Mittwoch, 9. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 23
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der Kantone Millionen von Daten –und viel Arbeit SEITE 27
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Die Schweiz büsst an Wettbewerbskraft ein
Die Analytiker des Weltwirtschaftsforums sehen Verbesserungspotenzial bei der Geschäftsdynamikund der Marktöffnung
ANTONIO FUMAGALLI, COLOGNY
Es ist schon fast ein Ritual: Seit vier
Jahrzehnten liefert dasWeltwirtschafts-
forum (WEF) jeden Herbst seine Ein-
schätzungen zurWettbewerbsfähigkeit
fast allerLänderderWelt. Über Sinn
undAussagekraft dieses «Global Com-
petitivenessReport» lässt sich vorzüg-
lich streiten.Jedenfalls stützt sich das
Ranking auf zwölf makroökonomische
Parameter ab, findet weltweit Beach-
tung und dient zumindest als Orientie-
rungshilfe bei der Beurteilung der jewei-
ligenVolkswirtschaft.
In den diesjährigenTop 10 figurie-
ren die gleichenLänder wie bereits
letztesJahr – die USA, sechsLänder
aus Europa und drei aus Asien. Inner-
halb derRangliste hat es aber teilweise
grosseVerschiebungen gegeben. So ver-
drängt Singapur die USA vom Spitzen-
platz, die Schweiz verliert einenRang
und Deutschland gar deren vier. Aus-
gerechnet Hongkong, das die schwerste
innenpolitische Krise seitJahren durch-
lebt, geht als grosser Sieger hervor und
rückt aufsPodest vor.Dieser grosse
Sprung zeigt die Limiten und Schwä-
chen desRankings exemplarisch auf:
Die aktuellstenDaten stammen vom
April diesesJahres(als inHongkong
noch nicht flächendeckend Demonstra-
tionen stattfanden); der grössteTeil der
erfasstenDaten bezieht sich jedoch auf
dieJahre 20 17 und 2018.
Noch 20 17 galt die Schweiz als wett-
bewerbsfähigstesLand derWelt, be-
vor sie aufRang vier abgestuft wurde.
Grund dafür war eine Änderung der Be-
rechnungsmethode, die auch diesesJahr
wieder angewendet wurde –Faktoren
wie Innovationskraft und Anpassungs-
fähigkeit an die vierte industrielleRevo-
lutionwerden nunmehr stärker gewich-
tet. Obwohl die Schweizgegenüber 20 18
einen zusätzlichen Platz und 0,3 Prozent-
punkte einbüsste, muss sie sich weiter-
hin nicht verstecken. Bei acht der zwölf
Hauptkriterien figuriert die Schweiz in
denTop 10, wobei die makroökonomi-
sche Stabilität, die gute Infrastruktur,
das Gesundheitssystem und dieAusbil-
dungsmöglichkeiten hervorstechen.
Hyperkomplexes Zollsystem
Mit einem Gesamtscore von 82,3 von 100
möglichen Punktenbleibt freilichLuft
noch Luft nach oben.Roberto Crotti,
einer der Studienautoren, nennt insbe-
sonderezwei Bereiche, in denen sich die
Schweiz verbessernkann: die Geschäfts-
dynamik und die Marktöffnung. Hinsicht-
lich Unternehmenskultur sieht erPunkte,
die Beachtung verdienen, etwa diever-
hältnismässig tiefe Risikobereitschaft
oderVorbehalte derFirmen gegenüber
disruptiven Ideen – die Schweiz figuriert
in diesen Kategorien nur aufRang 25 be-
ziehungsweise 26. Crotti führt aber auch
regulatorische Gründe auf. So dauere es
hierzulande überdurchschnittlich lange,
eineFirma zu gründen. Handelshemm-
nisse ihrerseits schränken die volks-
wirtschaftliche Effizienz ein, wobei die
Schweiz in einer Unterkategorie unter
allen141 untersuchtenLändern gar den
Schlussrang belegt: bei derKomplexität
des Zollsystems.
Für Deutschland ist das Bild um eini-
ges düsterer. Zwar ist der «Absturz»
vom dritten auf den siebten Platz mit
Vorsicht zudeuten, da die Abständezwi-
schen den Spitzenreitern gering sind und
die Fluktuation entsprechend hoch aus-
fallen kann. Gegenüber 20 18 hatdas be-
völkerungsreichsteLand Europas einen
ganzen Prozentpunkt verloren, wäh-
rend andere Staaten zulegten.In mehr
als der Hälfte der analysierten Punkte
hat Deutschland anTerrain eingebüsst.
