FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. OKTOBER 2019, NR. 40 politik 3
Tschüs, Menschheit
PolitikZu „Greta nervt mich“ von
Livia Gerster (29. September):
Ich mache mir um die Zukunft unserer
Erde keine Sorgen. Die Richtigkeit von
Gretas Vorwurf bezieht sich auf die
Überlebensfrage der Menschheit, nicht
der Erde. Unsere Erde darf auf die
Halbwertszeit der Menschheit hoffen
und schon auf neue Perspektiven „the
day after“ setzen. Die Lächerlichkeit der
Umweltdiskussion liegt in dem religiö-
sen Wahn begründet, dass wir uns die
Erde untertan machen sollen.
Jürgen Dressler,Mülheim an der Ruhr
Greta nervt, aber ...
PolitikEbenfalls zu „Greta nervt mich“:
Zunächst die Zustimmung: Greta nervt,
insbesondere jener emotionale Auftritt
vor den Vereinten Nationen. Sie fiel aus
der Rolle, wie man so sagt. Aber was ist
ihre Rolle? Aufmerksamkeit für ein über-
fälliges Thema zu erzeugen? Das ist ihr
bislang sehr gut gelungen. Das bedeutet
aber auch, sich als Sprecherin, Ausrufe-
rin und Mahnerin in den Fokus der
Aufmerksamkeit zu begeben, mit allen
bekannten Nebenwirkungen. Die
schlimmste wäre, bald in Vergessenheit
zu versinken. Aber das wird Greta
Thunberg so schnell nicht passieren, da
sie eine weltweite Initiative miterschaf-
fen hat, der sie als Schild, Gesicht und
Stimme dient. Jener Fauxpas vor den
Vereinten Nationen war in dieser Hin-
sicht Gold wert. Er war pubertär, an-
stößig und doch in der Sache richtig.
Wie sang der damals anstößige Bier-
mann? „Wenn solche wie du entschie-
den zu kurz gehen / Dann gehn eben
andre ein bisschen zu weit!“
Bernd Markowsky,
Gondomar (Portugal)
Diese Göre
PolitikEbenfalls zu „Greta nervt mich“:
Ich wage es: Wie kann Greta es wagen,
einen Rentner wie mich, der ein halbes
Jahrhundert steuerpflichtig arbeitete, da
und dort für höhere Löhne und bessere
Arbeitsbedingungen streikte, für Frie-
den und Abrüstung demonstrierte und
Kinder erzog, einen Dieb ihrer Kind-
heit zu nennen? Wie können Beschimpf-
te verzagt schweigen und der Göre bei-
fällig lauschen? Gewiss ist vieles unzu-
reichend. Ich wage es, Greta Thunberg
aufzufordern, endlich ihr Rezept wider
den Klimawandel vorzustellen und im
Alltag umzusetzen!
Norbert Kapitola,Rheda-Wiedenbrück
Generation Wir
PolitikEbenfalls zu „Greta nervt mich“:
Ihr Artikel ist für mich der beste Kom-
mentar, den ich zu diesem Thema gele-
sen habe. Ich finde mich selbst in Ihren
Gedanken stark wieder. Unserer Genera-
tion – ich bin 1988 geboren – wird ja oft
Egozentrismus und Individualismus vor-
geworfen. Ich habe den Eindruck, dass
das gegenseitige Unverständnis, das teil-
weise zu beobachten ist, daraus folgt,
dass sich, zugespitzt formuliert, die
neue Generation als Kollektiv sieht und
aus kollektivistischen Gründen sich ei-
ner Gesellschaft von Individualisten ge-
genüberstellt. Vielleicht übertreibe ich
damit auch. Aber es wäre eigentlich zu
wünschen, wenn sich wirklich strukturel-
le Veränderung einstellen soll.
Tobias Tober,München
Bleibt alles anders
Geld & MehrZu „Die Erzählung
von Greta“ von Thomas Mayer (29.
