Frankfurter Allgemeine Zeitung - 04.10.2019

(lily) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG, 4. OKTOBER 2019·NR. 230·SEITE 17


Es mehren sich Forderungen nach


einerneuenVermögensteuer.


Welche Folgen hätte das?Seite 18


Die Pleite von Thomas Cook ist


dererste Krisenfall für Chinas


Großaktionär Fosun.Seite 22


Der Technologiekonzern Microsoft


überrascht mit einem faltbaren


Handy mit zwei Bildschirmen.Seite 24


Die Risiken wären enorm Chinas Markensammler Comeback mitSmartphones


D


ie Europaabgeordneten können
sich einen gewissen Stolz nicht
verkneifen, dass sie die Kandidaten
für die Europäische Kommission, an-
ders etwa als die Bundestagsabgeord-
neten die Minister, auf Herz und Nie-
ren prüfen können. „Grillen“ heißt
das im EU-Jargon. Bei der Anhörung
des – vereinfacht gesagt – im Norden
und auf der finanzpolitisch konservati-
ven Seite kritisch beäugten Kandida-
ten als EU-Wirtschaftskommissar, des
Italieners Paolo Gentiloni, aber zeigte
sich, dass die meisten Kandidaten kei-
ne allzu große Hitze fürchten müssen.
Gentiloni, ganz Vollblutpolitiker,
blieb ausreichend vage, um nieman-
den aus den proeuropäischen Reihen
zu verärgern. Er bekannte sich zur fle-
xiblen Auslegung des Stabilitätspakts,
zur Ausnutzung von „Spielräumen“ in
den nationalen Haushalten für Investi-
tionen und einer europäischen Ar-
beitslosenversicherung, zugleich aber
zu Strukturreformen, Schuldenabbau
und gegen Transfers. Die Sorge, dass
der Akzent künftig noch stärker als
heute schon auf einer weiten Ausle-
gung der EU-Regeln liegt, konnte er
nicht ausräumen. Dennoch winkten
auch die konservativen Abgeordneten
Gentiloni durch. Es grillt sich schwer
in Zeiten knapper Mehrheiten.

S

elten ist ein Unternehmen so
schnell und brutal entzaubert wor-
den wie Wework. Bis vor kurzem noch
als einer der aussichtsreichsten Börsen-
kandidaten des Jahres gehandelt, steht
der New Yorker Bürovermittler heute
vor einem Scherbenhaufen. Der Bör-
sengang ist abgeblasen, Mitgründer
Adam Neumann wurde als Vorstands-
chef gestürzt. Er ist nun die Symbolfi-
gur des Fiaskos. Auf einmal werden
alle möglichen Extravaganzen ausge-
plaudert, die er sich geleistet haben
soll: seine Wutanfälle, wenn sein 140
Dollar teurer Lieblingstequila nicht be-
reitstand, sein Luxusbüro mit Sauna
und Massagetisch oder sein Marihua-
nakonsum im schicken Firmenjet.
Mit solchen Episoden lässt sich ein
Narrativ stricken, wonach Weworks
Fall auf den Größenwahn einer einzel-
nen Person zurückgeht und damit eine
Ausnahmeerscheinung ist. Das jedoch
greift viel zu kurz. Denn Investoren
und Banken waren willige Komplizen,
sie setzten Neumanns Hang zur Selbst-
überhöhung zu wenig entgegen oder
stachelten ihn sogar an. Zudem lassen
sich Parallelen zwischen Wework und
anderen Unternehmen wie dem Fahr-
dienst Uber ziehen, deren Weg an die
Börse in diesem Jahr viel holpriger
war als erhofft. Wework mag ein Ex-
trembeispiel sein, hält aber dem Öko-
system rund um Start-up-Unterneh-
men den Spiegel vor.
Vor seiner jähen Entmachtung hat
es Neumann jahrelang verstanden,
dem im Kern recht banalen Geschäfts-
modell von Wework einen glamourö-
sen Anstrich zu geben und seine Geld-
geber einzulullen. Das Unternehmen
mietet Büroräume an, peppt sie op-
tisch und technisch auf und vermietet
sie dann weiter. Aber Neumann sah
sein Metier nicht einfach nur in Immo-
bilien, sondern inszenierte sich als Ar-
chitekt einer neuen Arbeitswelt und be-
schrieb Wework als Technologieunter-
nehmen, das entsprechend bewertet
werden sollte. Seine Investoren spiel-
ten mit, allen voran der japanische
Softbank-Konzern, der mehr als
10 Milliarden Dollar in Wework pump-
te. So schaukelte sich die Bewertung
des Unternehmens in außerbörslichen
Finanzierungsrunden bis auf 47 Milli-
arden Dollar nach oben. Als Neumann
den Börsengang vorbereitete, flüster-
ten ihm Banken ein, daraus könnte wo-
möglich gar das Doppelte werden.
Das böse Erwachen kam, als We-
work den Börsenprospekt veröffent-
lichte. Daraus ging nicht nur hervor,
wie weit das Unternehmen von Gewin-
nen entfernt ist. Wework wurde auch
schlagartig zum Paradebeispiel für mi-
serable „Corporate Governance“, also
Unternehmensführung. Wie der Pro-
spekt offenbarte, hatte sich Neumann
über eine spezielle Aktienstruktur
eine immense Machtfülle gesichert
und fragwürdige Geschäfte mit dem ei-
genen Unternehmen gemacht, etwa in-
dem er von ihm Millionen für die Nut-
zung der Marke „We“ kassierte. Es ent-
stand der Eindruck, Wework sei sein
persönlicher Selbstbedienungsladen.

