Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1
D

ie Frage klingt absurd im Fest-
zelt. Er stellt sie trotzdem, viel-
leicht weil sie gerade zusam-
men „Skandal im Sperrbe-
zirk“ gesungen haben und
„Country Roads“, und nun ist es so, als wür-
de man sich schon ewig kennen.
„Entschuldigung“, brüllt Arkady Tele-
gin, seine Brille rutscht auf die Nasenspit-
ze, und wenn sie jetzt fällt, ist sie verloren.
So wie der Bierkrug da unten, zerbrochen
beim letzten großen Zusammenstoß.
Er drückt sich zur Mitte der Bank vor,
ein schmaler Junge zwischen mächtigen
Hintern und Bäuchen. Es ist sein erstes
Mal in dieser Welt hier. „Entschuldigung“,
sagt Arkady Telegin zu einem Mann in Le-
derhosen, blond gefärbte Haare. Er wohnt
in München, in Neuhausen, schön da, das
hatte der Blonde am Anfang des Abends ge-
sagt. „Weißt du vielleicht was von einem
WG-Zimmer?“, fragt Telegin.
Der Mann schaut ihn an. Dann schaut er
weg. Er sagt: „Du, ich kenn in München
keine Sau.“
Vier Tage noch. Dann die Ausnüchte-
rung, die Zahlen: rund dreieinhalb Millio-
nen Besucher zur Halbzeit, am Ende also si-
cher wieder doppelt so viele, etliche Och-
sen, Kälber, ordentlich Kokain, Lama-Luft-
ballons, man will die Details wissen, dahin-
ter stehen Geschichten wie Trophäen. Es
braucht Massen, damit das Oktoberfest
funktioniert. Nur so vergisst man sich und
macht alles mit: Prost, ihr Säcke, hoch die
Krüge, hoch die T-Shirts, das macht man ja
nicht auf einer Grillparty daheim mit den
Nachbarn. Man muss sich schon dazu un-
sichtbar fühlen.
Wenn die Zelte zumachen, zerfällt die
Horde, und Tausende Menschen suchen
ein Bett, die meisten ein eigenes. Wiesn-Be-
dienungen von außerhalb kommen im
Zweifel noch ganz gut unter in München,
man hat sie gern, sie bringen das Bier, den
Suff, und am Abend bringen sie aus dem
Zelt gute Geschichten mit nach Hause. Tou-
risten haben es schwerer, sie sind Fremde,
aber sie bringen Geld, sie sind also gute
Fremde. Schlafsaal im Hostel, Sechsbett-
zimmer, ein Bett kostet 100 Euro die Nacht.
Wer neben das Klo kotzt, zahlt drauf.


Und dann gibt es Menschen wie Arkady
Telegin, die nichts zu tun haben mit der
Party der anderen, die aber mit drinhän-
gen. Weil sie ein Zimmer suchen für ein Stu-
dium, für länger vielleicht, und weil sie, bis
sie ein Zimmer gefunden haben in Mün-
chen, übergangsweise im Hostel schlafen.
Dann der Rauswurf. Wiesn. Zimmer aus-
gebucht, drei Mal so teuer, tut uns leid, die
Gäste, das Fest, schwierig, schwierig.
Ein Mittwoch in der ersten Wiesnwo-
che. Vor dem Smart Stay Hostel am Goethe-
platz stehen zwei junge Frauen. Sie trinken
etwas aus einer Plastikflasche, kleine
Schlucke, vermutlich Schnaps. Wer besof-
fen auf die Wiesn geht, spart viel Geld und
muss nicht ständig Pipi. Man kann von
hier aus die Polizeiautos vor der Theresien-
wiese sehen, Männer in Lederhosen und
Sneaker, das Kettenkarussell ganz oben in
der Luft, die Menschen winzig wie Fliegen.
Man braucht schon auch Mumm für so ein


Fest, ganz unterschiedliche Arten von Mut.
„O.k., let’s go“, sagt die eine, das bunte Poly-
ester-Dirndl spannt.
Arkady Telegin, 18, geht an ihnen vorbei
zum Eingang. Er trägt eine schwarze
Jeans, einen schwarzen Pulli, seine Haut
wirkt blass im Kontrast, fast weiß. Hier hat
er gewohnt, im Smart Stay Hostel, zwei Wo-
chen lang, vom 1. bis zum 15. September,
Sechsbettzimmer, 15 Euro die Nacht. „War
das billigste“, sagt er. Archie. So nannten
sie ihn hier, weil das irgendwie kumpelhaft
klingt, locker. Es passte auch ganz gut, alle
waren hier auf die gleiche Art plaudrig. Der
Ami aus der zweiten Nacht, der auf Weltrei-
se war, Brasilien, Mexiko, Australien, dann
hier auf dem Münchner Fest für ein paar
Tage, dann weiter nach Afrika, weiter, wei-
ter.