September):
Der Autor behauptet, das breite Inter-
esse der Öffentlichkeit am Klimawandel
werde wie bei einem mittelmäßigen
Kinofilm, reich an Action und Special
Effects, aber arm an Inhalt, am Ende
der Saison plötzlich nachlassen. Unsinn.
Das Thema wird sich nicht mehr ver-
drängen lassen. Der Artikel zeigt, dass
diese Erkenntnis in Finanzmarktkreisen
immer noch nicht wirklich angekom-
men ist. Was zum Verzweifeln ist.
Wolfgang Kuhn,London
I
m Frühsommer 2017 schickte
William Barr ein Memorandum
ans amerikanische Justizministe-
rium. Er muss über Tage daran
gearbeitet haben. Es handelte
sich um eine 19 Seiten umfassende Ab-
handlung über den Tatbestand der
Justizbehinderung und die Kompeten-
zen der Exekutive. Der seinerzeit 67 Jah-
re alte Pensionär, ein angesehenes Mit-
glied der amerikanischen Gesellschaft,
hatte gewiss keine Vorstellung davon,
wie sehr dieses Schreiben sein Leben
verändern würde.
Im Justizpalast unweit des Weißen
Hauses hatte er einst Karriere gemacht.
Am Ende der Amtszeit George H. W.
Bushs diente er als Justizminister. Da-
nach verdiente er sein Geld als Anwalt
und Manager. Das Verfassungsrecht
aber blieb die Leidenschaft des Profes-
sorensohns. Klar, dass ihn nach dem
Amtsantritts Donald Trumps die rechts-
politische Kontroverse über die Russ-
land-Untersuchung umtrieb. Dass er
das Memorandum an Rod Rosenstein
schickte, seinerzeit stellvertretender Jus-
tizminister und Chefaufseher von Son-
derermittler Robert Mueller, war den-
noch äußerst merkwürdig. Mueller und
Barr kennen sich seit den achtziger Jah-
ren und haben gemeinsam im Justizres-
sort Karriere gemacht. Die Familien
der beiden waren befreundet, man lud
sich gegenseitig zu den Hochzeiten der
Töchter ein, und die Ehefrauen besuch-
ten den gleichen Bibelkreis.
Jetzt schrieb Barr an den Vorgesetz-
ten seines Weggefährten: Es sehe so
aus, als ermittle Mueller wegen des Ver-
dachts auf Justizbehinderung gegen den
Präsidenten. Hintergrund seien die Um-
stände der Entlassung von FBI-Direk-
tor James Comey. Mueller verlange eine
Befragung Trumps und drohe offenbar,
diese notfalls mit Strafandrohung durch-
zusetzen. Das solle Mueller nicht er-
laubt werden, schrieb Barr, denn seine
Theorie der Justizbehinderung beruhe
auf einem verhängnisvollen Missver-
ständnis. Das Schreiben wurde zur
Kenntnis genommen.
Als Trump nach den Kongresswahlen
im Herbst 2018 einen Nachfolger für
Justizminister Jeff Sessions suchte, erin-
nerte man sich im Weißen Haus an
Barr und dessen Theorie von der ein-
heitlichen Exekutive, die dem Präsiden-
ten weitreichende Kompetenzen zu-
schreibt. Genau der richtige Mann,
dachte man. Barr wurde im Februar die-
ses Jahres aus der Pension zurück in den
Justizpalast berufen.
Keine acht Monate später wurde die
Ukraine-Affäre bekannt, und Nancy Pe-
losi, die „Sprecherin“ des Repräsentan-
tenhauses, sagte, Barr sei „außer Kon-
trolle“ geraten. Er habe als Justizminis-
ter helfen sollen, Kiew dazu zu bewe-
gen, gegen Joe Biden, Trumps mögli-
chen Herausforderer, zu ermitteln. Und
er habe zu verhindern versucht, dass die
Beschwerde des Whistleblowers den
Kongress erreichte, wie es das Gesetz
vorsehe. Einige Demokraten verlangen,
dass Barr sich für befangen erklärt und
alle das Justizministerium betreffenden
Angelegenheiten in der Vorbereitung ei-
nes Amtsenthebungsverfahrens seinem
Stellvertreter überträgt. Wie konnte es
so weit kommen?
