Ein Steak vom Känguru, eine Schlange als
Haustier, ein Wintermantel mit exoti-
schem Pelzbesatz – wilde Tiere gelten in
manchen Kreisen als Statussymbol. Doch
wie groß der Markt für den Handel mit ih-
nen tatsächlich ist, ist schwierig einzu-
schätzen. Nun haben Forscher um den Öko-
logen Brett Scheffers von der University of
Florida eine Studie veröffentlicht, in der
sie neue Zahlen zur Dimension des globa-
len Wildtierhandels vorlegen: 5579 Tierar-
ten werden demnach weltweit gehandelt,
so die Wissenschaftler, manche von ihnen
legal, andere auf dem Schwarzmarkt.
Stimmt diese Schätzung, dann wäre eins
von fünf Wirbeltieren betroffen. Das liegt
etwa 40 bis 60 Prozent über vorherigen An-
nahmen.
Für die im FachblattSciencepublizierte
Studie hat das britisch-amerikanische For-
scherteam Daten von der Internationalen
Union zu Bewahrung der Natur (IUCN) und
des Washingtoner Artenschutzüberein-
kommens (CITES) kombiniert und kam zu
dem Ergebnis: Nicht jede Tierklasse ist
gleich beliebt. Zum Beispiel sei die Nachfra-
ge nach Säugetieren und Vögeln größer als
nach Reptilien oder Amphibien. Besonders
hohe Preise ließen sich zudem immer
dann erzielen, wenn ein Tier etwas Einzig-
artiges hat – wie beispielsweise eine grelle
Federfarbe oder eine ausgefallene Körper-
form oder -größe. Auch eine besondere Fä-
higkeit, eine nachgesagte medizinische
Wirkung oder kulturelle Bedeutung in ei-
ner Region steigern den Wert eines Tieres.
Allgemein gilt: Je seltener eine Art, desto
größer ist in der Regel auch die Nachfrage.
Sogenannte Hotspots für den Wildtier-
handel sind Südamerika, Südostasien, der
Himalaja und Zentral- und Ostafrika. Am-
phibien für die Haustiernutzung stammen
häufig aus dem Amazonasgebiet und in In-
donesien werden besonders viele wilde Vö-
gel gejagt. Außerdem fiel den Forschern
auf, dass in Australien auffallend viele Rep-
tilien für den Markt gesammelt werden.
Richard Thomas von der Tierschutzor-
ganisation Traffic kritisiert an der neuen
Studie mangelnde Differenzierung: „Die
Grundannahme ist, dass der Handel mit
Wildtieren grundsätzlich schlecht ist. Die
Wissenschaftler stellen gehandelte Arten
mit bedrohten Arten gleich.“ So einfach
könne man das aber nicht sagen, denn
nicht jede Art, die auf dem Markt angebo-
ten wird, sei auch tatsächlich vom Ausster-
ben bedroht. Manche Arten hätten in der
Vergangenheit sogar davon profitiert als
Ware gehandelt zu werden.
Außerdem weist Thomas darauf hin,
dass die Datenlage zum Bestand und Han-
delsvorkommen vieler Tierarten äußerst
schlecht ist. Zum Beispiel habe der IUCN
den Bestand vieler Tierarten noch gar
nicht untersucht. „Vor allem bei den Repti-
lien gibt es noch erhebliche Lücken“, so
Thomas. Deshalb biete die neue Studie
eher einen „groben Überblick“ als „neue
Erkenntnisse aus der Welt des Wildtierhan-
dels“. nora ederer
von stefanie dodt
und astrid viciano
I
hre Hände, sie wollten plötzlich nicht
mehr. Als ob jemand ihren Muskeln
heimlich alle Energie geraubt hätte,
verlor Barbara Böhm an Weihnachten ver-
gangenen Jahres ihre Kraft. Knöpfe konn-
te sie nicht mehr schließen, ihre Schnür-
senkel nicht mehr binden. „Mein Mann
musste mir beim Ankleiden helfen, so hilf-
los war ich“, sagt die 67-jährige Patientin
aus Hannover-Langenhagen.
