Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1

Das sagen Sie als Italienerin!


Genau. Man denkt vielleicht, Italiener


und Franzosen sind sich ähnlich. Das


sind sie nicht! (lacht) Wir haben unter­


schiedliche Hintergründe. Wir lieben


zwar beide Handwerk, Geschichte und


Couture. Aber die Art und Weise, wie


wir uns Dingen annähern, ist unter­


schiedlich. Das Atelierteam in Paris


achtet beispielsweise sehr auf die per­


fekte Silhouette. Mir dagegen ist Leich­


tigkeit sehr wichtig.


Woher kommt das?


Ich bin in Rom, einer Stadt voller Ge­


schichte, aufgewachsen. Die gehört für


uns zum Alltag. Geschichte schränkt


uns nicht ein. Man lebt mit ihr. Das hat


mir bei Dior geholfen. Ich wusste, dass


ich mit der Historie des Hauses nicht so


umgehen muss, als sei sie ein Museum.


Im Gegenteil. Wir nutzen die Geschich­


te, um für die Zukunft zu wachsen. Das


habe ich als Italienerin gelernt. Wir sind
nicht so sehr nostalgisch. (lacht) Man
kann mit der Tradition leben, sie aber
für etwas Neues nutzen.

Und Italiener krempeln eher die Ärmel
hoch und pushen Dinge nach vorn ...
Ich mag an den Franzosen, wie sehr sie
die Geschichte ehren und stolz darauf
sind. Aber ich möchte auch nicht in der
Vergangenheit eingesperrt sein und
mich wie in einem Gefängnis fühlen.
Mein Job ist es, mit einer neuen Gene­
ration in Kontakt zu treten. Und diese
ist ganz anders als in der Vergangen­
heit. Sogar anders als ich!

Inwiefern?
Ich erinnere mich noch sehr genau,
dass ich als junges Mädchen auf den
Flohmarkt gegangen bin, um eine be­
sondere Jacke zu finden. Das war gar
nicht so einfach, da es nicht so viele

Märkte gab. Heute können junge Frau­
en in Geschäften und Onlineshops al­
les kaufen. Allein das verändert vieles.
Es ist leichter für sie, Dinge zu entde­
cken, mit denen sie sich ausdrücken
können. Das war zu meiner Zeit noch
anders. Damals wie heute ist aber der
Wunsch geblieben, sich mit Mode aus­
zudrücken. Ich wollte mich mit Mode
befreien und nicht mehr das Konven­
tionelle tragen. Dieses Problem haben
junge Frauen heute nicht mehr. Ihnen
geht es um etwas anderes.

Solche Gedanken beeinflussen Sie?
Ja! Ich möchte mehr von dieser Gene­
ration erfahren. Nicht nur darüber,
was sie über Mode denkt. Sie beschäf­
tigt sich mit ganz anderen Dingen.
Mit dem Zustand der Welt, der Di­
versität unserer Gesellschaft. Ich will
verstehen, was hinter der Idee der

Mode steckt. (^2)
Bevor ein Kleid
auf den Laufsteg
geschickt wird,
überprüft Chiuri
über Wochen den
Prozess. Bis zum
Schluss wird an
der Perfektion
jedes Kleides gefeilt
Christian Dior ist eine der
bekanntesten Luxusmarken
der Welt. Nach dem Tod
des Gründers 1957 entwarfen
u. a. Yves Saint Laurent,
John Galliano und Raf Simons
für das Label. 2016 folgte
Maria Grazia Chiuri als erste
weibliche Designerin.
Dior gehört heute zum
Konzern LVMH.
12 Das Comeback der Eleganz MODE

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