Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

Z


wei Wochen ist es her, dass ein
Großbrand in einer Chemiefabrik
in Rouen die Bürger aufschreckte –
und noch immer beklagen sich die
Menschen über mangelnde In­
formationen. Nun haben der US­Konzern
Lubrizol, dessen Fabrik brannte, und die Pari­
ser Regierung Unterstützung und gründliche
Aufklärung versprochen.
Gerade hat der französische Präsident Em­
manuel Macron gesagt, er werde »natürlich«
bald vor Ort sein. Premierminister Edouard
Phi lippe war schon dort, mehrere seiner Mi­
nister auch. Über der Hauptstadt der Nor­
mandie in Nordfrankreich lag vor zwei Wo­
chen eine schwarze Rußwolke. Nach ersten
Angaben der Präfektur des De parte ments
Normandie verbrannten in einer Lu bri zol­
Fabrik 5253 Tonnen Chemikalien, dabei ent­
standen möglicherweise krebserregende Di­
oxine. Lubrizol stellt in Rouen Zusatzstoffe
für Benzin, Diesel, Motoröle und Farben her.
Zudem hatte die Firma weitere 4500 Tonnen
Chemikalien in einem benachbarten Lager
eingelagert, die ebenfalls verbrannten. Das


gab die Präfektur aber erst eine Woche nach
dem Unfall bekannt.
Dies ist nur ein Grund, weshalb Bürger­ und
Umweltgruppen am Diens tag abend vor dem
Justizpalast in Rouen zum wiederholten Male
demonstrierten. Denn auch noch zwei Wochen
nach dem Unfall berichten die Menschen von
Übelkeit, Halsweh und beißenden Gerüchen. In
Gärten und an Mauern kann man schwarze Ruß­
rückstände sehen. Besonders hart trifft es die
Landwirte der Umgebung. Für 1800 landwirt­
schaftliche Betriebe haben die Behörden einen
sofortigen Produktions­ und Lieferstopp angeord­
net. Entschädigungszahlungen sollen bald folgen.
Doch wer übernimmt sie?
»Wir werden Geld, Dienstleistungen und Per­
sonal zur Verfügung stellen, aber ich weiß nicht,
wie viel Geld und welche Hilfe nötig ist«, gab
Lubrizol­Chef Eric Schnur eine Woche nach dem
Unfall bekannt. Kurz darauf wünschte sich Pre­
mierminister Phi lippe, dass »ein so großes Unter­
nehmen schneller den Anliegern finanziell zu
Hilfe kommt, die Schaden erlitten haben«. Doch
wer ist verantwortlich? Schnur wagte die Hypo­
these, dass der Brand nicht auf dem eigenen Fa­

brikgelände, sondern in dem benachbarten Lager
entstanden sei. Die Umweltorganisation Robin
des Bois fragt, wie einige sehr gefährliche Stoffe
undeklariert in das Lager kamen.
Mehr Klarheit soll die Staatsanwaltschaft in
Paris schaffen, die am Dienstag ein Verfahren ein­
leitete. In Rouen liegen schon über 130 Klagen
vor, darunter eine vom Bürgermeister der Stadt.
»Weder die Ursachen des Unfalls noch der genaue
Ort seines Ursprungs sind bislang festgestellt«, sagt
die Staatsanwaltschaft. Und niemand weiß, welche
giftigen Stoffe beim Brand freigesetzt wurden.
Lubrizol hat bereits Tausende Seiten Doku­
mente über den Inhalt seiner Lager zur Verfügung
gestellt. Die sind nicht leicht zu deuten. Die Ge­
sundheitsministerin wies darauf hin, dass manche
Stoffe erst kombiniert beim Verbrennen gefährlich
werden. Kein Wunder, dass Rouen nicht zur Ruhe
kommt. Einige Ältere fühlen sich dort an die ra­
dioaktive Wolke von Tschernobyl aus dem Jahr
1986 erinnert. Damals hatten die Behörden ge­
leugnet, dass sie überhaupt Frankreich erreichen
könne. Es ist offen, ob die Behörden die Bürger
diesmal besser informieren – und den Geschädig­
ten zügig geholfen wird. GEORG BLUME

Fra n k reich: Klären die Behörden den


Chemieunfall in Rouen nun auf?


DREI FRAGEN ZUR WOCHE


Foto: Daniel Roland/Getty

Deutsche Bank: Muss bald jeder fünfte


Mitarbeiter in Deutschland gehen?


Soziale Medien: Wa n n mu s s Facebook


Beleidigungen löschen?


