DIE ZEIT 42/19 31
I
nternet, was bist du hässlich geworden.
Einst, da wollten dich doch noch Spät-
hippies auf den LSD-getränkten Hü-
geln San Franciscos zu einer digitalen
Gegenkultur verlöten. Und laudatierten
sich Journalisten bei Anne Will vor lau-
ter Begeisterung über das demokrati-
sche Po ten zial deiner sozialen Netzwerke – wir
erinnern uns an die »Face book- Revo lu tio nen« im
Arabischen Frühling – ins Delirium. Heute
jedoch dienst du, liebes Internet, bloß noch als
Kloschüssel, in die sich radikalisierte Milieus
übergeben. Als Rekrutierungsplattform hand-
fester Extremisten.
So sieht es zumindest die Autorin Julia Ebner,
die für ihr Buch Radikalisierungsmaschinen zwei
Jahre lang in diesem Internet in Stellung ging;
sie hat islamistische Chatgruppen infiltriert
und mitgelesen, wie Kostümnazis die Macht-
er greifung planen.
Ebner legt ihr Buch, man ahnt es, als eine
Art Krimi an. Mit der Detektivlupe im An-
schlag und einer Hand am Holster fahndet sie
nach verschlagenen Finsterlingen, und das ist
erstens, sorry, schrecklich langweilig. Vieles, was
man in den letzten Jahren über Fake- News und
digitale Propaganda lesen konnte, war spannen-
der, und eben: analytisch bereits deutlich weiter.
Denn Radikalisierungsmaschinen bleibt, zweitens,
schrecklich unterkomplex. Wie Ideologie entsteht
und in welchen gesellschaftlichen Verhältnissen
sie blüht, interessiert Ebner nicht. Den Wahl-
erfolg der Af D führt sie dann auch, leider kein
Witz, auf digitale Troll-Netzwerke zurück. Das
ist ähnlich schlicht wie ein Tom-Clancy-Roman,
aber da gibt’s wenigstens U-Boote.
Man kennt diese moralische Unerbittlich-
keit, mit der nicht mehr nach dem Warum
gefragt, sondern nur noch »Zugriff !« gerufen
wird, von der staatstragenden Nazi-Jagd eines Jan
Böhmermann, der passenderweise auch direkt
den Werbe claim auf dem Buchrücken beisteuert
(»Dieses Buch ist wichtig«). Bereits seit ihrem Vor-
gänger Wut darf sich Ebner »Spiegel-Bestseller-
Autorin« nennen, und man gönnt es ihr ja. Und
doch lässt sich über Radikalisierungs maschinen
leider nicht viel mehr sagen, als dass es ein Buch
ist von 334 Seiten, in dem nichts steht.
Nazi-Jagd
im Netz
Julia Ebner gegen die Trolle
VON MARTIN EIMERMACHER
Julia Ebner:
Radikalisierungs
maschinen
Suhrkamp Nova, Berlin
2019;
334 S., 18,– €, als
E-Book 15,99 €
«KarinKa lisas
Prosa erzeugt hier
einen Sog, dem
man sichnicht
entziehenkann.»
Bayern2
«In Ka rinKalisas
neuemRoman
spielt dasRadio
einegroße Rolle.
Mit dessen Hilfe
ve rsucht die
Protagonistin den
Mann zustelle n,
der eins tihreMut -
termissbrauchte.»
Deutschlandfunk Ro man. 351 S. Geb
.€22,– ISBN 978-3-
406-74093 -0
Der neue Roman derAutorin von
«Sungs Laden»
«Ein Buchvoller
leichter Sätze, in
denen dochdas
gesamteGewicht
des Lebens enthal-
tenist:die Hoff-
nung, die Angst,
die Lust.»
Oliver Creutz,
Ro man. 319 S., 13 Abb Stern
.Geb.€22,– ISBN 978-3-
406-73963-7
«Die BüchervonNorbertScheuer habe ichinden letz-
tenJahren mit am liebstengelesen. Seine leisen und
wuchtigen Bücher,seineve rrätselten und traumklaren.
Wenn Sie sieve rpassthaben, dann holen Sie es nach!»
Frank Meyer, DeutschlandfunkKultur