Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1
von stefan fischer

D


ie Landschaftsfotografie gehört
nicht zu den Kernkompetenzen
der Fotoagentur Magnum. Im
Fokus ihrer Mitglieder stehen
stattdessen seit jeher Menschen und mehr
noch wichtige historische Ereignisse. Im
Archiv von Magnum finden sich trotzdem
unzählige Aufnahmen alpiner Szenerien.
Sei es, weil einige der Fotografen, voran
der Schweizer Werner Bischof, passionier-
te Berggänger sind und waren; sei es, weil
punktuell eben auch Bergwelten wert
erschienen, dokumentiert zu werden.
Besonders naheliegend im Magnum-
Kontext sind zwei Fotografien von Robert
Capa, die er 1944 aufgenommen hat, drei
Jahre, bevor er gemeinsam mit Kollegen
die renommierte Agentur gründen sollte:
Sie zeigen den Weltkrieg in den Alpen. Nur
sechs Jahre später, 1950, hat Capa Skifah-
rer in Zermatt fotografiert sowie einen der
schönsten Berge, das Matterhorn, gemein-
sam mit einer schönen Frau, auf dass die
zwei wie ein Paar wirken. Beide zeitverlo-
ren die Sonne genießend und die Ruhe.
Es handelt sich also um ein Nebenwerk
der Agentur, das Annalisa Cittera und Na-
thalie Herschdorfer gebündelt und unter
dem schlichten Titel „Berge“ als Bildband
herausgegeben haben. Die Motive über-
raschen, weil man Robert Capa eben vor
allem als Kriegsberichterstatter wahr-
nimmt oder Werner Bischof als Porträtfoto-
grafen. Und weil ihre Bildsprache eine
andere ist als bei den meisten Landschafts-
Inszenatoren alpiner Welten.
Es gibt in diesem Band kaum eine Foto-
grafie, auf der nicht Menschen eine zentra-
le Rolle spielen, als Bewohner, Besucher
oder Bezwinger der Gebirge. Die Berge
treten in den Hintergrund und werden bei-
nahe nie als erhaben oder imposant charak-
terisiert. „Wir sind Zeugen des Vergängli-
chen“, hat Henri Cartier-Bresson einmal ge-
sagt, auch er ein Magnum-Gründer. Nicht
das Unverrückbare interessiert die Agen-
tur-Fotografen an den Bergen, sondern
das Veränderliche, Menschengemachte –
kurz: der besondere Augenblick. Ein italie-
nisches Leichenbegängnis in der Basilika-
ta, aufgenommen von Cartier-Bresson
1951, ein Schaftrieb in Iran, 1956 festgehal-
ten von Inge Morath. Oder, aus der Gegen-
wart, die Szenerie junger kaukasischer
Berggänger in Inguschetien von Thomas
Dworzak (2013), einem der drei deutschen
Magnum-Fotografen. Den besten Blick für
absurde Szenerien hat der Brite Martin


Parr, der gerne Touristen beim Touristen-
sein fotografiert, was nicht selten urko-
misch ist. Eines der in „Berge“ veröffent-
lichten Motive zeigt ein Paar, das sich an-
hand einer Panoramakarte in der Bergku-
lisse orientieren will.
Das führt unmittelbar zu einem zweiten
Band, der im Prestel Verlag erschienen ist
und sich ebenfalls mit dem Bild befasst,
das wir uns von den Bergen machen, in
diesem Fall speziell von den Alpen. Tom
Dauer betrachtet in einem klugen Aufsatz,
der den Band „Alpen“ einleitet, die Kunst
der Panoramakarte. Diese sei ein Hybrid,
„angesiedelt irgendwo zwischen Fotogra-
fie, Kunst, Kartografie und der Weltsicht
von Menschen“.
Auf diesen Karten werden landschaft-
liche Details reduziert, wird die zum Teil
sehr komplexe Topografie vereinfacht. Ein
vernünftiger Maßstab, Höhenlinien, die
Bodenbedeckung, exakte Wegverläufe,
Proportionen, Nordausrichtung – „alles
Fehlanzeige“, so Dauer. Dennoch ermögli-
chen diese Fantasien eine Orientierung.
Die ersten modernen Panoramakarten
wurden in den 1930er-Jahren hergestellt,
noch heute werden sie von Hand gemalt –
und können dann jahrzehntelang verwen-
det werden. Denn alle menschlichen Ein-
bauten wie Bergbahnen, Hütten und Ski-
pisten werden separat auf eine Transpa-
rentfolie gemalt, die sich bei Neuerungen
leicht austauschen lässt. Es gab und gibt
lediglich eine Handvoll Menschen, die die-
se Karten anfertigen: Der 1999 gestorbene
Heinrich C. Berann war ein Pionier, Pierre
Novat einer seiner Konkurrenten, auch
Heinz Vielkind und Heinz Matthias haben
etliche dieser Panoramen erstellt.
Auffallend ist, dass jeder der Maler
seinen eigenen Stil hatte und hat: Novats
Ansichten sind weicher als die scharfkanti-
gen Beranns, die von Heinz Matthias sind
verspielter. Alle gemeinsam vermitteln sie
mit den eingeschränkten Möglichkeiten
der Zweidimensionalität einen überaus
plastischen Eindruck der Alpen. Dass es
Verfälschungen sind, nimmt man als Be-
trachter gerne hin. Es handelt sich um Wer-
bung touristischer Regionen, von der man
sich gerne verführen lässt.