A


lle glücklichen Banken gleichen
einander, jede unglückliche Bank ist
unglücklich auf ihre Weise. Dieser
Satz, frei nach Leo Tolstoi, taugt
hervorragend, um sich dem Elend
der Deutschen Bank anzunähern. Dass es mit der
größten deutschen Privatbank nicht zum besten
steht, wurde in dieser Woche mit einer neuen
Zahl bestätigt: 9000. So viele Stellen will die Bank
nach Informationen der Nachrichtenagentur
Bloomberg bis 2022 in Deutschland abbauen. Im
Geldhaus selbst will man das nicht bestätigen,
aber auch nicht dementieren, verweist auf laufende
Gespräche. Im Arbeitnehmerlager hält man die
Zahl durchaus für realistisch. Schließlich hatte
Deutsche Bank­Chef Christian Sewing im Som­
mer angekündigt, bis 2022 weltweit 18.000 Stel­
len abbauen zu wollen. Und da fast die Hälfte der
rund 92.000 Mitarbeiter des Geldhauses in
Deutschland beschäftigt sind, könnte das passen.
Dramatisch ist das allemal, denn es handelt
sich um mehr als jeden fünften Mitarbeiter. Wie
konnte das passieren? Das spezifische Unglück
der Deutschen Bank kann man auf viele Arten
beschreiben: grafisch mit dem Niedergang des


W


er im Netz beschimpft oder
bedroht wird, fühlt sich häu­
fig ohnmächtig. Soziale Netz­
werke wie Face book reagieren
aus Sicht der Betroffenen zu
langsam auf Beschwerden und lassen viele Bei­
träge durchgehen, auch wenn sie mehr als nur
die Grenzen des guten Geschmacks überschrei­
ten. Nun könnte ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs den Opfern von Hass im Netz ein
Stück Macht zurückgeben.
Eva Glawischnig wurde, als sie 2016 Chefin
der österreichischen Grünen war, unter ande­
rem als »miese Volksverräterin« beschimpft.
Face book weigerte sich damals, den Post zu lö­
schen, weil er aus der Sicht des Unternehmens
nicht gegen die sogenannten Gemeinschafts­
standards verstieß. Dabei handelt es sich um
ein von Face book selbst erstelltes Regelwerk,
nach dem die Plattform entscheidet, welche
Inhalte sie löscht. Die ehemalige Politikerin,
die heute für einen Glücksspielkonzern arbei­
tet, wollte sich damit nicht abfinden und zog
bis vor den Europäischen Gerichtshof. Der ur­
teilte am Donnerstag vergangener Woche, dass
Face book wort­ und sinngleiche Posts weltweit
tilgen muss, sofern ein Gericht sie als rechts­
widrig ansieht. Entscheidend sind hierbei zwei
Wörter: »weltweit« und »sinngleich«.
Bislang löscht Face book hässliche Kom­
mentare vielfach nicht, sondern macht sie bloß
unsichtbar, und das auch nur in jenem Land, in


dem eine Beschwerde anhängig ist. Konkret
heißt das: In Österreich sind Beleidigungen wie
jene gegen Glawischnig gesperrt, in Deutsch­
land dagegen noch auffindbar. Oder es gilt der
umgekehrte Fall: Rechtswidrige Posts, die Face­
book in Deutschland ausblendet, weil es Be­
schwerden aufgrund des Netzwerkdurchset­
zungsgesetzes (NetzDG) gegeben hat, bleiben
im Ausland mitunter weiterhin sichtbar. Dieses
»Geoblocking« muss der Konzern nach dem
Urteil des Europäischen Gerichtshofs nun wohl
überdenken.
Facebook wittert in der Entscheidung der
Richter einen Angriff auf die Meinungsfreiheit.
Sie untergrabe »das seit Langem gültige Prin­
zip«, dass kein Land einem anderen Land auf­
zwingen dürfe, was gesagt werden dürfe und
was nicht, erklärte eine Face book­ Spre che rin.
Auch den Auftrag, sinngleiche Inhalte bei er­
folgreicher Klage ebenso zu entfernen, sieht
Face book kritisch. Es sei unklar, was »sinn­
gleich« bedeute, und nahezu unmöglich, alle
ähnlich lautenden Kommentare mit einer Soft­
ware aufzuspüren. Face book fordert deshalb
eine Klarstellung durch nationale Gerichte.
Aus Sicht der Betroffenen stellt sich aber
noch eine andere Frage: Bedeutet das Urteil
wirklich, dass sich Hass im Netz jetzt »ganz
easy bekämpfen« lässt, wie Glawischnig ver­
gangene Woche in der österreichischen Talk­
show Fellner! Live auf die Frage sagte, wie sie
den Richterspruch einschätze?

