Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
WIRTSCHAFT

50 FOCUS 39/2019

E

rst nachdem Enise Lauter-
bach ihren Job als Chefärz-
tin an einer Klinik in Trier
gekündigt hatte, fühlte sie
sich wirklich frei. Als Toch-
ter türkischer Einwanderer
kannte sie seit ihrem Medi-
zinstudium vor allem den
Kampf. Gegen männliche Vorgesetzte,
die ihre Erfolge als Glück auslegten und
ihre Rolle als Mutter als Vorwand benutz-
ten, um sie klein zu halten. Trotzdem
schaffte sie es ganz nach oben. Aber sie
wollte nicht mehr.
„Frauen nützt es wenig, flei-
ßig und intelligent zu sein, wenn
sie weiterkommen wollen. Sie
brauchen ein starkes Netzwerk“,
erklärt sie mir. Die Kardiologin
gründet jetzt selbst, will ein KI-
basiertes Frühwarnsystem für
Herzkrankheiten entwickeln.
Enise und ich stehen in einem
hellen Loft im Berliner Stadt-
teil Lichtenberg. Hier findet das
Grace Summer Camp statt, ein
zweiwöchiges Intensivprogramm,
das Frauen dabei helfen soll, ihre
Ideen zu einem Geschäftsmodell
auszuarbeiten – und ich bin für
FOCUS mit dabei. Alle duzen sich.
Ganz entspannt.
Das Grace Summer Camp ist
eine Initiative der Berliner Strate-
gieberatung Ignore Gravity, die
sich in diesem Jahr zum zweiten
Mal daran versucht, die deut-
sche Start-up-Szene weiblicher
zu machen. Am Ende des Camps
wird ein Gewinner-Team gekürt.
Eine solche Initiative scheint
notwendig, denn Frauen sind in der
Gründerszene noch immer stark unter-
repräsentiert. Laut Boston Consulting
Group (BCG) wurden seit 2008 nur vier
Prozent aller deutschen Start-ups von
Frauen gegründet. Es ist eine Entwick-
lung, die offenbar nur schwer zu ändern
ist: Männer fördern eben lieber Männer
als Frauen.

Es fehlt an Heldinnengeschichten
Außerdem trauen sich Frauen weniger
zu, wie Studien belegen. „Frauen wer-
den nicht dazu erzogen, unternehmerisch
zu denken“, sagt Sophie Chung, Chefin
der Plattform Qunomedical. „Sie werden
geschult, sich anzupassen.“
Sophie ist Ärztin und Gründerin wie
Enise. Fragen beantwortet sie so schnell,

dass man sich konzentrieren muss. Kein
Small Talk, kein Abschweifen.
Hier im Camp soll sie Mentorin und
Vorbild sein. Denn daran fehlt es in der
Branche: Heldengeschichten von Grün-
derinnen, die es geschafft haben. Männer
reden lieber öffentlich über ihre Erfolge
als Frauen. Auch ich merke, wie unange-
nehm es mir ist, dass Franziska Schmitt,
eine der Ignore-Gravity-Mitarbeiterin-
nen, mich mehrmals als „Powerfrau“
vorstellt. Sie strahlt dabei und wirft die
braunen Haare, die ihr fast bis zur Hüfte
reichen, zur Seite.

Ihre Energie lässt mich an die Frauen
aus der Neunziger-Jahre-Mentos-Wer-
bung denken. Fresh und full of life. Ich
dagegen lächele seltsam gequält und
schaue zur Seite, wenn sie sagt, dass sie
meine Texte gut findet.
Das Grace Summer Camp erscheint
mir wie ein Paralleluniversum, in dem
sich alle mögen, unterstützen, vertrauen
und mittags gesunde Sachen mit Avocado
essen. „Okay, das ist anders als bei uns
in der Redaktion“, denke ich und gehe
auf Enise zu, die mit ihrem Team gerade
den Pitch ausarbeitet.
„Hier im Camp wurde wirklich so ein
richtiger Safe Space geschaffen, in dem
ich mich ausprobieren kann, ohne ver-
urteilt zu werden“, sagt sie. Ihre Team-
kollegin nickt energisch. Sie hat sich

bewusst ein Programm für Frau-
en ausgesucht. „Wir bauen uns
gegenseitig auf.“
Am Ende wird sie natürlich kei-
ne Firma gründen, die Männer
ausschließt. Sie wird in der noch
männlich dominierten Geschäfts-
welt bestehen müssen wie alle
anderen hier. Aber sie wird es mit
einem anderen Selbstverständnis
tun. Und das ist wohl die größte
Veränderung.
Auch ich verstehe das langsam,
als man mir zum dritten Mal sagt,
wie toll es ist, dass ich mich für
Frauen in der Digitalszene ein-
setze. Eigentlich mache ich doch
nur meinen Job. Aber die Worte fühlen
sich schon ganz gut an.

Frauen bekommen weniger Kapital
Als die 20 Frauen dann aber, wie jeden
Tag, im Kreis auf dem Boden sitzen und
meditieren, schaue ich nur zu – und schä-
me mich doch ein bisschen für meine
Passivität.
Franziska ist neben ihrer Rolle als Pro-
jektstrategin auch Achtsamkeitsexper-
tin und leitet die Runde. Alle schließen
die Augen, hören ihrer hellen, ruhigen
Stimme zu. Kopf frei machen, dann kann
man auch neu denken. Ich stelle mir vor,
wie 20 Chefredakteure in italienischen
Anzügen dort im Schneidersitz vor sich
hin atmen, und muss grinsen. Nach der
Runde fängt mich eine Teilnehmerin im

Idealistinnen Katharina Klimkeit (l.) und Shari Linthe
wollen die Beauty-Industrie nachhaltiger machen

Freundinnen Achtsamkeitsexpertin
Franziska Schmitt (M.) meditiert
morgens mit den Teilnehmerinnen

„Im Camp können wir uns ausprobieren, ohne verurteilt zu werden“


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