Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1

„Ich denke wirklich, dass eine


Währung in den Händen der


Länder bleiben sollte.“


Tim Cook, Apple-Chef, sieht die geplante
Kryptowährung Libra von Facebook kritisch.

„Ein signifikanter zweistelliger


Millionenbetrag wird es auch in


diesem Jahr werden.“


Frank Appel, Post-Chef, fürchtet weitere Verluste
bei der Elektrotransporter-Sparte Streetscooter.

D


as Gesetz des Schweigens kennt man vor allem
aus Mafia-Filmen – aber es gilt auch in der Welt
der Notenbanken. Es ist eine Art ungeschriebe-

ne Regel, dass ehemalige Notenbanker die Arbeit ihrer


Nachfolger nicht kritisieren. Insofern ist es tatsächlich


ein Tabubruch, dass prominente Ex-Geldpolitiker aus


Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Öster-


reich „ihre wachsende Sorge“ über die Entscheidungen


der Europäischen Zentralbank (EZB) in einem Memo-


randum zu Papier gebracht haben.


Im Kern geht es in dem Schreiben um die aggressive


Geldpolitik der EZB mit Minuszinsen, Anleihekäufen


und langfristigen Niedrigzinsversprechen. Diese Politik


verfehle längst die beabsichtigte Wirkung und führe zu


verdeckter Staatsfinanzierung. Die Argumentation ist


nicht neu. Bundesbankpräsident Jens Weidmann und


einige seiner Kollegen im Rat der EZB haben die Wie-


deraufnahme der umstrittenen Anleihekäufe mit ganz


ähnlichen Argumenten kritisiert. Letztlich geht es bei


dem Streit um die Frage, ob der Euro-Zone eine defla-


tionäre Abwärtsspirale droht oder nicht. Die Kritiker


von EZB-Präsident Mario Draghi vertreten die Meinung,
dass diese Gefahr nicht besteht oder dass sie zumindest
so gering ist, dass das jüngste Maßnahmenpaket nicht
gerechtfertigt sei. Die Verfechter einer lockereren Geld-
politik rund um Draghi sehen das naturgemäß völlig an-
ders.
Wenige Wochen vor dem Abschied des EZB-Präsiden-
ten wirkt die Notenbank so tief gespalten wie selten.
Aber das ist kein Wunder, schließlich bewegen sich die
Währungshüter seit geraumer Zeit in geldpolitischem
Neuland. Trotz drastischer Maßnahmen wie Strafzinsen
für Einlagen der Banken und Anleihekäufe im großen
Stil dümpelt die Inflation weiter deutlich unter dem von
der EZB angestrebten Wert von rund zwei Prozent vor
sich hin. Die Folgen geldpolitischer Fehlentscheidungen
sind gewaltig. Eine zu frühe Straffung würde die Exis-
tenz des Euros gefährden. Eine ungerechtfertigte Ver-
längerung der ultralockeren Geldpolitik birgt die Ge-
fahr, dass sich die Gesetze der paradoxen Welt der Mi-
nuszinsen in der Wirtschaft festfressen, mit all ihren
ungerechten Verteilungswirkungen.
In dieser Ausnahmesituation sollten kontroverse Dis-
kussionen nicht tabuisiert, sondern gefördert werden.
Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde täte gut daran,
für eine liberalere Diskussionskultur in der EZB zu sor-
gen. Dabei sollte sich Lagarde die US-Notenbank als
Vorbild nehmen. Auch der EZB-Rat sollte über Ent-
scheidungen formal abstimmen und abweichende Posi-
tionen veröffentlichen. Die Geldpolitik der EZB greift
derart tief in Gesellschaft und Wirtschaft ein, dass wir
alle ein Recht auf mehr Offenheit haben.

Geldpolitik


Mehr Offenheit, bitte


Der Streit über die Geldpolitik der
EZB ist eine fruchtbare
Diskussion. Deshalb sollte man ihn
nicht skandalisieren, meint
Michael Maisch.

Der Autor ist stellvertretender Ressortleiter
Finanzen. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Der


EZB-Rat


sollte über


Entschei -


dungen


formal


abstimmen


und abwei -


chen de


Positionen


veröffent -


lichen.


AFP, REUTERS, dpa

Immobilien


Obacht am


Häusermarkt


G


ute Stimmung war auf der
Immobilienmesse Expo Real
in den vergangenen Jahren
so sicher wie der pünktliche An-
stich zum Oktoberfest. Neue Rekor-
de an Investment- und Vermie-
tungsmärkten werden zweifelsohne
auch dieses Jahr in den Münchener
Messehallen für Zufriedenheit sor-
gen. Doch die Zeiten der großen
Sorglosigkeit sind vorbei. Immer
häufiger weicht sie Nachdenklich-
keit. Und das ist auch gut so.
Die konjunkturelle Abkühlung
wird vor dem Immobilienmarkt
nicht haltmachen. Noch betonen
Bürovermieter zwar, dass davon in
den Großstädten noch nichts zu
spüren ist. Doch das verwundert
nicht. Die Immobilienbranche ist
ein dem Wirtschaftszyklus nachlau-
fender Sektor. Sie reagiert erst mit
Verzögerung auf die Konjunkturent-
wicklungen. Das gilt in guten wie in
schlechten Zeiten. Dass in den ver-
gangenen Monaten zahlreiche deut-
sche Unternehmen Gewinnwarnun-
gen ausgaben und Tausende Stel-
lenstreichungen geplant sind, sollte
auch die Immobilienbranche als
Warnung verstehen.
Dass sich die deutsche Wirtschaft
im Vergleich zu einigen Nachbarlän-
dern noch vergleichsweise wacker
hält, sollte nicht als beruhigendes
Signal missverstanden werden.
Denn das liegt auch an der robus-
ten Baukonjunktur, die schwächere
Leistungen anderer Branchen abfe-
dert. Allerdings kann die Bau- und
Immobilienbranche eine Wirtschaft
allein nicht tragen. Die Iren und die
Spanier wissen das. Und die Immo-
bilienprofis wissen das nach der
letzten Finanzkrise auch.
Spätestens der geplatzte Börsen-
gang des Coworking-Unternehmens
WeWork sollte der Branche klarge-
macht haben, dass die Investoren
nicht mehr auf jeden Hype auf-
springen. Was positiv stimmt: Die
Branche scheint sich einiger Risiken
bewusst. Für die kommenden zwölf
Monate prognostizieren mehr Un-
ternehmen eine schlechtere als eine
bessere Entwicklung. Nimmt man
all diese Symptome zusammen.
Dann bleibt nur eine Diagnose: Wir
haben das Ende des Booms er-
reicht.

Seit zehn Jahren läuft der
Immobilienboom. Trotz
Niedrigzinsen ist Vorsicht
angebracht, meint Matthias Streit.

Der Autor ist
Finanzkorrespondent.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192


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