Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 06.10.2019

(Axel Boer) #1
FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG

Leben (^) 6. OKTOBER 2019 NR. 40 SEITE 9
VON HAUCK & BAUER
AM RANDE DER
GESELLSCHAFT
Noch sechs Wochen
Eigentlich wollte ich meinen Geburtstag
gar nicht feiern. Ich wollte, dass das The-
ma unter den Tisch fällt und ich so wei-
termachen kann wie immer. Ich dachte,
vielleicht verreise ich. Mit meinem
Mann, dachte ich zuerst. Dann dachte
ich: als Familie, zu viert. Als mir klarwur-
de, dass wir dafür die Jungs aus der Schu-
le nehmen müssten, weil ich mitten in
der Woche Geburtstag habe, hatte ich
die Idee, ein Hotelzimmer in unserer
Stadt zu buchen: Du inszenierst, dass du
verreist. Aber meine Freundinnen haben
protestiert: Das geht nicht, wir wollen
dich feiern! Irgendwie haben sie recht.
Das gehört zum Geburtstag dazu. Alles
andere wäre feige.
Jetzt kommt der Tag näher und ist
auch ein Event, das organisiert werden
muss. Vielleicht ist das gar nicht so
schlecht, weil ich mir mehr Sorgen um
die Party mache als um mein Alter. Mein
Plan, ich bin im Hotel, und alle kommen
an die Bar, funktioniert nicht. In meiner
Stadt ist Messe, das hat mich total aus
dem Konzept gebracht.
Mein größter Wunsch: dass ich nicht
diese silbernen Luftballons kriege. Einer
Kollegin von mir ist das passiert, da kam
jemand mit dieser riesigen „50“. Promi-
nenter kannst du dein Alter nicht in die
Welt posaunen.
Mein Sohn ist aus allen Wolken gefal-
len, als er gehört hat, Mama wird 50:
„Ich dachte, du bist 46!“ Der hatte mein
Alter falsch abgespeichert. Aus Kinder-
sicht bist du mit 50 scheintot.
Die meisten in meiner Generation wä-
ren gern ein bisschen jünger. Wir ste-
hen halt nicht zu unserem Alter. In mei-
ner Branche ist das besonders stark. In
der Werbung ist Jugendlichkeit eine
Kompetenz, wie sie als Voraussetzung
gilt, um nah an den Trends zu sein. Ich
sage immer zu einer befreundeten Kolle-
gin: Versuch, es positiv zu sehen. Hät-
test du gedacht, dass du mit 50 noch in
der Agentur bist? Wir machen einen gu-
ten Job, wir sind noch fit und haben Ide-
en. Aber wenn man „50“ hört, rattert so
ein Film los.
Dass ich noch mal den Einstieg ge-
schafft habe mit zwei Kindern, nachdem
ich schon als Teilzeit-Mutti abgestempelt
war, voll Gas geben, zwei Beförderungen



  • das hat mir viel bedeutet. Auf meiner
    Karte steht jetzt „Management Super-
    visor“. Ich merke, die jüngeren Kollegen
    sehen zu mir auf und fragen um Rat. Das
    ist eine neue Rolle, die durch dieses Alter
    und eine gewisse Seniorität entsteht. Ich
    bin auch Gastdozentin. Das finde ich
    schön. Es geht nicht mehr darum, sich
    selbst zu entwickeln; die Freude kommt
    daraus, dass andere wachsen.
    Klar habe ich mich auch gefragt: Will
    ich noch mal den Job wechseln? Wäre
    jetzt die Möglichkeit, noch mal was ande-


res zu machen? Es war mir ein Bedürfnis,
das intensiv zu prüfen; ich habe auch ge-
guckt, was so angeboten wird. Dann habe
ich mitbekommen, wie super ausgebilde-
te Frauen in meinem Alter auf Bewerbun-
gen hin nicht einmal zum Gespräch einge-
laden worden sind. Das hat mich total er-
schreckt. So gesehen ist es vielleicht keine
gute Idee, jetzt zu wechseln.
Bis 50 gehörst du zu den älteren Jun-
gen. Ab 50 zu den jungen Alten.
Vielleicht gewöhnt man sich daran.

Knapp fünf Wochen
Die prägenden Themen dieser Lebens-
phase: Die Kinder werden größer und
selbständiger, dadurch hat man mehr
Luft. Dafür kommt die Verantwortung
für die Elterngeneration dazu.
Mein Mann und ich haben nie groß
geplant, unser Leben ist mehr so pas-
siert. Manche Menschen sagen ja: Das
und das möchte ich noch erreichen, au-
ßerdem sparen wir auf das Eigenheim.
So waren wir nie. Jetzt sind unsere El-
tern über 80, und es ist anzunehmen,
dass sie in den nächsten zehn, fünfzehn
Jahren irgendwann nicht mehr bei uns
sind. Insofern wird uns dieses Thema be-
gleiten, neben unseren Berufen und unse-
ren Jungs, die dann auch in die Ausbil-
dung kommen. Mein Mann und ich ha-
ben deshalb bewusst entschieden, dass
wir im nächsten Jahrzehnt für uns selbst
keine großen Schritte planen, sondern
dafür Kapazitäten haben wollen. Ich
sehe das nicht als Last. Ich finde es auch
spannend, und ich weiß, dass es zum Le-
ben dazugehört. Klar, man möchte seine
Eltern nicht verlieren, daran knabbere
ich. Und ich möchte wirklich noch viel
Zeit mit ihnen verbringen und Geschich-
ten von früher aufsaugen. Man denkt im-
mer, man hat noch so viel Zeit zusam-
men. Aber diese Zeit schrumpft.

