Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

W


er in Sherko Fatahs
Roman Schwarzer
September nur hi­
nein blättert, wird
an einen Thriller
den ken, einen
Agen tenkrimi über
den libanesischen Bürgerkrieg und den palästi­
nensischen Terror der Siebzigerjahre, mit viel
Geheimdienst, toten Briefkästen, Folterszenen
und jenen genretypisch leeren Sätzen: »Amos
erhob sich aus dem schweren abgewetzten
Leder sessel.« – »Er lehnte sich hinaus und
blickte in die Gasse hinunter.« – »Amos warf
sich wieder in den Ledersessel und seufzte.«
Es ist dann aber doch kein Thriller, jeden­
falls keiner, den man der gewöhnlichen Un­
terhaltungs­ und Spannungsliteratur zuschla­
gen könnte. Der Grund ist einfach: Es gibt
keinen positiven Helden. Es gibt keinen Trost
und kein versöhnliches Ende, nicht einmal
ein sinnstiftendes. Die Welt wird nicht verein­
facht, sondern verkompliziert. Der Roman be­
ginnt mit dem Attentat auf den jordanischen
Premierminister Wasfi Tell 1971 und endet
mit dem Bombenanschlag auf die amerika­
nische Botschaft in Beirut 1983. Dazwischen
werden sämtliche Figuren des Romans ver­
schlissen, ermordet oder selbst zu Mördern, in
ihrer moralischen Glaubwürdigkeit ruiniert
oder an ihren eigenen Idealen irre.
Zwischen 1971 und 1983 liegen Auf­
stieg und Niedergang der Terrorbewegung
Schwarzer September. Sie entstand mit der
Vertreibung der palästinensischen Flücht­
linge aus Jordanien 1970, und sie war es,
die den Racheakt an Wasfi Tell verübte und
wenig später den verheerenden Anschlag auf
die israelische Olympiamannschaft 1972 in
München. Sie knüpfte die Verbindung mit
deutschen Terroristen und internationali­
sierte den Palästinakonflikt. Ihr Anführer
war Ali Hassan Salameh, genannt der »Rote
Prinz«, ein Mann mit auffälligem Lebensstil –
und unauffälligen Kontakten zur CIA.
Einer Quelle zufolge soll er den Ame­
rikanern Schutz vor Attentaten garantiert
und dafür finanzielle und politische Unter­
stützung verlangt haben. Jedenfalls hat der
Mann, der in Fatahs Roman keine Ruhe auf
dem Ledersessel findet, genügend Grund zur


Sorge. Hinter dem Namen Amos verbirgt
sich, kaum verfremdet, der CIA­Agent Bob
Ames, wahrscheinlich der Führungsoffizier
des Roten Prinzen.
Interessanterweise – und typisch für das
literarische Verfahren des Autors – formu­
liert dieser dubioseste aller Agenten zugleich
die faszinierendsten Analysen der Lage. Das
moralische Zwielicht, in dem er und die
anderen Romanhelden stehen, verhindert
nämlich keineswegs, dass sich der Leser mit
ihnen identifiziert – bis sie unversehens zum
Werkzeug einer höheren Intrige und von der
Bombe im Koffer, den sie ahnungslos abge­
holt haben, in die Luft gesprengt werden.
Denn die Zeit der bewussten Selbstmord­
attentate ist noch nicht gekommen. Sherko
Fatah führt seinen Roman aber genau bis
an die Schwelle, an dem der zynisch und
rational kalkulierte politische Terror in den
irrationalen, aber religiös tief empfundenen
Fanatismus unserer Tage umschlägt. Der
Grund liegt in der Zerstörung aller revolu­
tionären Hoffnungen durch Verrat und das
Ineinanderwuchern von staatlichen und ge­
heimdienstlichen Handlungen. Von diesem
Verrat handelt das Buch vor allem und von
dem blutgetränkten Filz, der damals im Li­
banon entstand.
Auch die mutmaßliche Hauptfigur hat
sich sowohl vom Schwarzen September
als auch von der CIA anwerben lassen und
muss nun die Anschläge beider Seiten aus­
führen. Vielleicht ist es dies, was den Roman
am weitesten von allen gewohnten Thrillern
absetzt – dass er den Leser mit seinen Sym­
pathien in die Machenschaften einbindet
und am Ende unschuldig­schuldig durch
das Blutbad waten lässt. Was hierzulande als
»Deutscher Herbst« sentimentalisiert wird,
verschwindet bei Sherko Fatah in der um­
fassenden Schwärze des Schwarzen Septem­
bers – kein nettes Buch, aber ein spannendes
und großartig unerbittliches.

DIE ZEIT 42/19


Blutgetränkter Filz


Sherko Fatah erzählt von den Anfängen des palästinensischen


Terrors und dessen Verbreitung über die Welt


VON JENS JESSEN

13


Sherko Fatah:
Schwarzer September
Roman; Luchterhand,
München 2019; 384 S., 22,– €,
als E­Book 19,99 €

«DasBuchistschön,
of tmelancholisch,abernie
larmoyant .»
Gio va nnidi Lorenzo, 3nach9

«Der cooledeutscheWe ltmann
Joop ,demnächs t75,hatge rade
seine Au tobiografie veröff entli cht,
‹DieeinzigmöglicheZeit›heißt
dasnachdenkliche,lustige ,böse
Buch.»DIE ZEIT

©IngePrader

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