Ende September hatte Trump das Pro-
tokoll seines Telefonats von Ende Juli
mit dem ukrainischen Präsidenten Wolo-
dymyr Selenskyj veröffentlicht. Kurz dar-
auf erschienen Berichte, in denen es
hieß, der Justizminister sei bestürzt dar-
über, dass Trump ihn in einem Atemzug
mit Rudy Giuliani genannt habe. Mit die-
sem schrillen, halbseidenen Anwalt des
Präsidenten, der in jeder Hinsicht das
Gegenteil dessen verkörpert, für das
Barr stehen möchte. Der frühere New
Yorker Bürgermeister sucht die mediale
Bühne, redet konfus, verliert schnell die
Contenance und arbeitet mit Methoden,
die nicht wenige in Washington für mafi-
ös halten. Nun musste Barr in dem Tele-
fonprotokoll nachlesen, dass Trump Se-
lenskyj gesagt hatte: „Ich werde dafür sor-
gen, dass Herr Giuliani Sie anruft und
auch Justizminister Barr. Dann gehen
wir den Dingen auf den Grund.“
Im Justizministerium teilte man mit,
Barr habe erst Wochen nach dem Telefo-
nat, nämlich Mitte August, von dem An-
ruf erfahren. Zudem habe der Präsident
den Justizminister nie gebeten, sich an
Kiew wegen irgendwelcher Ermittlun-
gen gegen Joe Biden und dessen Sohn
Hunter wegen Korruption zu wenden.
Als er von dem Telefonat erfahren habe,
sei er überrascht und verärgert gewesen.
Wie konnte ihn das überraschen? Barr
hat sich ins System Trump hineinziehen
lassen. Schritt für Schritt. Irgendwann
war er so weit gegangen, dass er nicht
mehr umkehren konnte. Es fing damit
an, dass Barr nach Erhalt des Abschlussbe-
richts von Mueller im Frühjahr dieses Jah-
res durch die Veröffentlichung einiger
Passagen einen Eindruck erweckte, über
den der Sonderermittler sich erbost bei
ihm beschwerte: Barr habe „Kontext,
Charakter und Inhalt“ seiner Ermittlungs-
ergebnisse nicht vollständig wiedergege-
ben. Barrs verkürzender Dreh setzte sei-
nerzeit den Ton: Entlastung für den Präsi-
denten. Erst später wurde der geschwärz-
te Bericht veröffentlicht. Trump hatte da
dank Barr schon zwei Wochen lang in je-
des Mikrofon sagen können, er sei voll-
kommen entlastet worden.
Kurz darauf sprang der Justizminister
ein weiteres Mal für seinen Präsidenten
in die Bresche: In einer Anhörung im
Senat wurde Barr gefragt, ob er wie
Trump glaube, Teile des Sicherheitsap-
parats hätten im Wahlkampf 2016 eine
Trump-Präsidentschaft verhindern wol-
len. Barrs Antwort ließ die Senatoren
verstummen: Er charakterisierte die
FBI-Überwachung, die per nichtöffentli-
chem Gerichtsbeschluss erfolgt war, als
„Spionage“. Obwohl FBI-Direktor
Christopher Wray ausgesagt hatte, dass
es keine illegale Beschattung des Wahl-
kampfteams Trumps gegeben habe.
Barr leistete so – das musste ihm be-
wusst sein – der Verschwörungstheorie
vom „tiefen Staat“ Vorschub, dem Ge-
raune über ein konspiratives Netzwerk
des linken Establishments. In dieser
Theorie spielt Trump die Rolle des Hel-
den, der angetreten war, diesen Sumpf
auszutrocknen – und deshalb gestoppt
werden sollte.
