeit in eine
Technologie zu investieren, deren Erfolg unsicher ist
und die für Mensch und Umwelt hochriskant bleibt.
Dabei drohten die notwendigen Investitionen in er-
neuerbare Energien verschleppt zu werden.
Die Befürworter der Kernenergie rücken, um de-
ren Risiken zu überspielen, die Risiken des Klima-
wandels in den Vordergrund. Aber dieses Argument
zieht nicht, weil wir um die Alternativen wissen. Der
Ausstieg aus der Atomenergie war in Deutschland
zugleich auch der Einstieg in die Energiewende, die,
bei allen Herausforderungen, ein plausibler, sicherer
und bezahlbarer Pfad bleibt.
Dezentrale Versorgung mit Speichern samt Infra-
struktur und Produktion in Bürgerhand, so sieht das
Energiesystem der Zukunft aus.
Energiepolitik muss sich der gesellschaftlichen De-
batte stellen. Das hat die Atomenergie in Deutschland
zweimal nicht überstanden. Die kommerzielle Nut-
zung der Kernkraft ist eine Geschichte des Scheiterns,
der Katastrophen und des Vertrauensverlustes.
Der GAU in Tschernobyl, wo riesige Gebiete »aus
der Geschichte herausgeschnitten« wurden (Alexander
Kluge), konnte im Westen noch als »kommunistische
Krise« ausgesondert werden. Mit dem Unglück im
Hightech-Land Japan geriet jedoch die Behauptung
von der beherrschbaren Atomkraft erneut ins Wan-
ken – in Deutschland und in anderen Ländern stand
eine gesellschaftliche »Aktualisierung des Restrisikos«
an. Die kommerzielle Nutzung der Kernkraft ist auf
dem Weg ins energiepolitische Endlager. Belassen wir
es dabei. JOCHEN STEINHILBER
Der Autor leitet das Referat Globale
Politik und Entwicklung der SPD-nahen
Friedrich-Ebert-Stiftung
Das ging aber daneben! Unser
Kolumnist Ulf Poschardt über
den Twitter-Tiefpunkt der Woche
Kleinkunst ist die Kunst, die es mit sich
selbst nicht so ernst meint. In ihr wird mehr
gemacht als gedacht, um bei ihren klein-
bürgerlichen Konsumenten eine warenför-
mige Nachdenklichkeit zu erzeugen: Kopf-
wiegen, Stirnrunzeln, Seufzer. Jaja, die Welt
da draußen, die da oben et cetera pp.
Furchtbar.
Die Red Rebels sind Meister der Klein-
kunst-Königsdisziplin, der Pantomime, und
sie sorgen bei Demonstrationen neben den
Rap-, Singer-Songwriter- und Politik-
darstellern für poetische Momente, so wie
eine Rondò-Veneziano-CD oder eine
Gröne meyer- Parteitagsreden-Travestie. Bei
der #berlinblockieren-Demo am Montag
sollten die rot gewandeten Karnevalisten jene
Publikumsmassen ziehen, die zum Fleißige-
Hand werker-und-Krankenschwestern-beim-
Pendeln- Ärgern nicht kommen wollten. Der
Tweet (oben) hat aber nicht gezogen.
Vielleicht weil Berliner so einen Kram
nur aus den Fußgängerzonen der Provinz
kennen oder aus dem Fetisch-Club in der
Nachbarschaft – und eines so wenig verlo-
ckend ist wie das andere. Überhaupt die
Provinz: Die krassen Ultrarebellen wider
die Auslöschung und das Ende der Welt
mussten ihre knappen Hundertschaften aus
der ganzen Republik zusammenkarren, um
die an sich super entspannten Berliner ein
wenig zu nerven.
Die roten Mimen tänzelten so schein-
anmutig zwischen Tischpflanzen und Klapp-
stühlen, die am Potsdamer Platz im Herzen
der Metropole aufgestellt wurden, dass am
Ende alles aussah wie Provinz. Das passte zur
Musik, der süßen Wut und den so roten
Rebellen. Nichts hätte die Sektenhaftigkeit
der Klimareligiösen besser illustrieren kön-
nen als diese Gewänder, die mit ihrem Rot
an – Vorsicht, Kleinkunstphilosophie – das
Blut erinnern sollten, das alle Lebewesen ver-
bindet. Heimlich meint es aber wohl auch
das Rot des päpstlichen Mantellos und seiner
Schuhe. Schließlich versteht sich Xtinction
Rebellion (XR) auch als moralische Erwe-
ckungsbewegung.
Es sind verrückte Zeiten, wenn man
eine Öko-Linksradikale wie Jutta Ditfurth
retweeten will, weil selbst ihr der XR-Kram
zu bescheuert geworden ist.
VERTWITTERT
Eine Idee fürs Endlager
Atomkraft gegen den Klimawandel? Klingt gut – wäre es aber ganz und gar nicht
Muss man sich für dieses Bild schämen? Der kanadische Premierminister Justin Trudeau tut es.
Vor 19 Jahren schminkte er sich das Gesicht schwarz. Bei der Wahl am 21. Oktober könnte ihn dies
das Amt kosten. Denn heute gilt »blackfacing« als rassistisch
Foto: The Yearbook/Time/Reuters
@XR_Ruhrgebiet
#redrebels an der Siegessäule. Wir brauchen
dringend mehr Support hier. #Berlin, deine
Chance Haltung zu zeigen! #Klimaschutz
JETZT!! #ExtinctionRebellion#Berlin-
Blockieren
getwittert am 7. Okt. 2019 um 14:59 Uhr
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ZEILEN
...
B
WIDERSPRUCH
Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit
Ulf Poschardt ist
Chefredakteur
der Welt- Gruppe.
An dieser Stelle
schreibt er im
Wechsel mit
Anja Reschke,
der Moderatorin
der ARD- Sendung
»Panorama«
Kl. Fotos: Twitter; Lengemann/WELT (r.); Urban Zintel für DIE ZEIT (u.)
12 STREIT 10. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 42