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60 FOCUS 41/2019
it dem Geldanlegen ist das bei
den Deutschen so eine Sache.
Wer sich damit nicht lange be-
schäftigen wollte, parkte seine
Ersparnisse bislang einfach bei
der Bank: Sparkonto, Staatsan-
leihen, vielleicht ein Rentenfonds.
Sicherheit ging den meisten vor,
die Rendite kam automatisch.
Doch im vierten Jahr des Null-
zinses dämmert vielen, dass es
so nicht weitergehen kann. Denn
Banken und Staaten zahlen keine
Zinsen mehr. Stattdessen erheben
sie immer öfter sogar eine Straf-
gebühr fürs Ersparte. 30 deutsche
Banken und Sparkassen verlan-
gen mittlerweile von ihren Pri-
vatkunden eine Geldbuße von
0,4 Prozent, wenn sie mehr als
100 000 oder 500 000 Euro depo-
nieren (siehe Tabelle biallo.de).
Diese Strafzinsen kassieren klei-
ne Institute, aber auch große wie
etwa die Berliner Sparkasse, die
Frankfurter Volksbank oder die
Hamburger Sparkasse.
Und es dürften schon bald mehr
werden. Denn die Europäische
Zentralbank (EZB) hat die Straf-
zinsen weiter erhöht: von 0,4 Pro-
zent auf 0,5 Prozent. Für alle Kre-
ditinstitute, die Geld dort lagern.
Damit zwingt die EZB noch
mehr Banken dazu, diese Nega-
tivzinsen an ihre Kunden weiter-
zureichen. Womöglich auch schon
bald für Guthaben unter 100 000
Euro. Bereits voriges Jahr zahlten
die deutschen Banken und Spar-
kassen 2,4 Milliarden Euro Straf-
zinsen an die EZB. Steigt diese
Zwangsabgabe weiter, wächst
auch der Druck auf die Kredit-
institute.
Erste kleinere Institute wie
die Deutsche Skatbank und die
Sparkasse Rotenburg-Osterholz
haben den Strafzins bereits
erhöht. Auch bundesweite Anbie-
ter wie die Commerzbank denken
über Strafzinsen für vermögende
Kunden nach. Insgesamt rechnen
40 Prozent der kleinen und mittel-
großen Banken auf mittlere Sicht
damit, Strafzinsen zu erheben,
ergibt eine Umfrage von Bundes-
bank und Bankenaufsicht (BaFin).
Die Ära der Strafzinsen erzwingt
ein anderes Sparen
Es ist die wohl größte Umwälzung
in der Finanzbranche. Wenn Spa-
rer von Banken kein Geld mehr
für Erspartes bekommen, sondern
dafür sogar bezahlen müssen,
stellt das ein jahrhundertealtes
Geschäftsprinzip völlig auf den
Kopf. Wenn nicht gar das gesam-
te Wirtschaftssystem.
Die meisten Anleger müssen
darauf reagieren und ihr Anla-
geverhalten radikal verändern.
Beim „neuen Sparen“ geht es
nicht mehr um maximale Sicher-
heit, um Festgeld, Tagesgeld und
Sparbuch. Wer sein Erspartes künf-
tig mehren will, kommt an Aktien,
Aktienfonds und Sparplänen nicht
mehr vorbei. Denn nur die bringen
langfristig Rendite. So stieg etwa
der Deutsche Aktienindex (Dax)
in den vergangenen 20 Jahren um
gut 75 Prozent. Und das trotz aller
zwischenzeitlichen Börsencrashs
- so etwa im Jahr 2008, als der
Dax um 41 Prozent einbrach.
Trotzdem sind viele Sparer
immer noch skeptisch: Eignen sich
Aktien überhaupt für mich? Kenne
ich mich da nicht viel zu wenig
aus? Und sind die Risiken nicht
trotzdem viel zu hoch?
„Geldanlage war noch nie so
einfach wie heute!“, sagt Philipp
Vorndran, Kapitalmarktstratege
der angesehenen Vermögensver-
waltung Flossbach von Storch.
„Denn in Zeiten ohne Zinsen blei-
ben nur noch Sachwerte interes-
sant.“ Das sind vor allem solide
Aktien, mit denen sich Anleger
an starken Unternehmen betei-
ligen und somit Rendite erzielen
können.
Die neue, lukrative Anlageform
heißt: Aktienfonds
Experten raten Privatanlegern
allerdings, nicht in Einzelaktien
zu investieren, sondern in Akti-
enfonds oder Aktienindexfonds.
Der Vorteil: Die Sparer müssen
sich nicht mehr mühsam selbst
die besten Einzelaktien heraussu-
chen. Sie kaufen sich stattdessen
in einen Fonds ein, der Dutzende
erfolgreicher Unternehmen bün-
delt. Aus Deutschland, Euro-
M
„Geldanlage war
noch nie so einfach
wie heute. Denn in
Zeiten ohne Zinsen
bleiben nur noch
Sachwerte interes-
sant.“ Für Sparer
bedeutet das: Sie
müssen ihr Anlage-
verhalten radikal
ändern, damit sie
langfristig Rendite
erzielen
Konjunktur kühlt ab Die Wirtschaft
wächst 2019 nur noch um 0,5 Prozent
Mario Draghi, 72,
Präsident der
Europäischen
Zentralbank (EZB)
„Wir erwarten, dass
die EZB-Leitzinsen
... auf dem aktuellen
oder einem niedrige-
ren Niveau bleiben.“
Am 23. September
2019 vor dem Europäi-
schen Parlament
2018 2019* 2020*
So wächst die deutsche Wirtschaft
Veränderung Bruttoinlandsprodukt gegenüber
Vorjahr (*Prognose)
1,5%
0,5%
1,1%
Quellen: Stat. Bundesamt, Wirtschaftsinstitute