Sie hatte ihre Therapie wegen einer In-
fektion zweimal verschieben müssen, statt
des üblichen Intervalls von vier Wochen
waren seit der letzten Sitzung fast zwei Mo-
nate vergangen. Dann endlich konnte sie
wieder zur Medizinischen Hochschule in
Hannover (MHH) fahren, um ihre Behand-
lung zu erhalten: Eine Infusion mit Antikör-
pern, sogenannte Immunglobuline vom
Typ G. Aufgewühlt wartete die sonst so ge-
fasste Frau das Ende der Therapiesitzung
ab. Würde die Kraft zurückkehren? Schon
am nächsten Tag konnte sie aufatmen – ih-
re Hände machten wieder besser mit. „Seit-
her weiß ich, wie lebenswichtig die Behand-
lung für mich ist“, sagt Böhm.
Barbara Böhm leidet an einer chronisch
fortschreitenden Nervenerkrankung, der
sogenannten CIDP. Fehlgeleitete Immun-
zellen, so vermuten Experten, zerstören da-
bei die Hüllen der Nervenbahnen, sodass
die Weiterleitung der Nervenimpulse nicht
mehr richtig funktioniert. Seit zehn Jahren
ist eine Antikörper-Therapie zur Behand-
lung dieser und ähnlicher Leiden in Euro-
pa zugelassen. Diese Nervenerkrankun-
gen stellen ein großes neues Einsatzgebiet
der Immunglobuline dar, zusätzlich zu den
Immunschwächen, die seit den 1960-er
Jahren damit behandelt werden. „Der Be-
darf ist daher in den vergangenen Jahren
stark angestiegen,“ sagt Neuroimmunolo-
ge Martin Stangel von der Medizinischen
Hochschule Hannover.
Kam die Antikörper-Therapie früher
vor allem in den USA, Kanada und Westeu-
ropa zum Einsatz, können sich die teure Be-
handlung inzwischen auch aufstrebende
Länder aus dem Nahen Osten oder Latein-
amerika leisten. Das Problem dabei: Anti-
körper können nicht künstlich hergestellt
werden. Sie stammen aus dem Blutplasma
von Menschen, die sich zu einer Spende
entschlossen haben. Die Anzahl der Plas-
maspender stagniert in Deutschland aber
seit Jahren, auch andere EU-Länder tun
sich schwer, Menschen zu einer Spende zu
bewegen. „Blutplasma ist ein rares Gut“,
sagt Stangel. Daher ist auch die Menge an
Medikamenten begrenzt, die sich daraus
herstellen lassen. Und Kliniken in Deutsch-
land wie in anderen Ländern ringen zuneh-
mend darum, genügend Präparate für ihre
Patienten zu erhalten.
Nur eine Handvoll Firmen dominieren
den Markt, sie gewinnen einen Großteil
des weltweit verfügbaren Blutplasmas in
den USA und lassen daraus in Produktions-
anlagen Medikamente wie besagte Antikör-
per-Infusionen herstellen. Wie sich die EU
auf diesem umkämpften globalen Markt
künftig positionieren soll, haben Experten
des Europarats wie der Europäischen Kom-
mission mit Vertretern von Blutspendezen-
tren und Plasmaunternehmern im Januar
2019 diskutiert. Die daraus entstandenen
Empfehlungen sollen in den kommenden
Wochen erstmals veröffentlicht werden.
Wie Ärzte und Patienten in Deutschland
und anderen EU-Ländern die Medikamen-
tenknappheit bislang erleben, haben Re-
porter von SWR, NDR undSüddeutscher
Zeitungrecherchiert. „Es ist klar, dass et-
was geschehen muss“, sagt Paul Strengers,
ehemaliger medizinischer Leiter der Abtei-
lung für Plasmaprodukte des niederländi-
schen Blutinstituts Sanquin.
Im Jahr 2018 wurden mehr als sechs Mil-
lionen Liter Plasma aus den USA nach
Deutschland importiert. Im Jahr 2000 wa-
ren es noch 640 000 Liter. Im Gegensatz zu
den USA unterliegen die deutschen Plasma-
spendezentren besonders strengen Aufla-
gen: „Hier muss sich ein Arzt vor Ort jeden
Plasmaspender ansehen“, sagt Marcell
Heim, langjähriger Vorstand der Arbeitsge-
meinschaft Plasmapherese, der Interessen-
vertretung von aktuell 92 Plasmaspende-
zentren in Deutschland. Im Unterschied zu
den USA kümmere sich auch stets eine Pfle-
gekraft um die Apparaturen, sagt Heim,
was zusammen genommen die Gewin-
nung hier wesentlich teurer macht.
