Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1
von annette ramelsberger

D

er Klassenfeindwar unter-
wegs nach Rostock, als er mit-
ten am Tag auf gerader Stre-
cke von der Straße abkam und
sich mit seinem Wagen mehr-
mals überschlug. Ulrich Schwarz, Korre-
spondent des NachrichtenmagazinsDer
Spiegelin der DDR, war am Steuer bewusst-
los geworden – das war ihm nie zuvor ge-
schehen und geschah nie wieder danach.
Schwarz wurde schwer verletzt, nur die
massive Karosserie seines Volvos verhin-
derte, dass der Unfall tödlich endete. Kaum
war er im Krankenhaus, rief auch schon
das Ministerium für Staatssicherheit an:
Ob Schwarz transportfähig sei? Nein, ant-
wortete der Arzt, trat ans Krankenbett und
bedeutete dem Patienten vielsagend, diese
Auskunft sei doch sicher in seinem Sinne.
Nicht dass da noch einmal was passiert...
Der Unfall ereignete sich 1987, und bis
heute ist Schwarz davon überzeugt, dass
seine Ohnmacht keine natürliche Ursache
hatte. Nur vier Jahre zuvor war der DDR-Na-
tionalspieler Lutz Eigendorf auf gleiche
Weise verunglückt. Eigendorf hatte sich in
den Westen abgesetzt. Zahlreiche Spitzel
waren auf ihn angesetzt, es gab einen Mord-
auftrag durch die Staatssicherheit. Dann
starb er in seinem Auto auf einer Straße in
Braunschweig. Ob sein Unfall ein Mord
war, ist bis heute ungeklärt.
Schwarz war für die DDR der Feind, so-
gar ein besonders gefährlicher. Die Stasi
nannte ihn „Tarantel“. Schon einmal hatte
sich Ost-Berlin seiner entledigen wollen,
1978, als die Regierung dasSpiegel-Büro in
Ost-Berlin schloss und den Korresponden-
ten Schwarz des Landes verwies. Er hatte
exklusiv über die innerparteiliche Oppositi-
on in der SED berichtet. Jahrelang durften
Spiegel-Leute nicht in die DDR einreisen,
nicht mal zur Beerdigung ihrer Eltern. Erst
nach sieben Jahren, nach intensiven Ver-
handlungen der Bundesregierung mit der
DDR, wurde das Büro wieder eröffnet:
Schwarz war wieder da.
Ob der Unfall ein Mordanschlag war, ob
sein Lenkrad mit einem Kontaktgift präpa-
riert war, Schwarz konnte es nie aufklären.
Seine Stasi-Akte war nach dem Zusammen-
bruch der DDR erstaunlich dünn, wie aus-
sortiert und tiefengereinigt. „Die nassen Sa-
chen hat die Stasi als erstes vernichtet“,
sagt Schwarz. Nasse Sachen – das waren
Morde, Anschläge, alles Kriminelle. Das
knappe Dutzend Korrespondenten aus
dem Westen galt als Feinde, die man nur
wegen der internationalen Anerkennung
ins Land ließ und dort dann in Ost-Berlin
festhalten wollte. Jede Fahrt nach Rostock
oder Leipzig musste im Außenministerium
der DDR 24 Stunden vorher angemeldet
werden. Schwarz meldete sich nie ab.

Doch die Stasi ließ Schwarz minutiös
überwachen, notierte seinen Tagesablauf,
setzte Spitzel auf ihn an, die sich mit ihm an-
freundeten, mit ins Theater gingen. Und sie
zapfte den Telefonanschluss seiner Frau
im 280 Kilometer entfernten Hamburg an.
Aus den Stasi-Akten erfuhr er, dass der Ge-
heimdienst auch überlegte, seine Tochter
anzuwerben. Die Stasi hatte Schwarz einge-
sponnen, Herr wurde sie ihm nicht.
Schwarz wandelte wie alle Korrespon-
denten bei seiner Arbeit an der Nahtstelle
des Ost-West-Konflikts auf dem schmalen
Grat zwischen diplomatischem Dienst und
journalistischem Anspruch. Das brachte
ihn auch in Bedrängnis. Am 13. August
1986, dem 25. Jahrestag des Mauerbaus,
stand ein junger evangelischer Vikar in
Sichtweite der Mauer und hatte ein Trans-
parent aus dem Fenster gehängt: „Jesus
stirbt an der Mauer in den Köpfen.“ Und:
„25 Jahre sind genug.“ Der Mann war ver-
haftet worden, ihm drohte lange Haft.
Schwarz hatte davon erfahren und mit dem
DDR-Anwalt Gregor Gysi darüber geredet.
Der Deal war: Entweder der Mann kommt
wieder frei und derSpiegelschweigt. Oder
derSpiegelbringt die große Geschichte und
schreibt, dass die DDR noch nicht mal so

