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öllig allein steht die Witwe
vor dem Grab ihres Ehe-
manns Frank Underwood.
Trauer für den toten Poli-
tiker scheint sie nicht zu
empfinden. Claire Under-
wood murmelt ein paar
verächtliche Worte in Rich-
tung Grabstein, dreht sich abrupt um und
geht dann langsam aus dem Bild. Cut,
aus, Schluss.
Die erfolgreiche Serie um Aufstieg und
Machenschaften des skrupellosen US-Po-
litikers Frank Underwood fand ein jähes
Ende, weil die Wirklichkeit den Schau-
spieler Kevin Spacey eingeholt, ja über-
holt hatte. Nachdem ihm mehrere Män-
ner vorgeworfen hatten, sie
massiv sexuell bedrängt zu
haben, machte Netflix kur-
zen Prozess. Trotz des gro-
ßen Erfolgs von „House Of
Cards“ musste Hauptdar-
steller Spacey gehen. Das
reale Leben ist manchmal
noch krasser als das Dreh-
buch einer Serie, in der Poli-
tiker vor allem als Schurken
auftauchen.
Egal, wohin man in
dieser Woche blickt – die
Hauptakteure der realen
Politik sind vom Zerrbild
des „House Of Cards“ nicht
mehr weit entfernt. US-Prä-
sident Donald Trump setzt
ausländische Staatschefs
unter Druck, um seinen
demokratischen Rivalen Joe Biden
zu distanzieren. Biden wiederum ver-
schaffte als früherer Vizepräsident sei-
nem Sohn Hunter einen verdächtig gut
bezahlten Beratungsauftrag bei einem
ukrainischen Gaskonzern.
In Großbritannien ließ Premierminis-
ter Boris Johnson während seiner Amts-
zeit als Londoner Bürgermeister seiner
damaligen Geliebten Vergünstigungen
auf Staatskosten zukommen.
Gegen den ehemaligen FPÖ-Chef
Heinz-Christian Strache ermittelt die
Wiener Staatsanwaltschaft wegen der
Veruntreuung von Parteigeldern. Und
nicht zuletzt wies der Rechtsausschuss
des Europaparlaments zwei designierte
EU-Kommissare wegen schwerwiegen-
der Verfehlungen zurück; gegen vier
weitere Kandidaten gibt es ebenfalls
gravierende Vorbehalte mit rechtlichem
Hintergrund.
Was ist nur los mit der politischen Klas-
se? Unterscheiden sich die Top-Politiker
der freien westlichen Welt noch groß von
ihren Kollegen in den sogenannten Prob-
lemländern, in denen Bereicherung und
Nepotismus zum Alltag gehören? Was ist
passiert, wenn sich binnen weniger Tage
solche Nachrichten zu einem Bündel von
Betrugsvorwürfen, Nötigung, Amtsmiss-
brauch oder Korruption verdichten? Und
das in einer Situation, in der die politi-
schen Populisten in Europa und den USA
dankbar alles aufnehmen, um die Vertre-
ter der demokratischen Institutionen zu
diffamieren und zu diskreditieren?
Wie kann man in dieser Lage über
Populismus schimpfen und durch eigene
Verfehlungen den Gegnern der Demokra-
tie gleichzeitig scharfe Munition für ihren
Kampf gegen das Establishment liefern?
„Leider sind auch eine Reihe von Poli-
tikerinnen und Politikern sehr unsensi-
bel für Dinge, die ein schlechtes Licht
auf sie werfen“, sagt Hartmut Bäumer,
Vorsitzender von Transparency Interna-
tional. „Die Wirkung ihres Verhaltens in
der Öffentlichkeit wird oft völlig unter-
schätzt.“ Auch ein Freispruch oder ein-
gestellte Ermittlungen gegen Amtsträger
verstärken das ohnehin schon schlechte
Image der Politiker, sagt der Transparen-
cy-Chef. „Nicht alles, was nicht straf-
bar ist, ist deshalb auch erlaubt.“ Man
habe zunehmend den Eindruck, dass in
der Politik „manche den Hals nicht voll-
kriegen können“. Bäumer vermisst „bei
Politikern das Selbstverständnis, sich in
erster Linie als Dienende des Staates und
nicht als Verdienende zu sehen“.
Die aktuellen Zahlen von Transpa-
rency passen ins Bild. Sie zeigen einen
weltweiten Anstieg von Korruption und
Bestechung – mit fatalen Wirkungen:
Nach Einschätzung der Organisation
gibt es einen klaren Zusammenhang
zwischen Korruption und dem Verfall
von Demokratien und rechtsstaatlichen
Strukturen.
Regeln werden ständig aufgeweicht
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf
Korte betrachtet die Entwicklung mit Sor-
ge. „Der Populismus zielt auf das Etab-
lierte“, sagt der Direktor der NRW School
of Governance an der Universität Duis-
burg-Essen. Für die Populisten sei „das
Rechtssystem ineffizient,
das regierende Personal
strauchelnd“. Jeder Fall,
der diesem Bild entspricht,
spielt den Populisten in
die Hände. Die „vermeint-
lichen oder tatsächlichen
Verfehlungen des Spitzen-
personals finden insofern
Resonanz“, sagt Korte.
Am auffälligsten agiert
aus seiner Sicht der
US-Präsident. „Politiker
wie Trump verschieben
täglich die Maßstäbe des
Rechtsstaats.“ Trump wol-
le nach eigener Aussage
„Washington schreddern“,
erinnert Korte, „das war
sein Anspruch bei der
Wahl“. Man sehe das an
Trumps „Umgang mit Regeln, die er täg-
lich aufweicht, umschreibt, verändert“.
Thomas Krüger, Präsident der Bundes-
zentrale für politische Bildung (bpb), ver-
weist auf Umfragen, wonach zwei Drit-
tel der Bürger zumindest einen Teil der
Politiker schon für korrupt halten. „In
Deutschland ist die Lage zum Glück bes-
ser, weil unser Rechtsstaat belastbarer
ist und unsere Medien nicht so gleich-
geschaltet sind wie in manchen Ländern
Osteuropas“, sagt Krüger.
In der Tat fallen in diesen Tagen ver-
mehrt osteuropäische Politiker auf. Von
den 26 designierten Kandidaten für die
Besetzung der neuen EU-Kommission
unter Führung von Ursula von der Leyen
standen gleich ein halbes Dutzend unter
misstrauischer Beobachtung des EU-Par-
laments. Zwei designierte Kommissare
wurden vom Rechtsausschuss zurückge-
wiesen. Der rumänischen Anwärte-
POLITIK
Fotos: Pete Marovich/dpa, AP Photo/Charles Dharapak
32 FOCUS 41/2019
Familienbande Der frühere US-Vizepräsident Joe Biden verschaffte seinem Sohn
Hunter einen gut bezahlten Beraterjob bei einer ukrainischen Gasfirma
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Korruption und dem Verfall von Demokratien