Die Bank JP Morgan Chase, die sich
das Mandat für den Börsengang gesi-
chert hatte, hätte von den Interessen-
konflikten wissen müssen, da sie so-
wohl mit Wework als auch mit Neu-
mann selbst Geschäfte machte. Aber
wenn sie im Bilde war, schien es sie
nicht zu stören. Die Resonanz poten-
tieller Anleger fiel indessen vernich-
tend aus, Wework musste die Preisvor-
stellungen für seine Aktien so weit re-
duzieren, dass der Börsenwert keine
20 Milliarden Dollar mehr erreicht hät-
te. Schließlich wurden die Börsenplä-
ne aufgegeben.
Gründer wie Neumann waren in
den vergangenen Jahren in einer kom-

fortablen Position, denn Wagniskapi-
talgeber rissen sich um sie. Diese Inves-
toren haben reichlich Geld, das ange-
legt werden will. Sie treibt die Angst,
einen großen Wurf wie das nächste
Facebook oder Google zu verpassen.
Entsprechend lassen sie sich zu hohen
Bewertungen hinreißen und drücken
ein Auge zu, wenn Gründer ihre Unter-
nehmen so strukturieren, dass sie weit-
gehend alleine das Sagen haben. Diese
Dynamik kann sich heute länger fort-
setzen als früher, weil es angesichts
des vielen Wagniskapitals in Amerika
üblich geworden ist, sich mit dem Bör-
sengang Zeit zu nehmen. Entspre-
chend größer ist die Gefahr, dass sich
außerbörsliche Bewertungen nicht hal-
ten lassen, wenn der Moment der
Wahrheit an der Wall Street kommt.
Dieses Schicksal ereilte vor Wework
auch schon Uber. Der Fahrdienst wur-
de vor seinem Börsengang mit mehr
als 70 Milliarden Dollar bewertet, Ban-
ken machten ihm Hoffnung, er könnte
es an der Börse sogar auf 120 Milliar-
den Dollar bringen. Heute liegt seine
Marktkapitalisierung um die 50 Milli-
arden Dollar. Anders als Wework hat
es Uber immerhin an die Börse ge-
schafft, der Fahrdienst hat auch keine
vergleichbaren Corporate-Governan-
ce-Defizite. Aber ebenso wie den Büro-
vermittler verfolgen auch ihn Zweifel,
ob er es schaffen kann, profitabel zu
werden.
Weworks krachend gescheiterter
Versuch, an die Börse zu gehen, ist ein
herber Rückschlag für die amerikani-
sche Start-up-Szene. Er könnte sich
aber auch als heilsamer Schock erwei-
sen. Zum Beispiel, wenn er eine neue
Nüchternheit einkehren lässt, die zwar
nicht Innovationsgeist erstickt, aber
verhindert, dass Investoren sich von
Gründerkult blenden lassen und Unter-
nehmen meinen, Gewinne oder auch
nur die Aussicht darauf seien optional.
Es könnte künftigen Börsenkandida-
ten helfen, mit Reife und Realitätssinn
zu überzeugen.