Annalisa Cittera, Nathalie Herschdorfer (Hrsg.):
Berge. Das Magnum Archiv. Prestel Verlag, Mün-
chen, London, New York 2019. 240 Seiten, 48 Euro.
Tom Dauer: Alpen. Die Kunst der Panoramakarte.
Prestel Verlag, München, London, New York 2019.
192 Seiten, 40 Euro.

Der wahre Kern


Ähnlichkeiten mit der Realität nicht ausgeschlossen:


zwei Bildbände über die Inszenierung der Berge


Hinweis der Redaktion:Die Recherchereisen für
diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von
Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tou-
rismus-Agenturen.

Ach, was macht die Digitalisierung nicht
alles zum Auslaufmodell! Piloten zum
Beispiel. Klar, es gibt sie noch, aber das
Fliegen übernimmt weitgehend der
Autopilot. Bahnschalterbeamte – es soll
sie noch geben, aber sie sind so selten
wie das Rebhuhn in unserer Agrarland-
schaft, durch die der ICE mit 300 km/h
brettert. Der Postbote, heute eher in sei-
ner Erscheinungsform als prekär bezahl-
ter, dauerschuftender Paketzusteller
verbreitet, trägt kaum noch Briefe oder
gar Postkarten aus. Schließlich gibt es
dafür ja Apps, mit denen man nicht wie
früher auf gedruckten Postkarten einen
schönen Berg oder ein Monument an die
Lieben verschickt, sondern die wichtigs-
te Sehenswürdigkeit, die heute denkbar
ist: ein Foto von sich selbst.
Wie gut, dass die Tourismusmacher
am Dachstein da jetzt dagegenhalten. In
Kooperation mit der österreichischen
Post haben sie im August auf 1955 Hö-
henmetern einen Briefkasten an eine
Felswand schrauben lassen. Am soge-
nannten Jungfrauensteig, einer belieb-
ten, aber auch steilen Wanderung auf
der Südseite des Dachsteins, können
Wanderer nun ganz analog Urlaubsgrü-
ße verschicken. Generöserweise sind am
Kasten gleich Postkarten mit einem
„wunderschönen Dachsteinmotiv“ hin-
terlegt, auch um die Frankierung muss
man sich nicht kümmern, das über-
nimmt der Tourismusverband. 500 Post-
karten seien bereits in alle Welt ver-
schickt worden, frohlockt dessen Chef,
„sogar nach Madagaskar“. Seine Mit-
arbeiter würden zweimal in der Woche
den steilen Weg auf sich nehmen und
den Briefkasten leeren.
Ganz so analog-selbstlos wie es aus-
sieht, ist das aber nicht. Denn der eigent-
liche Grund für den Briefkasten ist ein
digitaler: Es wurde ein Video gedreht, in
dem ein Postbote hinauf wandert, um
den Briefkasten zu leeren, Fotos gibt es
auch jede Menge davon, all das kann
wunderbar und tausendfach auf allen
digitalen Kanälen gelikt und geteilt
werden, bis die Server glühen. Was sind
dagegen schon 500 Postkarten, selbst
wenn sie irgendwann mal in Madagas-
kar ankommen sollten? hans gasser

REISEBUCH


44 REISEIN DIE BERGE Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019, Nr. 228 DEFGH


ENDE DER REISE


Postkartenaus


der Felswand


Der Gardasee, irreal dargestellt von Heinrich C.
Berann. DenFotografen der Agentur Magnum
geht es indes um konkrete Momente.FOTOS: WERNER
BISCHOF, JONAS BENDIKSEN / MAGNUM PHOTOS, CORMAR PUBLISHER

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