Archie hat sich die Länder gemerkt, die
Reihenfolge sogar, ihn faszinieren Men-
schen, die etwas erzählen von der Welt. Der
Ami ging, Archie blieb, Tür auf, es kam ein
neuer Koffer. Eine Studentin aus Südtirol,
Translationswissenschaften. Fünf Spra-
chen konnte die, Englisch, Französisch,
Arabisch, Italienisch, Südtirolerisch und
Deutsch. Sie lud ihn dann mal nach Südti-
rol ein, weil es dort genauso schön wie in
München sei, sagte sie. Die Studentin ging,
Archie blieb, Tür auf, neuer Koffer, so ging
das zwei Wochen lang.
Manchmal hat er auch was erzählt, sagt
Arkady Telegin. Von Kasachstan, von sei-
ner Heimat. Dass er eigentlich ein Zimmer
sucht, ein richtiges Zimmer also, zum Woh-
nen, nicht nur zum Übernachten. Dann
plauderten sie ein bisschen über das Leben
in anderen Ländern, oder sie gingen was
trinken, und am nächsten Tag stand ein
neuer Koffer vor der Tür. Wie viele Men-
schen man in einem Hostel trifft, sagt Tele-
gin. Seine Nagelhaut ist abgekaut.
Er stammt aus Almaty, der größten
Stadt Kasachstans, knapp zwei Millionen
Einwohner. Man kann in den Bergen Ski-
fahren für zwölf Euro am Tag, aber wenn
man Informatiker werden will, sagt er,
wird es ganz, ganz schwierig.
In der Schule malten sie Bilder in Micro-
soft Paint. Frustrierende Langeweile. Er
saß zu Hause vor dem Rechner und schrieb
kleine Spiele, löste Matherätsel, und schau-
te nachts Serien an, in denen geniale Ent-
wickler die Probleme der Menschheit
lösten, Armut, Kriege. Als Jugendlicher
programmierte er in seinem Kinderzim-
mer einen Roboter auf Rädern, der war be-
laden mit Sensoren wie eine kleine Raum-
sonde. Er zeigt davon Bilder auf seinem
Smartphone wie andere Bilder von einem
Baby, guck mal hier.
Telegin gewann damit einen Schulwett-
bewerb. Nicht, weil sein Roboter der
schnellste war. Sondern weil er als Einzi-
ger ins Ziel kam. Da fing er an zu googeln,
sagt er. Universitäten in Holland, Barcelo-
na, Berlin, München. Er schaute sich die
Rankings an, die Lehrstühle, man muss ja
irgendwie vergleichen. Und dann: Ein Foto
im Internet von einem Team der TU Mün-
chen, sie haben einen Wettbewerb gewon-
nen, ein Auto gebaut, das in einer Vakuum-
röhre am schnellsten ins Ziel kam. Nicht