Barr setzte wenig später John Dur-
ham, einen Staatsanwalt aus Connecti-
cut, als Leiter einer Gegenuntersu-
chung ein: Da Trump nun von dem Vor-
wurf entlastet sei, dass es Geheimabspra-
chen zwischen seinem Team und Russ-
land im Wahlkampf gegeben hatte, soll-
te untersucht werden, was denn diese Er-
mittlungen ausgelöst habe. Trump ist
nämlich wie besessen von der Idee, dass
der vermeintliche tiefe Staat mit ukraini-
scher Hilfe eine Desinformationskampa-
gne gegen ihn gestartet habe – zunächst
um zu verhindern, dass er Präsident
wird. Und dann, als dies gescheitert war,
um ihn davon abzuhalten, als Präsident
Erfolg zu haben, weil er seine ganze
Kraft auf die Verteidigung gegen Muel-
ler habe verwenden müssen. Als Barr
die Gegenuntersuchung begann, betrat
er gleichsam ukrainischen Boden.
Wie kürzlich ans Licht kam, flog Barr
im September zu Gesprächen nach Rom;
vorher war er schon in London gewesen.
Gespräche mit Canberra sollen folgen.
Die drei Orte sind Bausteine einer Theo-
rie: In der italienischen Hauptstadt hatte
George Papadopoulos, ein Mitglied von
Trumps Wahlkampfteam, im April 2016 ei-
nen maltesischen Professor getroffen. Der
Mann mit angeblich guten Verbindungen
nach Russland sagte dem Amerikaner, die
russische Regierung verfüge über jede
Menge Schmutz über Hillary Clinton in
Form von Tausenden von E-Mails. Papa-
dopoulos erzählte während eines London-
Aufenthalts einem australischem Diploma-
ten in einer Bar davon. Dieser meldete das
nach Canberra. Die australische Regie-
rung informierte das FBI. So begann die
Spionageabwehr gegen Russland, zu der
auch die Prüfung zählte, ob Mitglieder
aus Trumps Wahlkampfteam mit dem
Kreml gemeinsame Sache machten.
Nach späteren Erkenntnissen ame-
rikanischer Dienste hat Moskau un-
ter anderem die Parteizentrale der Demo-
kraten gehackt und die E-Mails später
der Enthüllungsplattform Wikileaks
übergeben. Die Veröffentlichung wurde
zeitgerecht und zum Schaden Clintons
plaziert. Die russische Operation will
Trump bis heute nicht wahrhaben. Er
glaubt stattdessen, dass der Tippgeber sei-
nen Mitarbeiter Papadopoulos in eine Fal-
le gelockt habe. Spätestens hier wird es
verschwörungstheoretisch: Der maltesi-
sche Professor, von dem derzeit jede
Spur fehlt, stehe auf dem Lohnzettel west-
licher Dienste, heißt es. Und die Idee, die
Russen zu belasten, stamme in Wirklich-
keit aus der Ukraine, die auch für das Ha-
cking der Server der Demokraten verant-
wortlich sei. Diese Theorie kursiert in
rechten Kreisen Amerikas. Und Trump
sagte in dem Telefonat mit Selenskyj:
Eine ganze Menge von dem, was Mueller
zu ermitteln versucht habe, soll in der
Ukraine angefangen haben.
Barr hatte widerstandslos seine Diens-
te angeboten, einen Ermittlungsstrang
aufzunehmen, der von den eigenen Si-
cherheitsbehörden als wilde Verschwö-
rungstheorie beurteilt wird. Kann ein
solcher Mann überrascht und verärgert
darüber sein, dass Trump ihn ungefragt
mit der Schmutzkampagne gegen Biden
beauftragt? Barr macht nun die Erfah-
rung, die viele andere gemacht haben,
die sich mit Trump einließen: Loyalität
kennt der Präsident nicht. Er zieht alle
mit in den Strudel. Barrs Theorie von
der einheitlichen Exekutive ist von
Trump mit einem Satz übersetzt wor-
den: Die amerikanische Verfassung
gebe ihm als Präsidenten das Recht, zu
tun, was immer er wolle.
LESERBRIEFE
William Barr war ein angesehener Mann. Dann holte ihn der amerikanische
Präsident in seine Regierung.Von Majid Sattar
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der Frankfurter Allgemeinen
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Im Trump-Strudel
Foto AFP