W


ie lange steht die schwarze Null
noch? Der Druck wird von vie-
len Seiten größer, zusätzlich Kredite
aufzunehmen, um mehr aus dem Bun-
deshaushalt finanzieren zu können.
Viele sehen darin die einzige Möglich-
keit, um wichtige Projekte stemmen
zu können: Investitionen, Digitalisie-
rung, Klimaschutz. Das klingt besser,
als es ist. Wenn heute etwas wichtiger
wird, sollte weniger Wichtiges entfal-
len. Dieses Abwägen ist mühsam und
zuweilen schmerzhaft, aber ausgespro-
chen hilfreich. Der Etatausgleich ver-
hindert das Wirtschaften auf Kosten
anderer Menschen, die sich nicht weh-
ren können: der nächsten Generation.
Er sorgt für Disziplin. Leichtfertig soll-
te man dies nicht aufgeben. Etwas an-
deres ist es, wenn die Wirtschaft tat-
sächlich schrumpft. Der Staat sollte
der Krise nicht Futter geben, indem er
hinterherspart. Das ist seit langem
Konsens unter Wirtschaftswissen-
schaftlern. Doch das heißt nicht, dass
die Forschungsinstitute grundsätzlich
gegen die schwarze Null sind. Wer
sich die Mühe macht, in ihr Herbstgut-
achten zu schauen, stößt vielmehr auf
die Sorge, dass ein größerer Ausgaben-
spielraum nur genutzt wird, um not-
wendigen Reformen auszuweichen.
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der krachend gescheiterte
Börsengang ist ein
herber Rückschlag für
Amerikas Start-up-Szene.

chs./hmk./wvp. PARIS/BRÜSSEL/WA-
SHINGTON, 3. Oktober. Nach dem
WTO-Schiedsspruch im Subventions-
streit um Airbus und Boeing stehen die
Zeichen in den transatlantischen Handels-
beziehungen auf Sturm. Die Welthandels-
organisation (WTO) hatte am Mittwoch
den Vereinigten Staaten das Recht einge-
räumt, Importe aus Deutschland, Frank-
reich, Großbritannien und Spanien in ei-
ner Höhe von jährlich 7,5 Milliarden Dol-
lar mit Strafzöllen zu belegen. Denn diese
Länder hätten Airbus jahrelang rechtswid-
rige Staatshilfen zukommen lassen. Die
Vereinigten Staaten wollen die Zölle in
wenigen Tagen erheben. Betroffen ist
eine große Bandbreite an Produkten von
Flugzeugen bis Nahrungsmitteln.
Vor diesem Hintergrund versuchte die
Europäische Kommission am Donners-
tag, eine weitere Eskalation des Konflikts
zu vermeiden. Sollte Trump tatsächlich
Vergeltungszölle erheben, schade das zu-
nächst einmal den amerikanischen Ver-
brauchern, sagte ein Sprecher von EU-
Handelskommissarin Cecilia Malmström.
Die EU setze auf Verhandlungen mit den