Das importierte Plasma wird dann teil-
weise zusammen mit dem hier gewonne-
nen Rohstoff von den Pharmafirmen wei-
terverarbeitet, um daraus zum Beispiel die
Immunglobuline für Medikamente zu ge-
winnen. Ein Teil der Arzneimittel wird wie-
der in die USA exportiert, der andere
kommt in Europa auf den Markt.
Weil aber die Nachfrage weltweit steigt,
wird der Vorrat an Medikamenten knapp.
Und die Unternehmen können für ihre be-
gehrten Produkte zunehmend höhere Prei-
se verlangen. Allein im vergangenen Jahr
stiegen die Preise in Deutschland um etwa
30 Prozent, für eine Universitätsklinik
kommen da schnell Hunderttausende Eu-
ro an Zusatzkosten zusammen. Noch dazu,
weil Ärzte die Medikamente wie die Anti-
körper-Infusionen nicht über die üblichen
Fallpauschalen der gesetzlichen Kranken-
kassen abrechnen können. Stattdessen er-
halten die Kliniken dafür Zusatzzahlun-
gen, die das Institut für das Entgeltsystem
im Krankenhaus festlegt.
Das Problem dabei: Diese Beträge wer-
den erst mit einer Zeitverzögerung von ein
bis zwei Jahren an neue Preisentwicklun-
gen angepasst. „Wir haben im vergange-
nen Jahr enorme finanzielle Verluste einge-
fahren,“ sagt Hans-Gerd Strobel, Chefapo-
theker des Universitätsklinikums Schles-
wig-Holstein.
Eine Kostprobe davon, was Krankenhäu-
sern künftig blühen könnte, bekam ein Ver-
bund von neun Universitätskliniken im
Herbst 2018 zu spüren: Die Firma Shire
(heute Takeda) teilte ihnen mit, dass sie im
Folgejahr deutlich weniger Immunglobuli-
ne erhalten würden als bisher. Die Klini-
ken berichten über einen Verlust von 40
Prozent. „Ich fürchtete schon, dass wir
bald ein leeres Lager haben würden“, sagt
Hans-Peter Lipp, Leiter der Universitäts-
apotheke Tübingen. Takeda selbst berich-
tet, dass sich die weltweite Nachfrage nach
Immunglobulin-Therapien in den vergan-
genen Jahren fast verdreifacht hat. „Das
Angebot kurzfristig zu erhöhen, ist aktuell
eine nicht lösbare Aufgabe“, schreibt Take-
da in einer Stellungnahme für den NDR
und dieSüddeutsche Zeitung.
Nicht alle Experten sehen in der aktuel-
len Situation ein Problem. „Es kommt im-
mer wieder vor, dass bei einzelnen Produk-
ten ein Lieferengpass besteht“, sagt Klaus
Cichutek, Leiter des Paul-Ehrlich-Insti-
tuts (PEI). Doch seien diese auf Schwierig-
keiten bei der Herstellung zurückzufüh-
ren, einen Mangel an Plasma sieht er nicht.
In Deutschland stünden dann sofort ver-
gleichbare Medikamente zur Verfügung.
Experten wie Marcell Heim widersprechen
dieser Darstellung vehement: „Seit Jahren
kommt es in Deutschland regelmäßig zu
Engpässen, bei den Immunglobulinen wie
auch bei anderen Plasmaprodukten.“
Immerhin hat das PEI im Juni alle Ein-
richtungen der Krankenversorgung aufge-
fordert, ihren Verbrauch und den Verfall
von Immunglobulinen zu melden. „Damit
soll den Gründen für den stetig steigenden
Verbrauch nachgegangen werden“, heißt
es in einer Stellungnahme des Bundesge-
sundheitsministeriums, das die Entwick-
lung gemeinsam mit dem PEI beobachtet.
In Frankreich gab es schon im Frühsom-
mer 2018 einen Lieferengpass, sodass die
französische Behörde für Arzneimittelsi-
cherheit ANSM Empfehlungen herausgab,
für welche Patienten die Immunglobuline
angesichts des Mangels eingesetzt werden
durften. Für Menschen mit einem schwe-
ren Immundefekt nämlich kann ein sol-
cher Engpass lebensbedrohlich sein. Fehlt
die Antikörper-Therapie, sind sie Krank-
heitserregern fast hilflos ausgesetzt. Weite-
re Lieferengpässe gab es im gleichen Jahr
zum Beispiel in Großbritannien und in
Griechenland, in Portugal und Ungarn.
