hektischen Zeit. Vor allem, wenn man sie mit
Kreativität kombiniert. Auch die soll durch Blau
befördert werden. Das steht zumindest in einer
Studie, die das Wissenschaftsmagazin Science 2009
veröffentlichte.
Zum Teil liegt es vermutlich daran, was wir mit
der Farbe verbinden. »Farben führen zu Assozia-
tionen mit konkreten materiellen, fassbaren
Ideen«, schrieb der französische Künstler Yves
Klein, der für seine monochromatischen Meister-
werke in Blau berühmt ist. Kleins Liebe zu der
Farbe ging in die Kunstgeschichte ein. »Blau erin-
nert vor allem anderen an das Meer und den Him-
mel, die abstraktesten Aspekte der fassbaren und
sichtbaren Natur«, erklärte er seine Begeisterung.
Auch der Chemiker Erick Leite Bastos klingt nach
Künstler, wenn er über Blau redet: »Es ist einfach
eine fantastische, faszinierende Farbe.«
Für den Wissenschaftler ist Blau aber noch
mehr: eine Herausforderung. »Einen blauen Farb-
stoff zu machen ist das Schwierigste. Zumindest
wenn man will, dass die Menschen nicht sterben,
wenn sie ihn essen.« Denn Blau ist – außer am
Himmel – in der Natur relativ selten, das hatte
schon Goethe in seiner Farbenlehre notiert. Und
das gilt umso mehr für ein Blau, dessen Bausteine
verwendet werden können. Das Blau des Meeres
oder des Himmels lässt sich kaum nutzen. Auch
Tiere, die sich mit blauen Federn oder Schuppen
schmücken, haben in der Regel kein blaues Pig-
ment. Stattdessen tragen sie winzige Strukturen
an der Oberfläche, die Licht so streuen, beugen
und brechen, dass nur blaues Licht das Auge des
Betrachters erreicht.
Sogar im Pflanzenreich gibt es nur eine Klasse
von Pigmenten, die Blau erzeugen: die Anthocyane.
Das altgriechische Wort bedeutet »blaue Blüte«.
Doch selbst um dieses Blau muss die Natur müh-
sam ringen. Denn die Chemie hinter der Farbe der
Kornblume oder des Salbeis ist kompliziert: Sie
kommt durch einen riesigen Komplex zustande, in
dem sich sechs Anthocyan-Moleküle und sechs
andere Moleküle wie die Speichen eines Rads um
zwei zentrale Metallionen anordnen. »Blumen
machen verrückte Chemie, um dieses Blau zu er-
zeugen«, sagt die Botanikerin Beverley Glover von
der Universität Cam bridge.
Der Grund liegt in den physikalischen Eigen-
schaften der Farbe. Um blau zu erscheinen, muss
ein Molekül rotes Licht absorbieren. Das reflek-
tierte Restlicht erscheint uns Menschen dann blau.
Organische Moleküle, wie Pflanzen und Tiere sie
erzeugen, absorbieren Licht in der Regel, indem
sie die Energie eines Lichtteilchens nutzen, um ein
Elektron von einer Energiestufe auf die nächste zu
heben. Doch die meisten Elektronen sitzen zu fest
in den organischen Molekülen, um vom roten
Licht angeregt zu werden. Denn rotes Licht ist das
am wenigsten energiereiche Licht im sichtbaren
Spektrum. Darum muss ein Molekül, das rotes
Licht absorbieren soll, Elektronen haben, die be-
sonders locker sitzen. Das passiert aber eher in
großen und verzweigten Molekülen. »Einfach ge-
sprochen: Je komplizierter die Struktur eines
Moleküls, umso eher bekommen Sie damit Blau«,
sagt der Chemiker Richard van Breemen. Und je
komplizierter ein Molekül, desto mehr Arbeit ist es
für einen Organismus, es zu produzieren. Darum
sind blaue Moleküle in der Natur selten.
Die Voraussetzungen für ein natürliches Blau,
das der Mensch direkt aus der Natur gewinnt, sind
also eher schlecht. Und das einzige solche Blau, das
vor Kurzem für Lebensmittel zugelassen wurde, ist
auch nicht besonders vielversprechend. Spirulina
ist ein Extrakt der Blau alge Arthrospira platensis.
Das Bakterium wird vor allem in den Tropen in
offenen Gewässern kultiviert und geerntet. Das
Angebot ist allerdings begrenzt. Ein weiteres Pro-
blem ist, dass das Eiweiß sich unter UV-Licht ver-
ändert und verblasst. »Und es ist ein furchtbares
Blau«, sagt die Biochemikerin Cathie Martin, die
ebenfalls an einem blauen Farbstoff aus der Natur
arbeitet. »Eigentlich ist es eher grün.«
Martin hat sich auf die Anthocyane speziali-
siert. Am John Innes Centre in Norwich im Osten
Englands erforscht sie die Pigmente einer Pflanze,
deren Namen sie nicht sagen kann, ohne zu kichern:
Clitoria ternatea, die Blaue Klitorie. Es waren
natürlich Männer, die der Pflanze in Anlehnung
an das weibliche Geschlechtsorgan ihren Namen
gegeben haben. Tatsächlich erinnert die Blüte der
Pflanze an eine Klitoris. Woher genau die immer-
grüne Pflanze stammt, ist unklar, aber heute ist sie
auf der Erde weit verbreitet. In Malaysia gibt man
ihre Blüten zu kochendem Reis hinzu, um ihn
blau zu färben. In Teilen von Süd ost asien wird aus
den Blüten ein blauer Tee gemacht.