Vereinigten Staaten, um die Zölle noch ab-
zuwenden. Sollten die Amerikaner Vergel-
tungszölle verhängen, „werden sie der EU
keine andere Wahl lassen, als dasselbe zu
tun“, stellte der Sprecher jedoch auch klar.
Wie die EU konkret reagieren würde,
blieb am Donnerstag offen. Sie könnte bis
Anfang kommenden Jahres warten, wenn
die WTO über die Höhe der Vergeltungs-
zölle entscheidet, die die EU voraussicht-
lich im Gegenzug für die Boeing-Beihilfen
der Vereinigten Staaten erheben darf. Die
EU hatte im Frühjahr eine Liste mit Pro-
dukten vorgelegt, die davon betroffen sein
könnten, darunter Tomatenketchup,
Wein, Reisekoffer und Spielekonsolen,
aber auch Traktoren oder Fahrradrahmen.
Die Kommission könnte aber auch
eine alte WTO-Entscheidung in einem an-
deren, von Airbus-Boeing unabhängigen
Fall von 2002 heranziehen, um Zölle zu er-
heben. Es geht um Vergeltungszölle in
Höhe von bis zu vier Milliarden Dollar,
die die WTO der EU „erlaubt“ hat, weil
die Amerikaner die Ausfuhr von Produk-
ten durch Steuervorteile subventioniert
hatten. Die EU hat diese Zölle nie erho-
ben. Heikel wäre dieser Schritt, da Ameri-
kaner und Europäer den Streit über diese
Subventionen 2006 eigentlich gütlich bei-
gelegt haben.
Die Handelsminister hatten diese Op-
tion offenbar am Dienstag bei einem Tref-
fen in Brüssel, nicht zuletzt auf Druck
Frankreichs, geprüft. In der Kommission
hieß es aber anschließend, dass ein euro-
päischer Gegenschlag auf Basis eines al-
ten, eigentlich abgeschlossenen Falles ei-
ner Provokation gleichkäme und den Han-
delskonflikt unnötig anheizen würde.
„Wir prüfen im Augenblick alle Optionen,

das heißt aber nicht, dass wir auch alle Op-
tionen nutzen“, sagte der Sprecher.
Der französische Wirtschafts- und Fi-
nanzminister Bruno Le Maire rief die Ver-
einigten Staaten am Donnerstag ebenfalls
zu Verhandlungen auf. Strafzölle seitens
der Vereinigten Staaten seien „ein ökono-
mischer und politischer Fehler“. Seit Mo-
naten böten Frankreich und die EU-Kom-
mission Gespräche an. „Wenn die ameri-
kanische Regierung unsere ausgestreckte
Hand zurückweist, sind wir bereit mit
Sanktionen zu reagieren, die uns die WTO
gestattet“, sagte Le Maire. Im kommenden
Jahr wird die WTO in dem seit 2004 wäh-
renden Streit über die amerikanischen
Subventionen zugunsten von Boeing urtei-
len. Handelsfachleute erwarten, dass der
EU ebenfalls umfangreiche Sanktionsmög-
lichkeiten eingeräumt werden.
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW)
schätzt, dass die Vereinigten Staaten so-
gar noch mehr leiden könnten als Euro-
pa, weil Boeing mehr Flugzeuge an euro-
päische Fluggesellschaften verkauft als
Airbus an amerikanische Abnehmer. An-
gesichts der schweren Krise um die Boe-
ing 737-Max käme das für den amerikani-
schen Hersteller zur Unzeit. Dennoch hat
Europa keinen Grund zur Freude: „Vor al-
lem China wäre lachender Dritter“, mein-
te IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. In
Deutschland könnten die Strafzölle einen
jährlichen Schaden von zwei Milliarden
Euro verursachen, schätzt er.
Donald Trump hatte am Vortag in ei-
nem Twitter-Beitrag von einem „schönen
Sieg“ geschrieben. Die amerikanische Re-
gierung hat nach Angaben des Büros des
Handelsbeauftragten noch am Mittwoch
das Zollverfahren eingeleitet, um die von

