sind. Mode ist ein Zeichen von Frei-
heit. Ich wollte meine Meinung oder
meinen Geschmack niemals anderen
aufdrängen. Meine Aufgabe ist es,
wunderschöne Kleider, wunderschö-
ne Jacken zu entwerfen. Aber es ist die
Hand der Frauen, die es dann auch
annehmen muss. Ich möchte Frauen
helfen, sich auszudrücken. Wir müs-
sen uns deshalb sehr bewusst darüber
sein, was wir tragen. Mode ist etwas
sehr Persönliches.
Ihre Haute-Couture-Show starteten Sie
mit einem Kleid, auf dem „are clothes
modern?“ stand. Was ist Ihre Antwort?
Das ist eine sehr schwere Frage.
Deshalb haben Sie diese sicher aufge-
worfen ...
Die Frage stammt aus einem Buch des
Architekten Bernard Rudofsky, der
mich sehr fasziniert. Er war 1947 sehr
kritisch gegenüber der Mode einge-
stellt und behauptete beispielsweise,
dass Mode deshalb kein Design sei, weil
sie nicht bestehen bleibe und sich jede
Saison ändere. Vielleicht war diese The-
se in den Fünfzigern richtig. Heute ist
sie es nicht mehr. Besonders nicht in
der Haute Couture, schließlich können
sich Frauen gerade hier ein Kleid, „ihr
Haus“, auf den Leib schneidern lassen.
Wir sind also in einer ganz anderen
Zeit. Die Frage bleibt, ob Mode modern
ist oder nicht. Ich weiß aber, dass Mode
etwas ganz anderes ist als Bekleidung.
Ist Luxus denn modern?
Luxus ist schwierig zu definieren. Er
ändert sich mit der Zeit. Meine Idee
von Luxus ist komplett anders als die,
die meine Kinder davon haben. Denn
sie wachsen mit einem ganz anderen
Gefühl und in einer ganz anderen Um-
gebung auf. Luxus hat sehr viel mit
Respekt zutun. Luxus ist der Respekt
vor Werten, die zu einer bestimmten
Zeit gelten. Der klassische Begriff von
Luxus wurde von der Generation nach
dem Zweiten Weltkrieg definiert. Paris
lag damals am Boden, und Monsieur
Dior gab den Frauen wieder das Gefühl,
schön zu sein. Heute leben wir in einer
anderen Zeit. Luxus hat darauf zu ach-
ten, was wir tun. Wie wir mit der Um-
gebung umgehen, wie wir aufwachsen
und womit wir uns wohlfühlen.
Also ist es die Herausforderung für ein
Luxushaus, sich immer auf die jewei lige
Definition von Luxus einzustellen.
Ich bin sehr stolz darauf, dass ich für
ein Couture-Haus arbeite. Das Wich-
tigste hier sind die Menschen, die im
Atelier die Kollektion erarbeiten. Wir
dürfen diese Tradition niemals verlie-
ren. Das Modesystem ist sehr komplex.
Wir suchen die Stoffe aus, arbeiten an
den Schnitten. Zwischen der Skizze
und dem Endprodukt gibt es sehr vie-
le Schritte. Wir dürfen nicht vergessen,
dass ein großes Team in einem großen
System arbeitet. Eine Modenschau
dauert ungefähr acht Minuten. Aber
dorthin zu kommen ist monatelange
Arbeit von vielen. Ich liebe Social
Media sehr, aber wer nur dort unsere
Arbeit verfolgt, hat den Eindruck,
dass wir eine Art Bild sind. Aber wir
sind kein Bild. Wir sind Menschen, die
Kleider erschaffen und sehr viel Lei-
denschaft, Wissen und Tradition ein-
bringen. Wir müssen dieses Savoir-
faire immer wieder in den Vordergrund
stellen. Ansonsten verliert die neue
Generation das Bewusstsein dafür.
Die Entstehung eines Couture-Kleides
ist ungefähr noch so wie in den Zeiten
von Gründer Christian Dior. Was aber
hat sich an der Ausrichtung von damals
und heute geändert?
Die Frauen sind ganz anders! Monsieur
Dior wollte mit seinen Entwürfen den
Frauen eine optimistische Idee der Zu-
kunft geben. Heute haben Frauen sehr
viel zu tun. Sie wollen weiterhin Schön-
heit. Aber die Mode dazu muss jeden
Tag funktionieren. Früher wollten
Frauen durch ihre Kleider in eine Rol-
le schlüpfen. Heute wollen sie zeigen,
wer sie sind. Denn das ist ihnen sehr
bewusst. Der Kontext hat sich einfach
komplett gewandelt.
Was hat sich in der Zeit verändert, seit-
dem Sie bei Dior sind?
Ich verstehe mehr von der französi-
schen Kultur.
„Luxus bedeutet
heute nicht mehr,
mit seiner Kleidung
anzugeben“
MARIA GRAZIA CHIURI
Tragbar – aber
luxuriös ver-
arbeitet: Auch
im Herbst ist
das Motto der
Designerin in der
Kollektion um-
gesetzt worden
MODE