als einziges. Wie sie strahlten auf dem Sie-
gerbild. Die TU München, sagt Telegin, ist
einfach die TU München. In Kasachstan
lernte er Deutsch in sieben Monaten, und
als er im Internet las, dass es in München ei-
ne Art Volksfest gibt, dachte er, cool: Bier.
Jetzt ist er seit einem Monat in München,
er war auf dem Oktoberfest, er hat das alles
gesehen, noch bevor das Studium am 14.
Oktober beginnt. Nur ein Zimmer hat er
nicht.
Das Smart Stay Hostel erinnert von in-
nen an eine Disco. In der Lobby läuft laute
Musik, links steht eine durchgesessene
Couch und rechts in der Ecke erstaunlicher-
weise ein Popcornautomat. „Popppy“. Drei
Euro die Portion, kalorienarm. Telegin saß
viel hier, gegenüber von Popppy, und
schrieb Mails, während der Ami und die
Studentin und alle anderen zum Marien-
platz fuhren, zum Hofbräuhaus, zum Hard
Rock Café. Er schrieb immer dieselben Zei-
len: „Hallo, ich heiße Arkady Telegin. Ich
bin nach München gezogen und werde
bald Informatik an der TU studieren. Ich su-
che ein WG-Zimmer für die Dauer meines
Bachelor-Studiums (3 Jahre), aber es ist in
Ordnung, wenn du es nur für mehrere Mo-
nate vermieten möchtest.“
Dann wartete er. Drei, vier Anfragen
schickte er am Tag raus, im Postfach sieht
man noch die Mails, die Absagen. „Sorry,
du musst Beamter sein, das wird leider
nichts.“ Oder „Hey, ruf doch mal an“, und
als Telegin anrief, war das Zimmer weg.
Meistens bekam er keine Antwort.
Nach zwei Wochen kam ein Mann von
der Rezeption. Sehr freundlich. Sagte, es
tue ihm leid, aber länger als zwei Wochen
könne Telegin hier nicht mehr bleiben, so
sei dieHauspolicy. Sie seien ein Hostel für
Touristen, kein Wohnheim. Archie ging,
Tür auf, neue Koffer.
Er zog am 15. September in ein anderes
Hotel, Meininger, direkt am Olympiapark.
Zwanzig Euro zahlte er hier pro Nacht,
Sechsbettzimmer. Dann kam das erste
Wiesnwochenende – dasselbe Bett sollte
jetzt 100 Euro kosten. Macht bei sechs Bet-
ten 600 Euro für das Hotel pro Nacht und
Zimmer. Arkady Telegin postete eine An-

zeige: „Student living in Hbf“. Es sollte ein
bisschen witzig sein, locker.
Man sieht solche Anzeigen gerade häu-
fig, auf Facebook zum Beispiel, wo es für
alles immer Gruppen gibt. „Pokemon GO
München“ oder „Aquarium Freunde Mün-
chen“ oder die Gruppe „WG & Wohnung
München gesucht“, sie ist besonders be-
liebt. Neulich schrieb dort ein Italiener, 24,
dass er ein Problem habe, weil er aus dem
Hostel rausmüsse, Oktoberfest, ob jemand
etwas wisse?
„Männerwohnheim“ schrieb eine Frau
darunter, und dann kam auch schon die
nächste Anfrage, es suchen nämlich in die-
ser Gruppe noch 114 000 andere Facebook-
Mitglieder nach einer Wohnung in Mün-
chen. Und dann gibt es noch sechs weitere
Gruppen, WOHNEN TROTZ MÜNCHEN,
alles in Großbuchstaben, 25000 Mitglie-
der, „Wohnungen in München?!?!?!“,
59000 Mitglieder. Verzweiflung in Zei-
chen und Zahlen.
Der Italiener stand dann vor dem Woh-
nungsamt, kurz bevor auf der Wiesn das
Italiener-Wochenende losging. 19 Euro
hatte er pro Nacht bezahlt. Dann kam der


  1. September und es war nichts mehr frei,
    alles ausgebucht für 60 Euro. Ging schon
    im November 2018 los mit den Reservie-
    rungen, sagen sie im Hostel. Und klar, man
    könne schon mal eine Ausnahme machen
    für Studenten, aber nicht jetzt, nicht wäh-
    rend der Wiesn. Der Sachbearbeiter beim
    Wohnungsamt schickte den Italiener in die
    Bayernkaserne. Notunterkunft. Ganz
    schlechter Zeitpunkt, sagte er.


Es ist natürlich nicht so, dass ein Volks-
fest schuld ist, wenn Wohnungen fehlen.
Das Problem wird halt nur noch greller in
diesen Wochen, und Arkady Telegin sagt,
man muss Regeln einhalten, um Glück zu
haben in dieser Zeit.
Er sitzt jetzt am Fenster in einer kleinen
Wohnung – allerdings in Nürnberg. Sein