der Welthandelsorganisation WTO auto-
risierten Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Nie habe ein Schiedsspruch der WTO ei-
nen größeren Warenwert betroffen als
die nun genehmigten 7,5 Milliarden Dol-
lar, teilte die Behörde mit. Ursprünglich
hatte sie Strafzölle in Höhe von 10,6 Milli-
arden Dollar beantragt.
Nach Angaben des Handelsbeauftrag-
ten Robert Lighthizer erheben die Verei-
nigten Staaten vom 18. Oktober an zehn
Prozent Zoll auf große Passagierflugzeu-
ge und 25 Prozent auf landwirtschaftliche
Produkte und andere Güter. Whisky, Tex-
tilien, Käse, Butter, Olivenöl, Meeres-
früchte und Schweinefleisch stehen auf
der Liste der Produkte, die mit 25 Prozent
Aufschlag belegt werden. Speziell auf
Deutschland zielen Zölle auf Kaffee, Kek-
se, bestimmte Werkzeuge, Klingen, Ma-
gnete, spezielle Mikrowellen-Öfen und
optische Linsen. In Frankreich ist unter
anderem der Weinexport betroffen.
Lighthizer weist in seiner Stellungnah-
me darauf hin, dass die Vereinigten Staa-
ten berechtigt seien, bis zu 100 Prozent
Zoll auf die jeweiligen Importwaren zu er-
heben. Sie könnten das zu jeder Zeit be-
stimmen und dabei auch die Liste der be-
troffenen Produkte ändern. Der Chef-
unterhändler der amerikanischen Regie-
rung machte zugleich klar, dass er nun
Verhandlungen mit der EU erwarte, um
das Problem in einer Weise zu beheben,
die den amerikanischen Arbeitern nütze.
Der WTO-Entscheid hatte am Mitt-
woch die Börsenwerte von Flugzeugbau-
ern und Luftfahrtgesellschaften stark be-
lastet, doch am Donnerstag erholten sich
einige Kurse wieder, besonders der von
Airbus.

Der Wework-Schock


VonRoland Lindner, New York


Schwer gegrillt


VonHendrik Kafsack


mas.BERLIN, 3. Oktober. Das Saarland
ruft nach Hilfen des Bundes für seine kri-
selnde Stahlindustrie. Ministerpräsident
Tobias Hans (CDU) fordert Unterstüt-
zung in Milliardenhöhe. Die Stahlproduk-
tion der Zukunft bezeichnet der Politiker
in einem Brief an Bundeskanzlerin Ange-
la Merkel (ebenfalls CDU) als eine Schlüs-
selfrage der wirtschaftlichen Stabilität.
„Daher appelliere ich sehr eindringlich
an Sie, die saarländische Stahlindustrie
zu unterstützen.“ Die Produktion von sau-
beren und innovativen Stahlprodukten
„Made in Germany“ müsse erhalten wer-
den. „Eine Abwanderung der Stahlpro-
duktion in andere Länder mit weniger
ökologischen und sozialen Standards dür-
fen wir nicht zulassen“, mahnt er.
Der Regierungschef in Saarbrücken
sucht den Schulterschluss mit den Kolle-
gen aus den übrigen betroffenen Bundes-
ländern, um den Druck auf Berlin erhö-
hen zu können. Ihn treiben die globalen
Überkapazitäten, Dumping- und Subven-
tionspraktiken von Drittstaaten, die ame-
rikanischen Strafzölle und die damit ver-
bundenen Handelsumlenkungen sowie
die geringere Stahlnachfrage der Autoin-
dustrie um. Dies führe schon zu deutli-
chen Produktionsrückgängen, schreibt
Hans. Er verweist auf die beiden saarlän-
dischen Stahlunternehmen Dillinger Hüt-
te und Saarstahl, die einen Abbau von an-
nähernd 20 Prozent der Beschäftigten in
den kommenden drei Jahren angekündigt
hätten. Hinzu kämen nun die drohenden
Zusatzbelastungen für den Klimaschutz
und Energieauflagen.
Auf die Frage, wie hoch die Hilfe nach
seinen Vorstellungen sein müsse, sagte
der CDU-Politiker im Gespräch mit der


F.A.Z.: „Wenn wir 40 Milliarden Euro ha-
ben, um aus Klimaschutzgründen aus der
Kohleverstromung auszusteigen, müssen
wir auch einen Milliardenbetrag, der
nicht zweistellig ist, aufbringen können,
um unsere Stahlindustrie in eine klima-
neutrale Zukunft zu führen.“ Das nationa-
le Klimapaket sei in sich zwar richtig, er-
schwere aber die Lage der Stahlindustrie.
Energie werde damit noch teurer. „Wenn
wir nichts tun, wird woanders produziert