harmlose Kritik aushält. Seine Redaktion
drängte ihn, zumindest über die Verhaf-
tung zu schreiben. „Ich liefere keine Leute
ans Messer“, sagte Schwarz und schrieb
nicht. Der Vikar kam frei. Von da an hatte
Schwarz Zugang zu Menschen wie dem re-
bellischen Pfarrer Rainer Eppelmann oder
der Witwe des Regimekritikers Robert Ha-
vemann. Aber sein Blatt hatte eben auch
keine Geschichte. Und sein Chefredakteur
hielt Schwarz vor, in der DDR nur mit sei-
nen Kirchenleuten rumzuhängen.
Die Arbeit in der DDR erschloss sich den
Kollegen im Westen nie wirklich: Es gab

dort keine Pressekonferenzen, keine Pres-
sestellen, bei denen man anrief. Reisen
konnte man nur mit genauen Absprachen
mit dem Außenministerium und umlagert
von Aufpassern, das Betreten von Rathäu-
sern war verboten, das Ansprechen und Be-
fragen von DDR-Bürgern genauso. Und
kam in einem Text doch mal ein echter Bür-
ger vor, so hatte der nie einen Namen. Denn
wer sich mit West-Journalisten traf, galt so-
fort als Klassenfeind. Als Korrespondent
achtete man darauf, dass die Quelle nicht
zu orten war. Deswegen lasen sich all die
Texte so leblos, so unkonkret – so wie dem

Westen die gesamte DDR vorkam. Und nie-
mand, der nicht unter diesen Bedingungen
arbeitete, wusste einzuschätzen, was es be-
deutete, diesem Staat täglich ausgeliefert
zu sein. Bei Schwarz läutete einmal nachts
um 2 Uhr das Telefon, es war ganz still in
der Leitung, dann flüsterte eine Stimme:
„Leb wohl, leb wohl.“ Schwarz war ganz al-
lein in seiner Dienstwohnung an der Leni-
nallee, er fuhr noch in der Nacht hinüber
nach Westberlin und nahm sich ein Hotel.
Am nächsten Tag machte er weiter. Genau-
so wie nach seinem Autounfall. „Du arbei-
test hier weiter“, befahl er sich. „So lässt du

dich nicht vertreiben.“ Als 1989 die Proteste
nicht mehr zu übersehen waren, versuchte
die DDR brachial, die Berichterstattung zu
unterbinden. Schlägertrupps drängten
Journalisten von Demonstrationen weg,
Korrespondenten wurde verboten, nach
Leipzig zu fahren, wo Bürgerrechtler für
den 9. Oktober 1989 eine Demonstration
planten. Das DDR-Außenministerium rief
sogar in Chefredaktionen im Westen an, da-
mit die ihre Korrespondenten anwiesen,
nicht nach Leipzig zu fahren. Viele gehorch-
ten. Schwarz fragte erst gar nicht in Ham-
burg nach. Er setzte sich in den Zug und
fuhr. Er sah, wie die Menschen auf die Stra-
ße strömten, er sah, wie dieser Zug zum Fa-
nal gegen die DDR-Regierung wurde. Doch
natürlich berichtete das DDR-Fernsehen
nicht darüber und Handykameras waren
noch nicht erfunden. Niemand konnte se-
hen, was geschah.
Schwarz entdeckte bei der Demonstra-
tion zwei Bürgerrechtler, die er aus Berlin
kannte: Aram Radomski und Siegbert
Schefke. Sie verabredeten sich auf ein Bier
nach der Demo, dann verschwanden die
zwei. Als Schwarz sie wieder traf, hatten sie
ein Video in der Tasche, das brisanteste,
das Schwarz in seiner Zeit in der DDR je zu
Gesicht bekommen hatte. Die beiden wa-
ren auf einen Kirchturm geklettert und hat-
ten den Demonstrationszug gefilmt. „Das
hätte den beiden 20 Jahre Bautzen einbrin-
gen können“, sagt Schwarz. Bautzen, das
war das härteste Gefängnis in der DDR.
Ulrich Schwarz ist heute 82 Jahre alt,
nach dem Fall der Mauer war er lange Res-
sortleiter beimSpiegelin Hamburg, das
stählt. Er ist keiner, der sentimental alte Er-
innerungen wälzt. Er hat noch nicht mal
ein Stück der Mauer aufgehoben. Aber
wenn er von diesem Abend in Leipzig
spricht, vom Mut der Menschen, dann
kommt es einem vor, als würden seine Au-
gen feucht. „Das ist das Stärkste, was ich in
der DDR erlebt habe“, sagt er und kneift
schnell die Lider zusammen.