Laptop summt leise auf dem Tisch. Sonst
ist es still hier, still und sauber, ein Bett
statt sechs. Im Flur steht eine Milchkanne,
bemalt mit Rosen, ein großer, dunkler
Schrank, bemalt mit Rosen, an der Wand
hängen Bilder von noch mehr Blumen. Te-
legin kann hier auf dem Sofa schlafen für
ein paar Tage, bei einem Freund seines
Großvaters. Sie kannten sich nicht, und
jetzt ist es schwer mit dem Kennenlernen.
Manchmal sitzen sie da und sprechen rus-
sisch, dann geht’s, sagt Telegin, dann fällt
es nicht so auf, dass sie sich nicht kennen.
Von dem Wohnzimmertisch am Fenster
hier in Nürnberg schreibt Arkady Telegin
jetzt seine Mails nach München in Portale
wie wg-gesucht.de und Zwischenmiete.de.
Er hat alles systematisiert. Es gibt zig Re-
geln, die hat er alle drauf: Man muss
schnell sein, Angebote älter als 30 Minuten
sind ziemlich sicher vergriffen, das ist Re-
gel Nummer eins. Wenn es richtig gut ist,
das Angebot, muss man anrufen, das trau-
en sich nicht alle, das ist Regel Nummer
zwei. Wenn die Anzeigen lang sind und
kompliziert, wenn zum Beispiel jemand
eine „verrückte Kartoffel“ sucht, wie „Hel-
lena“ in ihrem Angebot, 480 Euro, 17 Qua-
dratmeter, dann erst einmal die Anfrage
verschicken. Dann lesen. Im Zweifel lö-
schen. Das ist Regel Nummer drei.
Telegin ruft jetzt Carl an, der ein „ruhi-
ges, zentralgelegenes Zimmer“, anbietet,
16 Quadratmeter, 495 Euro. Seit 48 Minu-
ten ist die Anzeige online. Carl ist ein biss-
chen erstaunt, dass sich so viele melden,
„des ist ein bisschen verrückt“, sagt er am
Telefon. Das Zimmer? Ist weg. Arkady Tele-
gin sagt: „Ich bin sicher, dass da welche
nichts anderes machen, als ständig die Sei-
te zu aktualisieren.“
Wohnungsanzeigen sind immer auch
kleine Fenster in die Häuser einer Stadt.
Man versteht dann besser, warum andere
Leute über die Münchner sagen, sie seien
schickimicki oder pseudo oder sogar ein
bisschen scheiße.
Zum Beispiel darum: Ein WG-Zimmer
in „bijou Schwabing“, 1370 Euro, 42 Qua-
dratmeter, „ideal für Studenten“, mit „Kult-
kneipen“, „wo man auf das Leben anstößt“.
Es gibt auch auffallend viele „geile“ WGs in
München, oder WGs nur für Nudisten, Ve-
ganer, Wochenendheimfahrer. Jetzt gera-
de gibt es vor allem viele Zimmer für Okto-
berfestbesucher, man ist da flexibel, solan-
ge das Geld stimmt. Manchmal ist dann
nicht mal ein Bild von dem Zimmer in der
Anzeige zu sehen, sondern nur eine Brezel,
ein Bierkrug, das Riesenrad. Dabei wüsste
man schon gerne, wie ein Bett in einem
Zimmer mit sieben Quadratmetern aus-
sieht für 50 Euro die Nacht.
Seit vier Wochen ist Arkady Telegin in
München. Hundert Mails hat er geschrie-
ben, ein paar Besichtigungen haben ge-
klappt. Eine davon in einer Studentenver-
bindung, tolles Zimmer, billig, 300 Euro,
mit Putzfrau. Die Burschen wollen aber ei-
nen, der fechten will, der sich unterordnet
in irgendeiner Hierarchie, und Telegin will
nicht fechten und sich unterordnen. Er
sucht Mitbewohner, um mal was zu ko-
chen, und danach putzen alle noch schnell
die Küche. So stellt er sich das vor.
Einmal stand er in einer WG mit zwei an-
deren Bewerbern, einem Inder und einem
Koreaner, sie sollten deutsch sprechen,
und sie versuchten es auch. „Ich glaube“,
sagt Telegin auf Deutsch, „die Leute den-

ken, ich bin dumm, wenn ich auf Deutsch
spreche.“ Vielleicht ist das auch so ein
Grundgefühl, das mitgewachsen ist mit
dem ganzen Kriterienkatalog der Münch-
ner Vermieter. Dass in München Platz ist
für die geldigen Menschen, die fehlerfreies
Deutsch sprechen – und für den Rest, für
Studenten aus Kasachstan zum Beispiel,
eher weniger. So ist das Leben. Inzwischen.

