Die Zeit - 10.10.2019

(Wang) #1

Das Chiltern Fire house im schicken Londoner Stadtteil Mary­


le bone ist ein angesagter Ort: In der zum Hotel mit Restaurant
umgebauten Feuerwache wurden schon Kate Moss und David


Beckham gesichtet, Lily Allen und Bill Clinton. An diesem
ungewöhnlich warmen und sonnigen Herbsttag spazieren


dort gut aussehende junge Männer, allerlei Raumdüfte ver­
sprühend, durch die plüschige, mit Stapeln von Architektur­


magazinen ausgestattete Lobby. Im dritten Stock empfängt
die Sängerin Tahliah Debrett Barnett zum Interview, besser


bekannt als FKA twigs. Die 31­jährige Britin, die als eines der
herausragenden Poptalente der Gegenwart gilt, liegt matt hin­


gestreckt auf einem Sessel und lässt sich die Fußnägel pedi­
küren: »Denken Sie nicht, dass so etwas bei mir normal ist!«,


stellt die Künstlerin grinsend klar. Seit einigen Wochen läuft
die PR­Maschinerie für ihr zweites Album Magda lene, das An­


fang November erscheinen soll. Und da der Terminkalender
der Künstlerin derzeit kaum Lücken lässt, werden jetzt eben


noch schnell während des Interviews ihre Fußnägel auf Hoch­
glanz gebracht; im Anschluss an dieses Gespräch muss sie so­


fort zu einem Auftritt bei der Londoner Fashion Week eilen.


Frau Barnett, stimmt es eigentlich, dass Sie sich nicht gern
fotografieren lassen?


Ich mag es tatsächlich nicht. Um mir diese Termine er­
träglicher zu gestalten, arbeite ich so oft wie möglich mit
Freunden zusammen, die sich um mein Aus sehen und so
weiter kümmern. Videos zu drehen ziehe ich Fotoshootings
eindeutig vor.
Warum?


Weil ich mich da besser ausdrücken kann. Ich liebe es,
mich zu bewegen. Ich bin eine Tänzerin, und das kann ich
in den Videos einbringen.
Wenn Sie sich ablichten lassen, dann meistens in aufwendi-


gen Inszenierungen. Ist in diesen Bildern alles eine Maske,
oder entdecken Sie sich in ihnen auch noch selbst?


Oh doch, absolut, ich sehe mich in den Bildern. Dafür
sorge ich schon!

Wie wichtig ist Ihnen Kontrolle?
Ich mag den Begriff Kontrolle nicht. Wahrhaftigkeit
kommt der Sache näher. Ich bin eine Wahrheitssucherin.
Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas verfälscht ist, kann
ich mich nicht mehr darauf einlassen. Es geht mir dabei
einzig und allein um meine Wahrheit. Andere Wahrheiten
interessieren mich nicht.
Nach Ihrem gefeierten Debüt »LP1« aus dem Jahr 2014


erscheint nun Ihr zweites Album. Warum haben Sie sich
dafür fünf Jahre Zeit gelassen?


Ich finde nicht, dass das eine lange Zeit ist. Sie müssen
bedenken, dass ich mich in meiner Herangehensweise von
den meisten Main stream stars unterscheide. Viele von de­
nen lassen ihre Songs von Hitfabriken fabrizieren – ganze
Armeen superguter Songschreiber produzieren da Hits am
Fließband. Zu denen hätte ich natürlich auch gehen kön­
nen, um mir dann zehn fabelhafte Songs herauszupicken.
Das hätte nicht länger gedauert als eine Taxifahrt von hier

zum Flughafen. Aber ich schreibe meine Texte und die
Musik nun mal selber. Und ich bin außerdem auch die
Co­Produzentin der meisten Songs.
Ihr neues Album ist insgesamt 38 Minuten lang, es besteht
aus neun Stücken. Aus wie vielen haben Sie die ausgewählt?
Aus Hunderten! Ich schreibe jede Woche um die zehn Songs,
manchmal drei am Tag. Meine Festplatten sind voll mit
Musik. Wenn ich eines Tages sterbe, wird da genug Material
sein für posthume Veröffentlichungen bis in alle Ewigkeit.
Sie mögen es angeblich nicht, dass Ihre Musik als R&B
bezeichnet wird.
(stöhnt laut auf ) Wo soll ich da anfangen? Gegen den Be­
griff an sich ist ja nichts einzuwenden. Aber für meine
Musik wird er nur benutzt, weil ich eine Frau mit dunkler
Hautfarbe bin. Das ist meiner Meinung nach schlampiger
Journalismus. Ich liebe R&B, und sicherlich hat das meine
Musik auch irgendwie beeinflusst. Aber mich haben eben
auch viele andere Genres mindestens genauso geprägt:
Klassik, Weltmusik, Ambient, Avant garde. Ich bin nicht so
leicht zu kategorisieren.
Als mögliche Bezeichnung für Ihre Musik haben Sie mal
»Punk« genannt. Nun klingen Ihre Songs völlig anders als
das, was die meisten Menschen mit Punk verbinden. Was
verstehen Sie unter Punk?
(langes Schweigen) Das ist eine sehr große Frage, denn ich
habe gewaltigen Respekt vor diesem Begriff. Ich definiere
mich als Punk, weil ich das, was ich mache, oft gegen gro­
ße Widerstände durchsetzen musste, besonders in meinen
Anfangszeiten. Meine Herkunft in meine Musik einfließen
zu lassen und mich gleichzeitig den üblichen Einordnungs­
prozessen zu widersetzen – das ist für mich Punk.
Waren Sie irgendwann mal ein Punk im herkömmlichen
Sinn?
Ja, in Punkbands habe ich begonnen, meine eigene Musik zu
machen. Das war in London, und ich war Anfang zwanzig.
Sie sind in Tewkesbury aufgewachsen, einem kleinen Ort
in der Grafschaft Gloucestershire im Südwesten Englands.
Was für Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Es ist eine hübsche, ländliche Gegend, und ich war ein
Kind mit viel Fantasie. Für mich war es eine Welt wie in
den Abenteuerromanen, die ich damals gelesen habe, in
denen Kinder über stillgelegte Eisenbahngleise rennen und
mit ihren Hunden durch die Felder streifen. Vor dem Fens­
ter meines Kinderzimmers stand ein gewaltiger Baum, der
mal von einem Blitz getroffen und gespalten worden war. In

»Die Meinungen anderer über mich brauche ich gar nicht – ich habe meine eigene Meinung über mich, die reicht mir«

Tahliah Debrett Barnett alias FKA twigs, 31,
vermengt in ihren Songs Pop, HipHop und
experimentelle Klänge. Ihr Debütalbum »LP1« (2 014)
war unter anderem für einen Grammy nominiert.
Anfang November erscheint ihr Album »Magdalene«;
für Ende November ist ein Konzert in Köln geplant

Seite 14 (vorn)

Seidentuch von Hermès, Ledermantel von Alexander McQueen, Kette und Armbänder von Bentley & Skinner, Nasenring, Zahn

­ und weiterer Schmuck privat; Seite 17 (rechts)

Nadelstreifenanzug mit Seidenblume von Celine by Hedi Slimane;

Styling

Matthew Josephs; Produktion

Sara Herdzik

/^ Iconoclast Image; Foto

­Assistenz

Maria Monfort Plana; Make

­up

Daniel Sallstrom

/^ MA World; Haare

Rio Sreedharan

/^ The Wall Group

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