Daher entwickeln Experten derzeit eine
europäische Strategie, um künftig unab-
hängiger zu sein von den wirtschaftlichen
Interessen einzelner globaler Firmen. Das
beginnt schon beim Blutplasma selbst. In
Europa stammt 40 Prozent davon aus den
USA, heißt es in einem Dokument, das eine
Gruppe von zehn Abgeordneten des EU-
Parlaments im Dezember 2018 in Brüssel
diskutierte.
Auch Paul Strengers hat bereits vor drei
Jahren in einem Fachartikel zur Vorsicht
gemahnt, in der Zwischenzeit ist die allge-
meine Sorge noch gewachsen: Was, wenn
US-Präsident Donald Trump plötzlich be-
schließen würde, den Export von Blutplas-
ma in die EU als politisches Druckmittel
einzusetzen? Was, wenn in den USA plötz-
lich ein neuer Krankheitserreger auf-
taucht und die USA kein Plasma mehr lie-
fern können?
Darüber haben die Experten der EU und
des Europarats bei einem Treffen im Janu-
ar in Straßburg diskutiert. Sie waren sich
einig, die Zahl der Plasmaspender in der
EU erhöhen zu wollen. Wie das gelingen
soll, darüber streiten sich die EU-Länder je-
doch seit Jahren. „Wir haben in Europa
zwei Spendensysteme für Blutplasma“, er-
klärt Frédéric Bigey, stellvertretender Di-
rektor des Etablissement Français du Sang
der Region Grand Est, des staatlichen Blut-
instituts in Frankreich. In den meisten EU-
Ländern erhalten Plasmaspender für ihre
Spende kein Geld, nur Ungarn und Öster-
reich, Tschechien und Deutschland bilden
hier die Ausnahme. In Deutschland erhal-
ten Plasmaspender eine Aufwandsentschä-
digung von 10 bis 25 Euro. „Klar ist, dass
diese Summe kein Anreiz für eine Plasma-
spende sein soll,“ sagt Franz Weinauer,
stellvertretender Vorsitzender der Arbeits-
gemeinschaft Plasmapherese. Doch soll-
ten die Spender immerhin die Fahrt zum
Plasmazentrum, Parkgebühren und Spen-
denzeit erstattet bekommen.
Die meisten EU-Länder lehnen aber jeg-
liche Zahlungen für Plasmaspenden ab.
Substanzen des menschlichen Körpers soll-
ten nicht käuflich sein, argumentieren
Strengers und Kollegen. Sie wollen ein
Spendersystem wie in den USA vermeiden,
in dem die Zentren Menschen mit Bonus-
zahlungen von gern mal bis zu 75 US-Dol-
lar für besonders häufige Spenden anlo-
cken. „Das ist ein unethisches Modell, das
wir in dieser Form in Deutschland nicht
wollen“, sagt auch Karl Lauterbach, Ge-
sundheitsexperte der SPD.
Mediziner und Apotheker drängen statt-
dessen auf mehr Engagement der Politik.
In Deutschland sollte mehr Werbung für
die Plasmaspende gemacht werden, sagt
der Transfusionsmediziner Marcell Heim.
Andere Länder sollten darin unterstützt
werden, mehr Plasmaspendezentren auf-
zubauen. Damit Patienten wie Barbara
Böhm aus Hannover in Zukunft nicht um
ihre Medikamente bangen müssen.
2018 wurden mehr als sechs
Millionen LiterPlasma aus den
USA nach Deutschland importiert
Manche Arten können
unter Umständen vom
Handel profitieren
Die meisten EU-Länder
lehnen Zahlungen für
Plasmaspenden als unethisch ab
Wa re
Wildtier
Ausmaß des Handels
deutlich größer als angenommen
Flüssiges
Gold
Aus Blutplasma werden lebenswichtige
Medikamente gewonnen, doch in Europa mangelt es
an dem Rohstoff. Nur wenige Unternehmen
kontrollieren den umkämpften Markt
Allein im vergangenen
Jahr stiegen die Preise
um etwa 30 Prozent
16 HF2 (^) WISSEN Montag,7. Oktober 2019, Nr. 231 DEFGH
Schamadrossel auf einem Vogelmarkt in
Yogyakarta,Indonesien. FOTO: GABBY SALAZAR
Gefrorenes Blutplasma. FOTO: IMAGO/MEDICIMAGE
So sorgen Sie richtig für das Alter vor.
Die neue Serie ab Dienstag, 8. Oktober 2019.