Gibt ja Studentenwohnheime. Telegin hat
es versucht, sagt er, beim Studentenwohn-
heim. Ein Kumpel sagte noch, er solle
gleich seinen Koffer mitnehmen, damit die
Situation klar werde, manchmal passiere
dann ein Wunder. Telegin stand dann da
mit seinem Koffer, es kam kein Wunder,
nur ein Mitarbeiter, der sagte: Da ist die
Warteliste. 11 000 Menschen stehen da
schon drauf. „Ich frage mich die ganze
Zeit, was ich falsch mache“, sagt Arkady
Telegin in der Wohnung in Nürnberg, und
es klingt nicht traurig, es klingt eher so, als
suche er, der junge Informatiker, einge-
schrieben an der TU München, nach einem
Fehler im System. In seiner Welt muss es
das System sein, das nicht funktioniert, er
selbst hat sich ja schon optimiert.
Zigarettenqualm in der Wohnung zum
Beispiel, fand er furchtbar früher, stört ihn
jetzt nicht mehr. Ein Doppelzimmer, Hoch-
bett, na gut. Er hat auch kein Problem
mehr mit Hundehaaren, aber vielleicht hat
er das nicht so richtig rüberbringen kön-
nen, als er bei einer Angelika saß, zum Be-
werbungsgespräch, Zimmer in Uni-Nähe,
400 Euro, mehr hat er nicht gelesen.
Die allerwichtigste Frage, hatte Angeli-
ka schon in der Mail geschrieben, sei seine
Beziehung zu Hunden. In der Wohnung leb-
ten ein Wolfshund und ein Mischling. Und
Telegin, der zu Hause einen Husky hat, im
Garten, nicht in der Wohnung, weil Hunde
in Kasachstan eher draußen leben, antwor-
tete: „Ich mag Hunde, Hunde sind für mich
überhaupt kein Problem.“ Dann schrieb er
noch mal, zur Sicherheit: „Ich mag Hunde.“
Das Gespräch mit der Vermieterin lief
gut, sagt Telegin. Er erzählte von Kasachs-
tan, von seinem Husky Adam, und er strei-
chelte die Hunde neben dem Stuhl, im
Wohnzimmer, und dann streichelte er die
Hunde noch mal zum Abschied an der Tür.
Er sei „total nett“, schrieb die Vermieterin
ein paar Tage später. Aber er sei leider nur
Zweiter geworden.
Arkady Telegin, der noch nie in irgend-
etwas Zweiter war, dachte über seine Re-
geln nach. Dass es nicht reicht, schnell zu
sein. Oder nett. Und vielleicht kann man
auch gar nichts regeln, in einem Markt, der
selbst kaum noch Regeln hat.
Am 14. Oktober geht das Studium los,
die Fachschaft hat schon alles geplant:
Kneipentour am 3. Oktober, dann grillen,
Campusführung, Stadtrundgang, noch
mal grillen, so viel Aufregung, so vieles,
was Arkady Telegin schon kennt.
Ein Monat München. Er kennt das Okto-
berfest, er hat den Wahnsinn erlebt, die be-
soffenen Touristen im Zelt, die schnarchen-
den Touristen im Hostel, Koffer rein, Kof-
fer raus. Was ist ein Informatikstudium,
wenn du einen Platz zum Leben suchst. In
München.

DEFGH Nr. 228, Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019 DIE SEITE DREI 3


Viele von denen da oben im Sky Fall sind Fremde, aber sie sind gute Fremde – sie bringen das Geld. München, Wiesn 2019. FOTO: FLORIAN PELJAK

Die allerwichtigste Frage,
so „Angelika“, sei die nach
seiner Beziehung zu Hunden

Arkady Telegin, 18, aus Almaty, Kasachstan – vor dem Smart Stay Hostel am
Goetheplatz in München. Hier musste er raus. FOTO: CATHERINA HESS

Man versteht dann, warum
manche sagen, die Leute hier
seien ein bisschen scheiße

In seinem Kinderzimmer
daheim programmierte er
einen Roboter auf Rädern

Sozialauswahl


Arkady Telegin kommt von weit her,


um in München zu studieren. Seine Vorlesungen


beginnen erst noch. Gelernt


hat er in dieser Stadt aber schon fürs Leben


von elisa schwarz


Vorm Smart Stay Hostel


stehen zwei junge Frauen und


trinken sich schon mal warm

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