  • im Zweifel dort, wo es keine Rolle
    spielt, wie viel Kohlendioxid in die Luft
    geblasen wird. Dann hat man dem Klima-
    schutz einen Bärendienst erwiesen.“ Der
    europäische Zertifikatehandel wird nach
    seiner Einschätzung zu massiven Mehr-
    kosten für die Stahlunternehmen führen,


wenn die Verschmutzungsrechte weiter
verknappt werden. „Gleichzeitig kommt
Stahl zu Dumpingpreisen ins Land“, warn-
te er. Schon heute sei die Menge, die ein-
geführt werde, größer als die in Deutsch-
land produzierte Menge.
Der Saarländer wirbt dafür, die Stahlin-
dustrie ähnlich wie die Energiewirtschaft
zu unterstützen. Er verwies auf das Erneu-
erbare-Energien-Gesetz (EEG), das dazu
beigetragen habe, mehr und mehr Strom
mit Hilfe von Wind und Sonne zu produ-
zieren. „Wenn wir grünen Stahl haben
wollen, müssen wir das unterstützen.“
Sein Ziel: mit neuen Verfahren wie der
Umstellung auf Wasserstoff die Stahlpro-
duktion klimaschonender machen. Die
Aufgabe ist gewaltig: „Wenn wir heute

Stahl mit Wasserstoff statt mit Koks ko-
chen wollten, brauchten wir allein im
Saarland dafür die kompletten erneuerba-
ren Energien.“ Das zeige, dass dazu noch
geforscht werden müsse, damit dies effi-
zienter gehe. „Wir wissen, dass wir bis
Mitte der zwanziger Jahre unsere Hoch-
öfen umstellen müssen.“
Wie der Ministerpräsident weiter erläu-
tert, sind Stahl und Auto die tragenden
Säulen der Industrie im Saarland. „Auto-
krise und sinkender Stahlabsatz treffen
uns doppelt und damit stärker als andere
Regionen in Deutschland“, betont er.
„Was sich jetzt im Saarland abspielt, kann
sich bald auch in vielen anderen Regio-
nen unseres Landes bemerkbar machen.“
Hochleistungsstahl sei systemrelevant für
Deutschland. „Wir müssen ein Interesse
daran haben, diese für uns wichtige Indus-
trie zu erhalten.“ Wenn der Stahl erst ein-
mal weg sei, werde dies auch für andere
Industriezweige erhebliche Folgen haben.
„Dies wäre für die Volkswirtschaft kata-
strophal.“
Nach Ansicht von Hans sollte Europa
mehr gegen Stahlimporte aus China zu
Dumpingpreisen tun. Nachdem Präsident
Donald Trump die Zölle zum Schutz der
amerikanischen Industrie erhöht hat, zog
Brüssel zwar nach, aber das reicht dem
CDU-Politiker nicht: „Ich bin dafür, dass
man die Schutzmaßnahmen anzieht.“ Al-
lerdings sieht er selbst, dass der Spiel-
raum gering ist, wenn man nicht harte Ge-
genmaßnahmen von Peking riskieren
will: „Das hilft alles nichts, wenn am
Ende keine deutschen Autos mehr expor-
tiert werden.“ Daher lautet sein zentraler
Ansatz: „Wir müssen die Innovationen
fördern.“

Airbus-Subventionen heizen Handelsstreit an


Die hilfreiche Null


VonManfred Schäfers


Saarland sendet Notruf für die Stahlindustrie


Ministerpräsident Hans schreibt Bundeskanzlerin Merkel / Milliardenhilfe für Produktionsumstellung gefordert


Ein Schiedsgericht


erlaubtAmerika,


Strafzölle auf Waren aus


Europa zu erheben. Die


EU will eine Eskalation


vermeiden – könnte


aber zurückschlagen.


Streitobjekt:Produktion des Airbus A320 in Hamburg Foto Bloomberg


Auch die Dillinger Hütte will Stellen abbauen. Foto Dillinger Hüttenwerke

Free download pdf