Mein Fokus verändert sich. Ich gucke
mir Frauen an, die etwas älter sind als
ich. Wie ziehen die sich an? Wie verhal-
ten die sich? Unsere Generation sucht
nach Vorbildern, nach anderen Möglich-
keiten, was 50+ bedeutet. Früher war das
schon fast Großelternalter.
Natürlich ist das Äußerliche ein gro-
ßes Thema. Wie ziehe ich mich an? Was
mache ich mit Haaren, die dünner wer-
den? Färbe ich? Ich bin inzwischen ein
großer Fan von Frauen, die dazu stehen,
dass die Haare grau oder weiß werden.
Die eine neue Version von sich selbst er-
finden, welche dem Alter und den Verän-
derungen im Körper angepasst ist. Die
nicht die ganze Zeit rummosern, dass sie
nicht mehr so dünn sind wie früher. Und
die nicht nur über ihr Äußeres definiert
werden wollen, sondern auch was zu sa-
gen haben, die interessante Themen ha-
ben und sich einbringen.
Wenn wir zunehmend jüngere Men-
schen unterstützen oder Verantwortung
für die ältere Generation übernehmen,
kann das auch eine Falle sein: dieses
Pflichtbewusstsein als Tochter, als Mut-
ter, als Mentorin. Irgendwie muss man ei-
nen Weg finden, sich nicht aufzuopfern,
sondern dieses „Ich kümmere mich“ in
Einklang zu bringen mit einem Teil, der
nur Ich ist. Ich habe schließlich auch In-
teressen oder entdecke neue Dinge für
mich. Bei mir ist es Stand-up-Paddling.
So trivial das sein mag: Ich freue mich
riesig, wenn ich da so über das Wasser
gleite und feststelle, wie gut ich etwas
kann, das ich gerade erst gelernt habe.
Gut vier Wochen
Party-Location gefunden. Die Einla-
dung ist auch fast fertig. Nur die „50“ ist
nicht drauf. Ich denke die ganze Zeit dar-
über nach, wie ich diese Zahl unterbrin-
ge. Ich will mich damit wohl fühlen, ir-

gendwie. Dann denke ich: Wie lächer-
lich, stell dich nicht so an!
Knapp vier Wochen
Sommerfest meiner Agentur, und ich bin
bis fast zuletzt geblieben und habe ge-
tanzt. Altersangemessen wäre vielleicht
gewesen, dass man sagt: Ich bin zum Es-
sen da und unterhalte mich anschließend
noch ein bisschen an der Bar, und dann
gehe ich auch wieder. Aber so sehe ich
mich nicht. Ich muss nicht in jeden Club
rennen oder mein Leben im Nightlife
verbringen. Aber wenn man gerne tanzt
und Spaß hat, hat das mit dem Alter we-
nig zu tun. Das gehört zu meiner Identi-
tät. Mit 60 sehe ich mich noch genauso
auf der Tanzfläche.
Irgendjemand saß neben mir beim Es-
sen und fragte: Wie lange bist du jetzt ei-
gentlich schon dabei? Ich: Ich hab’ nächs-
tes Jahr 20-Jähriges. Er: Ich hab nächstes
Jahr 25-Jähriges. Wenn so was mit den
jüngeren Kollegen Thema wird, können
die sich das immer gar nicht vorstellen.
Für die sind fünf Jahre schon eine halbe
Ewigkeit.
Ich finde den Austausch mit dieser
neuen, jüngeren Generation interessant
und positiv. Und ich glaube auch nicht,
dass die über mich denken: O nee, diese
Alte. Das ist mir wichtig. Wir sind auf ei-
ner Party, wir tanzen zusammen, jeder
ist zu jedem nett und kollegial. Man
muss als Älterer aber ein bisschen aufpas-
sen, dass man deshalb nicht denkt, man
wäre mittendrin. Zu dieser In-Group ge-
hörst du halt nicht mehr. Darüber bin
ich auch froh. Für die Jungen ist alles so
viel wichtiger. Wer ist besonders kreativ?
Wer gehört zur wilden Truppe? Klar
wollen die alle cool sein, bei uns in der
Branche wird Coolness auch gefordert,
während man selber das nicht mehr so
nötig hat. Ich bin, wie ich bin, und ich
tanze, wie ich will. Man hat ein bisschen
mehr Freiheit.
Drei Wochen, zwei Tage
Diese ständige Ambivalenz beim Gedan-
ken an die Feier: Mal freue ich mich
drauf. Dann wünsche ich wieder, ich
könnte alles rückgängig machen. Pein-
lich, wie uncool ich damit umgehe.
Drei Wochen, ein Tag
Hab es immer wieder verschoben, die
Einladung rauszuschicken. Und noch im-
mer keine „50“ drin... Ein Freund aus
Berlin schrieb: Das sieht ja aus wie eine
Einladung zu einer After-Work-Party
oder zu deinem Fünfunddreißigsten. Ich
habe zurückgeschrieben: Erwischt.
Zweieinhalb Wochen
War nachmittags allein im Kino und
habe „So wie du mich willst“ geschaut.
Eine gute Vorbereitung für meinen Ge-
burtstag. Juliette Binoche spielt ja wirk-
lich eine Fünfzigjährige. Ich konnte
mich allerdings überhaupt nicht mit ihr
identifizieren. Sie wird von ihrem Mann