Ein grobes Extrakt der blauen Farbstoffe aus
der Blauen Klitorie habe sich bereits für einige
Lebensmittelanwendungen bewährt, sagt Martin.
Forscher in ihrem Labor haben es verwendet, um
bläulichen Zuckerguss für Cup cakes und Donuts
sowie blaues Eis zu machen. Aber auch diese Pig-
mente sind flüchtig. »Die meisten blauen Antho-
cyane haben eine Halbwertszeit von etwa 24 Stun-
den. Und wir benötigen etwas, das mindestens
drei Monate hält«, sagt Martin.
Rote Bete oder Blaue Klitorie –
welche Pflanze ergibt das bessere Blau?
Um dieses Problem zu umgehen, hat Richard van
Breemen gleich bei Organismen gesucht, die unter
extremen Bedingungen leben, etwa Bakterien in
den heißen Quellen des Yellowstone-National-
parks. Tatsächlich hat er bei solchen Mikroorga-
nismen einige schöne blaue Moleküle gefunden.
Doch sie eignen sich kaum als Lebensmittelfarbe.
Denn die Bakterien produzieren sie nicht für ihre
Farbe, sondern als Waffen im Kampf gegen andere
Mikroorganismen. Sie sind eher als Antibiotika
geeignet denn als Farbstoff.
Erick Leite Bastos hat sich für einen anderen Weg
entschieden. Anstatt ein Blau direkt aus der Natur zu
nehmen, versucht er seit einigen Jahren, die Grund-
struktur der Betalaine so zu verändern, dass dabei ein
Blau herauskommt, das die Natur selbst nicht pro-
duziert hat. Das ist ihm nun gelungen.
In seinem Labor nimmt eine Doktorandin ein
Fläschchen mit einer gelben Flüssigkeit in die
Hand. Es ist Betalaminsäure, die Grundstruktur
der Betalaine, gewonnen aus Roter Bete. Die
Wissenschaftlerin fügt ein paar Tropfen einer ande-
ren Chemikalie hinzu, schwenkt das Fläschchen,
und die Farbe schlägt um. Erst zu Grün, dann zu
einem tiefen Blau.
Bastos sagt, er liebe es, mit der Struktur eines
Moleküls herumzuspielen. »Ich bin so eine Art
Molekül-Psychologe.« Er hat auch die Struktur
seines blauen Farbstoffs an einem Supercomputer
errechnen lassen. Dass dabei am Ende wirklich ein
blauer Farbstoff herausgekommen sei, sei aber
»nur 20 Prozent Planung und 80 Prozent Glück«,
sagt Bastos.
Die Tests sind auf alle Fälle vielversprechend.
Er habe ein wenig von dem Farbstoff in eine Fla-
sche getan und auf seine Fensterbank gestellt, sagt
Bastos. »Sechs Monate später ist das immer noch
blau.« Zusammen mit einem Forscher an der Uni-
versität Berkeley versucht Bastos nun Bakterien
genetisch so zu verändern, dass sie den Farbstoff
günstig und in großen Mengen produzieren kön-
nen. Er hat auch die Giftigkeit seines Blaus an
Zellkulturen und Zebrafischen getestet. Und er
hat den Farbstoff genutzt, um Joghurt, Cellulose
und sogar Haare zu färben.
Es scheint fast, als stünde dem Siegeszug von
Bastos’ Blau nichts mehr im Weg. Wenn man ein-
mal davon absieht, dass es sich zwar nicht um ein
chemisches Blau handelt, aber doch um ein Blau,
das von genetisch veränderten Bakterien hergestellt
wird. Ob sich jene bewussten Konsumenten damit
arrangieren können, die sonst immer nach natür-
lichen Lebensmitteln verlangen? »Der Kern des
Moleküls kommt aus der Natur«, sagt Bastos.
»Und alles andere ist ohnehin Marketing.«
A http://www.zeit.de/audio
»Blau. Wie die Schönheit in die Welt kommt« heißt
das neue Buch von Kai Kupferschmidt, das dieser Tage
erschienen ist (Hoffmann und Campe, 240 S., 26,– €)
blau Fortsetzung von Seite 41
Die Blaue Klitorie (Clitoria ternatea)
wächst in den Tropen und Subtropen.
Mit ihren Blüten werden Speisen gefärbt
Der Blaue Drache (Glaucus atlanticus) ist
eine Wasserschnecke, die auch im
Mittelmeer vorkommt. Sie frisst Quallen
Der Blaue Pfau (Pavo cristatus) mag
farbenprächtig aussehen, ist aber
biologisch auch nur eine Art Haushuhn
CHEMIE
Fotos (v. l. n. r.): Howard Rice/GAP; Jeff Milisen/mauritius images/Alamy; Olaf Krüger/imageBROKER
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