Er ist dann mit Schefke und Radomski
in ihren Trabi gestiegen, eiskalt war es, das
Fenster ging nicht zu, und hat sie zurück
nach Berlin begleitet. Das Video hat er in sei-
ne Manteltasche gesteckt. „Wenn uns je-
mand angehalten hätte, ich hätte gesagt,
das Video gehört mir. Mich hätten sie ja nur
rauswerfen können aus der DDR, die ande-
ren wären in den Knast gegangen“, sagt
Schwarz. Noch in der Nacht hat er das Video
nach West-Berlin geschmuggelt. Am nächs-
ten Tag lief es in denTagesthemen.Die hal-
be DDR schaute zu, wie 70 000 Menschen
in Leipzig riefen: „Wir sind das Volk.“ Eine
Woche darauf trat Erich Honecker zurück,
einen Monat später ging die Mauer auf, nie-
mand hatte es vorhergesehen, auch
Schwarz nicht: „Dass dieses Land einfach
so in sich zusammensackt, so lautlos, das
hätte ich nicht gedacht.“
Der Bundespräsident ehrt den Mann,
der als einziger West-Korrespondent in
Leipzig gewesen war, nun am 2. Oktober
mit dem Bundesverdienstkreuz. „Mit Ih-
rem Mut und Ihrer Entschlossenheit haben
Sie dazu beigetragen, dass der 9. Oktober
1989 ein Wendepunkt der friedlichen Revo-
lution wurde“, schreibt Frank-Walter Stein-
meier. Als Schwarz dann am 9. November
1989 an die Grenze kam, stand die DDR
schon weit offen. All die Jahre war er über
den Grenzübergang Heinrich-Heine-Stra-
ße gefahren. All die Jahre saß dort ein Gren-
zer, der ihn stoisch durchgewinkt hatte. Nie
hatte er ein Wort gesagt, kein böses, kein gu-
tes. An diesem Abend sagte er: „Na, sind Sie
jetzt zufrieden, Herr Schwarz?“

Die Nacht, in der die Mauer fiel, hat Petra
Schmidt-Schaller verschlafen. Sie war
auch erst neun Jahre alt. Am nächsten Mor-
gen erfuhr sie, dass ihre Eltern sie in jener
historischen Nacht einfach zu Hause ver-
gessen hatten. Sie waren aufgebrochen,
um von Ostberlin zum Grenzübergang
Bornholmer Straße zu fahren, schließlich
waren so gut wie alle auf den Beinen, gu-
cken, was da jetzt los war an der Mauer! Ge-
gen 23 Uhr drängten Tausende an den
Grenzübergang. Die Stimmung war aufge-
heizt, die Grenzsoldaten überfordert. „Das
halte ich ihnen heute noch vor, denn was
wäre denn gewesen, die Mauer wäre wie-
der geschlossen worden?“, sagt Schmidt-
Schaller, „dann hätte ich da alleine geses-
sen.“ Sie lacht. Die heute 39-Jährige be-
wirbt an einem Sommertag in einem Ham-
burger Hotel ihren neuesten Film, der um
diesen Zeitraum spielt; die damals Neun-
jährige Schmidt-Schaller ging am nächs-
ten Tag wie immer zur Schule. Doch außer
ihr saßen nur ein oder zwei andere Mit-
schüler in der Klasse, ganz genau weiß sie
es nicht mehr. Alle anderen waren irgend-
wo im Taumel des Mauerfalls mit ihren Fa-
milien hängen geblieben.
In diesem Taumel findet sich auch die
fiktive Agentin wider, die Schmidt-Schal-
ler inWendezeitspielt. Diese arbeitet für
die CIA in Westberlin, ist aber in Wirklich-
keit Spionin der DDR. Der Mauerfall am
9.November 1989 läutete nicht nur die Wie-