Noch immer ist es für die Opfer von Diffa­
mierungen mühsam, sich dagegen zu wehren.
Das liegt auch an den umstrittenen Gemein­
schaftsstandards, Face books eigenem Instru­
ment gegen unzulässige Kommentare. Zwar
verweist das Unternehmen darauf, dass es allein
im ersten Quartal 2019 in Deutschland
160.000 Inhalte entfernt habe, welche die kon­
zerneigenen »Richtlinien für Hassrede« verletzt
hätten. Aber Face book räumt auch ein, dass bei
der Überprüfung von Verstößen gegen die Ge­
meinschaftsstandards »Fehler« passieren.
Gegen Beiträge, die aus Sicht von Face book
vertretbar sind – etwa solche, die den Holo­
caust leugnen –, müssen Nutzer ohnehin auf
anderem Wege vorgehen. Um das zu erleich­
tern, hat der Bundestag vor zwei Jahren das
NetzDG beschlossen. Das Gesetz soll Face book
und andere soziale Netzwerke dazu zwingen, in
Deutschland offensichtlich rechtswidrige In­
halte binnen 24 Stunden zu sperren.
Doch das gut gemeinte Gesetz gilt als Fehl­
schlag. Gerade mal 349 Inhalte hat Face book
im ersten Halbjahr 2019 nach NetzDG­Be­
schwerden entfernt. Weil die Plattform das da­
zugehörige Formular zu sehr versteckt habe,
verhängte das Bundesamt für Justiz im Juli ein
Bußgeld in Höhe von zwei Millionen Euro ge­
gen Face book. Immerhin hat Justizministerin
Christine Lambrecht das Problem mittlerweile
erkannt: Sie hat angekündigt, das NetzDG

nachzubessern. (^) ANN-KATHRIN NEZIK
Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt
Aktienkurses, historisch mit den Fehlern des Ma­
nagements vor, in und nach der Finanzkrise, mora­
lisch mit einem Sittenverfall, der zu Gesetzesverstö­
ßen und Gerichtsverfahren sonder Zahl führte. Am
Besten aber erfasst man das aktuelle Unglück der
Deutschen Bank mit einer weiteren Zahl. Insider
nennen sie CIR, was eine Abkürzung für Cost-to-
Income-Ratio ist, was wiederum darauf hindeutet,
dass es hier um etwas Grundsätzliches geht: das Ver­
hältnis von Kosten zu Erträgen. Je höher diese Zahl,
desto ausufernder sind die Verwaltungskosten im
Verhältnis zu dem, was die Bank einnimmt.
Bei der Deutschen Bank ist dieses Verhältnis au­
ßer Kontrolle. Trotz vielfältiger Sparversuche lag der
Wert im vergangenen Jahr nach Angaben der Bank
bei knapp 93 Prozent, im zweiten Quartal 2019 lag
er sogar über 100 Prozent. Sprich: Die Kosten fra­
ßen nicht nur einen Großteil der Erträge auf, sie
waren sogar höher. Schaut man in die Daten der
Aufseher bei der Europäischen Zentralbank, die
Europas größte Banken kontrolliert, so ist das nicht
normal. Im ersten Quartal 2019 hatten europäische
Großbanken laut EZB im Durchschnitt rund 70
Prozent Kosten im Verhältnis zu den Erträgen. Auf­
geschlüsselt nach Ländern steht Deutschland mit
85 Prozent besonders schlecht da, schlechter schnei­
det nur noch Belgien ab. Das liegt auch an der
Deutschen Bank. Andere Großbanken stehen bes­
ser da. Die italienische Großbank Unicredit liegt
aktuell bei 54 Prozent, die spanische Santander bei
unter 50 Prozent.
So ist der Stellenabbau bei der Deutschen Bank,
der nach erklärter Hoffnung des Betriebsrats ohne
betriebsbedingte Kündigungen ablaufen soll, auch
eine Notmaßnahme. Denn viele Optionen hat
Christian Sewing nicht mehr, die Sache nochmal zu
drehen. Das jahrelange Hoffen der Bank auf wieder
steigende Erträge ist so oft enttäuscht worden, dass
es keine Strategie mehr ist. Es bleiben die Kosten –
und die Personalkosten sind dabei ein großer Bat­
zen. Das liegt auch daran, dass die Deutsche Bank­
Mitarbeiter recht gut verdienen. Dazu kommt, dass
es durch die Übernahme der Postbank gerade in der
Verwaltung Doppelstrukturen gibt.
Allerdings dürften die Mitarbeitervertreter auf
einer Sache beharren: Dass auch die Doppelstruk­
turen im mittleren und höheren Management abge­
baut werden. Da spart man je Kopf am meisten.
Und da gibt es nach Ansicht vieler Deutsch­Banker
eine Menge Potenzial. LISA NIENHAUS
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