GemässWEF findet sich die grösste
Schwäche in der verhältnismässig tiefen
Durchdringung der Informations- und
Kommunikationstechnologie (ICT). Die
Bundesrepublik ist in dieserRubrik hin-
ter den baltischen Staaten, aber auch hin-
ter Russland und China klassiert. Zudem
müsse Deutschland dieAus- undWeiter-
bildung der Arbeitskräfte und dieVer-
mittlung der Hochschulabsolventen ver-
bessern,schreiben die WEF-Analytiker.
Fragezeichen beiProduktivität
Die USA verlieren ihren Spitzenplatz
unter anderem, weil sich der inländische
Wettbewerb und die Offenheit für den
Welthandel innerhalb einesJahres mas-
siv verschlechtert haben. Dies ist eine
Folge von protektionistischenEntschei-
denderTr ump-Administration. Sorgen
bereiten auch das Gesundheitssystem
und die zunehmenden sozioökonomi-
schen Ungleichheiten.Dank der Dyna-
mik ihrer Unternehmen, der Innova-
tionskraft und dem mächtigenFinanz-
sektor bleiben die USA allerdings eines
der wichtigsten Zugpferde derWelt-
wirtschaft. Singapur seinerseitsüber-
zeugt miteinereffizienten Infrastruk-
tur,einem guten Gesundheitssystem
und einer offenen Marktwirtschaft.
Letztlich bleibt die grosse Frage:
Warum ist die globale Produktivität im
letztenJahrzehnt nicht stärker gewach-
sen, obwohldieZentralbanken einen
sehr expansivenKurs gesteuert haben?
Die geldpolitischen Massnahmenkonn-
ten zwar eine schwereRezession verhin-
dern, produktivitätssteigernde Investi-
tionen aber blieben aus. Die WEF-For-
scher folgern daraus, dass die Staaten die
steuerlichen Anreize intensivieren sol-
len, umForschung, Entwicklung, Infra-
struktur undAusbildung zu fördern.
Die Nationalbank testet digitales Zentralbankgeld
Im Rahmen ihres Innovation-Hub prüft die SNBdie Herausgabe von E-Franken für die Schweizer Blockchain-Börse
PETER A. FISCHER
Der disruptive technologischeWandel
ni mmt immerkonkretereFormen an.
Beim Zahlungsverkehr ist das Libra-
Projekt vonFacebook und Co. das be-
kannteste, das aufeiner Blockchain
internationale Zahlungen so gut wie
in Echtzeit sehr günstig möglich ma-
chen will.Blockchain ist dabei nur die
bekannteste der neuenTechniken de-
zentral verteilter Kassenbücher (DLT).
Beim Handel mitWertschriften will nun
die schweizerische Börse SIX als Pio-
nierin auf einer Blockchain denWert-
schriftenhandel effizienter machen.Das
fordert auch die Zentralbanken heraus.
Wie die Schweizerische Nationalbank
(SNB) am Dienstag am Gründungsakt
ihres neuen Innovation-Hubs bekannt-
gegeben hat, nimmt sie die Blockchain-
Börse der SIX zum Anlass, um zu prü-
fen, ob sie dieser E-Franken alsToken,
also tokenisiertes Zentralbankgeld, zur
Verfügung stellen will.
Schnellund sicher
Heute dauert die Abwicklung eines
Aktienhandelsrund zweiTage, invol-
viert sind mit dem Händler, dem Clea-
ring und demVerwahrer mindestens drei
verschiedene juristischeParteien. In die-
serVerarbeitungsperiode entstehen Un-
sicherheiten. In einem ambitiösen Pilot-
projekt ist die SIX nun dabei, eine umfas-
sende DLT- basierte Infrastruktur aufzu-
bauen,auf der digitaleVermögenswerte
in Echtzeit gehandelt und dieTr ansaktio-
nen ebenso schnell abgewickelt werden
können. DieseSwiss Digital Exchange
(SDX) soll neben der herkömmlichen
Handelsplattform bestehen. Zurzeit
läuft einTestbetrieb mit ausgewählten
Partnern; die allgemeineLancierung ist
fürnächstesJahr vorgesehen. Der Block-
chain-Handelsplatz soll den gleichen
regulatorischen Standards genügen wie
die traditionelle Infrastruktur.