dervereinigung ein, er bedeutete auch das
Ende des DDR-Spitzelsystems. Mehrere
Tausend DDR-Agenten waren zu dieser
Zeit in der DDR, Westberlin und in West-
deutschland im Einsatz, viele als IM – inof-
fizielle Mitarbeiter. Nun stürzte das Sys-
tem und mit ihnen die Spione. Im Film
droht ein Überläufer aus der DDR die Tar-
nung der Spionin auffliegen zu lassen.
Bis dahin lebte die Agentin mit Mann
und zwei Kindern als Saskia Starke in einer
Zehlendorfer Villa ein ebenso mustergülti-
ges wie gediegenes Leben im Kapitalis-
mus. Als Tatjana Leschke, wie sie in ihrer
Heimat DDR heißt, überquert sie regelmä-
ßig am Checkpoint Charlie die Grenze
nach „drüben“, Ostberlin, um geheime
Operationen durchzuführen, Quellen anzu-
zapfen. Aber jetzt muss sie ihr eigenes Le-
ben schützen.

Petra Schmidt-Schaller spielt die Spio-
nin beeindruckend vielschichtig. Starke ali-
as Leschke fremdelt mit beiden Systemen,
mit Kapitalismus wie Sozialismus, und ist
gleichermaßen Teil von ihnen. Leschke
fühlt sich hingezogen zu der familiären Ge-
meinschaft, welche die Stasi um sie herum
aufgebaut hat. Es ist bekannt, wie intensiv

sich die Behörde teilweise um Spitzel küm-
merte, um sie an sich zu binden. Leschke
trifft Markus Wolf, Chef der HVA, der Aus-
landabteilung der Stasi, der sie protegiert.
Wolf gab es tatsächlich, er galt als berech-
nender Marionettenspieler und wird so
auch im Film dargestellt (Robert Hunger-
Bühler), begegnet Leschke fast väterlich.

Die ist aber zudem seit Jahren als Saskia
Starke in Westberlin zu Hause, liebt ihre
Kinder und den Mann (Harald Schrott) und
will jenes zweite Leben ebenfalls schützen.
Dieses Zerrissensein zwischen zwei Sys-
temen hat Schmidt-Schaller als Kind weni-
ger wahrgenommen, dafür war sie zu jung.
Auch das perfide Spitzelsystem der DDR in

Ostberlin fiel ihr erst später auf. „Das war
dann so: Dass der bei der Stasi war, das war
ja klar! Oder: Ach, guck mal, der war bei
der Stasi!“ Schmidt-Schallers Eltern, bei-
de Schauspieler, hielten sie als Kind aus al-
lem „Staatskritischen“ heraus, sagt sie.
Die Angst, dass man Probleme bekam,
weil das Kind etwas ausplauderte, sei groß
gewesen. Kritische Gespräche in ihrem El-
ternhaus seien hinter verschlossenen Tü-
ren gelaufen, vermutet sie. Nicht offen re-
den können ist natürlich auch essentieller
Teil ihrer Rolle als Doppelagentin. Ihren