wegen einer jüngeren Frau verlassen,
und sie ist so unglücklich, dass sie sich in
den sozialen Medien deutlich jünger
macht und mit einem Typen Ende zwan-
zig anbandelt. Ich habe die ganze Zeit ge-
dacht: Was willst du denn mit so einem
Bubi? Ihr habt doch nichts gemeinsam!
Es gab nur eine Szene, wo sie so wild ge-
tanzt hat, das war ein Abend, wo sie auf
einer Party mit Gleichaltrigen war. Da
war sie mir nah. Vielleicht ist Tanzen
wirklich so ein Thema, das verändert
sich nicht. Du kannst alt oder jung sein,
aber du tanzt, wie du immer tanzt.
Klar, dass man ab und zu mal neidisch
ist auf die Jüngeren, weil sie in mancher-
lei Hinsicht mehr Chancen haben, beruf-
lich oder bei der Attraktivität und Part-
nersuche. Indem Juliette in den sozialen
Netzwerken so tut, als wäre sie 24, ver-
sucht sie, sich diese Lebensphase zurück-
zuholen. Ich will aber gar nicht wieder 25
sein. Diese Generation steht unter dem
permanenten Druck, toll auszusehen, er-
folgreich zu sein und zu beweisen, dass
man gerade einen Megaspaß hat. Auch
um ihre Unverbindlichkeit in Beziehun-
gen beneide ich sie nicht. Da bin ich
froh, dass ich dieses Alter anders erlebt
habe.
Zwei Wochen, ein Tag
Sind Filme über Frauen um die 50 gera-
de omnipräsent oder achte ich mehr dar-
auf? „Gloria – Das Leben wartet nicht“.
Habe ich zwar nicht gesehen, aber dar-
über gelesen: Julianne Moore geht auch
gerne tanzen, sie ist geschieden, aber
nicht unglücklich. Vielleicht wäre das die
andere Seite des Fünfzigseins: Mit sich
und seinem Alter happy sein. Auch mit
dem Beziehungsstatus. Dass man sagt:
So wie es ist, ist es gut.
Noch zwei Wochen
Man beschäftigt sich nicht ständig mit
dem Thema Tod. Aber das Thema End-
lichkeit und die Tatsache, dass man nicht
mehr ganz so viel Zeit hat, rückt näher.
Du hörst einfach auch mehr solche Ge-
schichten. Jeder kennt jemanden mit ei-
ner schweren Krankheit, ich arbeite
selbst gerade intensiv an einer Kampa-
gne zum Thema Brustkrebsprävention.
Nicht, dass ich die ganze Zeit Angst oder
Sorge hätte. Aber ich lebe bewusster und
versuche wirklich, die Kleinigkeiten zu
genießen. So blöd das klingt. Man ist
dankbarer für jeden Tag, an dem es ei-
nem gutgeht und alles so weit okay ist.
Noch eine Woche und fünf Tage
Jumpsuit gefunden! Habe ihn direkt an-
gezogen auf dem 50. Geburtstag einer
Schulfreundin, um zu testen, ob ich dar-
in auf meiner eigenen Party tanzen
kann. Er ist super: schwarz, kleine brau-
ne Sternchen, ganz dezent, nichts Grel-
les. Aber doch so ein bisschen modisch
und angesagt.

Fortsetzung auf der folgenden Seite

Fotos Mauritius, Marina Pepaj

Mit sich und dem Alter happy sein: Protagonistin Jorinde (Mitte) bei ihrer Geburtstagsfeier

Die Einladungen sind fertig, nur


die Zahl steht nicht drauf:


Der fünfzigste Geburtstag ist


eine Herausforderung. Gehöre ich


jetzt zu den jungen Alten? Und


was heißt das sonst fürs Leben?


Das Tagebuch einer Frau.


Vielleicht gewöhnt


man sich daran

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