Noch offen ist dieFrage, wie in der
neuen DLT- Welt das Settlement inFran-
ken erfolgen soll. An der klassischen
Börse haben dieBanken über dasSwiss
Interbank Clearing (SIC) Zugang zu
Zentralbankgeld, das sie bei der Natio-
nalbank halten.Für eine unabhängige
Blockchain-Infrastruktur wie der SDX
könnte entweder eine Schnittstelle zur
alten SIC-Welt geschaffen werden,auf
der Zahlungsinstruktionen erfolgen.
Oder die private Betreiberin der neuen
DLT- Infrastrukturkönnte selber einen
tokenisierten E-Franken (Stablecoin)
schaffen. Ähnlich wie bei elektronischen
Bankguthaben verbliebe den Händlern
damit allerdings immer das Risiko eines
Zahlungsausfalls des Emittenten.Das
Sicherste wäre, wenn die Nationalbank
digitales Zentralbankgeld tokenisieren
würde, das dann (nur) für das Settle-
ment auf der Infrastruktur genutzt wer-
denkönnte. In einerTestumgebung will
die SNB diesedritte Option nun mit der
SDX ausprobieren.
Keine E-Franken fürPrivate
Bis jetzt emittiert die NotenbankBargeld
und stellt elektronischeFranken (nur)
denFinanzinstituten zurVerfügung, die
bei ihr Sichtguthaben halten. Die Digi-
talisierung desFinanzwesens wirft nun
dieFrage auf, ob Zentralbanken elektro-
nisches Geld künftig dem Nichtbanken-
sektor direkt zurVerfügung stellen soll-
ten. Die SNB argumentierte bisher, es sei
nicht ihreAufgabe, mit eigenen E-Fran-
ken Dienstleistungen anzubieten,die
Banken und private Anbietererbringen
könnten.Auch fürchtet sie sich vor Er-
schütterungen desBankensystems, wenn
Privatanleger in unsicheren Situationen
beliebig schnell von ihrenBankguthaben
in einen von der SNB zurVerfügung ge-
stellten E-Franken wechselnkönnten.
Mit ihrem neuesten Schritt signalisieren
dieWährungshüter nun aber eine ge-
wisse Bereitschaft, elektronisches Zen-
tralbankgeld künftig direkt auch neuen
Infrastrukturbetreibern zurVerfügung
zu stellen. Nachdem die SNB bereits ent-
schieden hatte, Fintechs direkt Zugang
zu ihr anzubieten, begibt sie sich damit
erneut international in eine Pionierrolle.
Das beschriebene Experiment er-
folgt imRahmen des neuen Innovation-
Hubs, den die SNB in der Schweiz zu-
sammen mit der BIZ inBasel, derBank
der Zentralbanken, gegründet hat. Die
BIZ will in ihren Hubs Digitalisierungs-
erkenntnisse für alle Notenbanken sam-
meln.Vorerst sind drei solcher Hubs in
der Schweiz, in Singapur und in Hong-
kong gegründet worden. Der aus neun
Forschern bestehende Schweizer Hub
wird sich nebst dem elektronischen Zen-
tralbankgeld mit der Überwachung des
automatisierten Hochfrequenzhandels
(Stichwort:«flash crash») befassen, da
die SNB dank ihren Devisenmarkt-
operationen bereits Erfahrungen da-
mit gesammelt hat. Der Hub in Singa-
pur soll sich mitFragender elektroni-
schen Identität und ihrenFolgen für den
grenzüberschreitenden Zahlungsver-
kehr auseinandersetzen und derjenige
in Hongkong sich auf Handelsfinanzie-
rung fokussieren.
DerGewinner des diesjährigenmakroökonomischen Schönheits-Concours heisst: Singapur. KEVIN LAM / REUTERS
Die zehn wettbewerbsfähigsten
Länder derWelt
Die Schweiz verliert im WEF-Ranking einen Rang
Rang 2019 2018
1Singapur USA
2USA Singapur
3Hongkong Deutschland
4Niederlande Schweiz
5Schweiz Japan
6Japan Niederlande
7Deutschland Hongkong
8Schweden Grossbritannien
9Grossbritannien Schweden
10 Dänemark Dänemark
QUELLE: WEF NZZ / FUM.
Vonder Vorbereitungsklasse
bis zur Maturität:
anspruchsvoll undfamiliär
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