Freunden, Chefs, dem Ehemann gegen-
über spielt die Agentin (und Schmidt-
Schaller) überzeugend und mitunter kühl
unterschiedliche Identitäten vor. In einer
Szene überlistet Starke einen Lügendetek-
tor. Dass das mit guter Vorbereitung mög-
lich ist, ist bekannt, aber wer es wie sie
macht, indem sie sich Schmerz zufügt, hält
den Zuschauer in Atem.
Die Nervosität der Agentin steigt im
Film und Regisseur Sven Bohse gelingt ein
facettenreiches Porträt. Doch er zieht den
Zuschauer auch in die historisch einmalige
Zeit hinein und vertieft, ohne zu detailliert
zu werden: Starke kann ihre Enttarnung

nur verhindern, wenn sie ihre Akte, die in
der DDR auf ihren Namen angelegt wurde,
vernichtet. Und zwar bevor die US-Ameri-
kaner sie in die Hände bekommen. Dieses
Spiel aus Fiktion und Realität – die Stasi-
Zentrale wurde 1990 tatsächlich gestürmt
und die Karteien landeten bei den Amerika-
nern – funktioniert sehr gut.
Brisant waren damals die sogenannten
Rosenholz-Dateien, in denen inWendezeit
auch Tatjana Leschke gelistet ist. Ein un-
wahrscheinlicher Wust an Karteikarten
(benannt nach einem Geheimdienstvor-
gang), auf denen „etwa 300 000 deutsche
Bürger standen, aus der DDR, Westberlin
und der BRD, und maximal etwa 6000
Agenten“, sagt der Berliner Politologe und
Stasiforscher Helmut Müller-Enbergs.
Wer darin auftauchte, den hatte die Stasi
in irgendeiner Weise auf dem Radar – so-
wohl Spitzel als auch Überwachte, es reich-
te aber auch schon Enkel oder Gattin eines
IM zu sein. Hätte die CIA von Starkes Kartei
erfahren, hätte sie ermittelt und sie vermut-
lich wegen Verrats angeklagt. Mit der puren
existenziellen Angst, die fortlaufend The-
ma ist, ist ein packender Film gelungen. Un-
genauigkeiten, wie Alleingänge der Spio-
nin, für die viel mehr Agenten notwendig ge-
wesen wären oder die allzu umsorgende
Rolle von Markus Wolf, verzeiht man den
Machern. clara lipkowski

Wendezeit, Das Erste, Dienstag, 20.15 Uhr.

Die Titel strahlen immer noch. DieVogue,
dieses Jahr 40 Jahre alt, verpackt auf dem
Cover der Geburtstagsausgabe ein Model
in eine kleidgewordene Schleife, auf der
GQ schaut Leonardo DiCaprio selbst-
sicher drein, dieGlamourverspricht: „in-
tensiver leben“ und dieAD, das „Premium-
magazin über Einrichtung, Kunst und
Architektur“, zeigt Kronleuchter und
Samtsessel. Luxus-Welt, Wohlfühl-Welt,
dafür stehen die Publikationen aus dem
Münchner Verlag Condé Nast. Die Zahlen
sehen anders aus.
Condé Nast macht hohe Verluste. Die
vor knapp sechs Monaten angetretene Ge-
schäftsführerin Jessica Peppel-Schulz hat
nun eine Neustrukturierung angekündigt



  • und Stellenabbau. Circa 300 Mitarbei-
    ter hat das Haus derzeit. 15 Mitarbeitern
    aus Redaktion und Verwaltung wurde
    gekündigt, vor dem Hintergrund, dass die
    Print- und Digitalredaktionen zusammen-
    gelegt werden. „Beautiful Growth“ nennt
    Peppel-Schulz das, was bei Weitem schö-
    ner klingt, als es ist. „Wir sparen, um uns
    Wachstum zu ermöglichen“, sagte sie bei
    der Bekanntgabe. Man habe sich zu lange
    auf Print als einzig relevantem Umsatz-
    treiber „ausgeruht“ und es „verpasst, sich
    rechtzeitig zu verändern“. Dabei hat man
    bei Condé Nast offenbar eine Richtung im
    Sinn: weg von einem traditionellen Ver-
    lag, hin zu einer Markenagentur.


Wachstum erhofft sich die Geschäfts-
führung nicht nur im Digitalen, sondern
auch durch neue Geschäftsfelder. Ausge-
baut werden soll etwa der Bereich Veran-
staltungen, in dem Condé Nast bereits er-
folgreich ist. Etwa mit dem„Glamour
Beauty Festival“, das vor allem junge Frau-
en anlockt und mit Beauty- und Styling-
Profis zusammenbringt. Solche Events
sollen künftig nicht von der Redaktion
getrennt gedacht werden. In diesem Zu-
sammenhang ist auch der prominenteste
Weggang zu sehen: Der bisherigeGQ-
Chefredakteur Tom Junkersdorf musste
gehen, die Position wird in dieser Form
nicht nachbesetzt. Stattdessen wird ein
„Markenverantwortlicher“ gesucht. Die
Chefredakteurinnen und Chefredakteure
der anderen Magazine behalten ihre Pos-
ten, aber auch sie sollen zu Markenverant-
wortlichen werden und damit nicht mehr
nur für die Printmagazine zuständig sein,
sondern auch für Onlineauftritte, Präsenz
in sozialen Netzwerken und neue Ge-
schäftsfelder, „markenholistisch“, wie
CEO Peppel-Schulz sagt. Von redaktionel-
len Inhalten spricht sie dabei nie.
Die Geschäftsführerin betont, man
glaube an Print – die gedruckten Zeit-
schriften sollen künftig dennoch seltener
erscheinen. Das betrifft vor allemGQund
Glamour, die bislang mit je zwölf Ausga-
ben pro Jahr am Kiosk liegen, 2020 sollen
es nur noch elf und 2021 nur noch zehn
sein. Momentan generierten sich 80 Pro-
zent des Umsatzes aus Print, sagte Peppel-
Schulz – sie gibt als Ziel vor, dass es in fünf
Jahren nur noch ein Drittel ist.
Dazu beitragen soll vor allem ein neu ge-
gründeter Unternehmensbereich namens
„CNX“. Es soll eine hauseigene Kreativ-
agentur sein, die Unternehmen berät,
spezialisiert auf die Bereiche Lifestyle und
Luxus. Die CNX-Mitarbeiter sollen auch
räumlich der Redaktion nahe sein. Die
Trennung von Redaktion und Verlag, an-
derswo hochgehalten, spielte bei Condé
Nast auch schon in der Vergangenheit
keine allzu große Rolle. Dafür standen die
Magazine des Hauses immer für eine
strahlende Fantasiewelt. Die soll nun in
neue Bereiche hinübergerettet werden.
elisa britzelmeier


Dass dieses Land
einfach so
in sich
zusammensackt,
so lautlos,
das hätte ich
nicht gedacht.“

Ulrich Schwarz

Der Kronzeuge


UlrichSchwarz war DDR-Korrespondent des „Spiegel“.


Die Stasi überwachte ihn – trotzdem fuhr er als einziger


West-Journalist zur großen Demonstration am 9. Oktober 1989


Die Spionin fremdelt mit
beiden Systemen, und ist
gleichermaßen Teil von ihnen

Aus den Akten erfuhr er, dass
der Geheimdienst überlegt
hatte, seine Tochter anzuwerben

Es geht auch um die brisanten
Rosenholz-Dateien, die 1990
tatsächlich bei den USA landeten

Falsches Spiel mit den Systemen


Ein Nachwende-Drama der spannenden Art: Petra Schmidt-Schaller als Doppelagentin, die nach dem Mauerfall ihre Stasi-Zeit verbergen muss


Der schöne


Schein wächst


Condé Nast: Weniger Verlag,
dafür mehr Markenagentur

Beautiful Growth – das heißt


in München: „Wir sparen, um


uns Wachstum zu ermöglichen.“


34 MEDIEN HF2 Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019, Nr. 228 DEFGH


Berliner CIA-Zentrale: Agentin Saskia Starke (Petra Schmidt-Schaller) schiebt
Dienst für die US-Amerikaner und spioniert für die Stasi. FOTO: RBB/ARD/VOLKER ROLOFF

UlrichSchwarz in seiner Berliner Wohnung: Der heute 82-Jährige brachte damals das heimlich gedrehte Video in den Westen,
das die „Wir-sind-das-Volk“-Demo mit 70 000 Menschen in Leipzig (oben) dokumentierte. FOTOS: AP, REGINA SCHMEKEN
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