Frankfurter Allgemeine Zeitung - 07.10.2019

(Dana P.) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport MONTAG, 7. OKTOBER 2019·NR. 232·SEITE 23


DerArmenier Sargis Adamyan


ist endgültig in der Bundesliga


angekommen.Seite 24


Wieder nur 2:2 – Borussia


Dortmund ist an einem kritischen


Punkt angekommen.Seite 25


Bronze in Doha: Die Läuferin


Konstanze Klosterhalfen kommt


in der Weltspitze an.Seite 28


OhneRausch in luftiger Höhe:


Aufstieg zu einem Appenzeller


Whisky-Höttli.Seite 26


DerSpätstarter Alarmierende Befunde Im Geiste Albertos


W


as ist denn da los? Gilt ab so-
fort der Gleichheitsgrundsatz
in der Fußball-Bundesliga? Herrscht
vielleicht sogar spätsozialistische
Gleichmacherei? Beim verwunder-
ten Blick auf die Tabelle mit den mini-
malen Abständen zwischen dem Ers-
ten Mönchengladbach und der hal-
ben Liga im Schlepptau konnte der ro-
mantische Fan an diesem Wochenen-
de in dem Hochgefühl baden, nach
Jahren der Monotonie und Münchner
Hegemonie endlich mal wieder ei-
nem heißen Wettstreit unter vielen
Kandidaten im Kampf um die besten
Plätze zuzuschauen. Von Rang eins
bis Rang acht ist beim Blick auf die
Punktebilanz kaum ein Unterschied
auszumachen. Gilt in dieser Saison
etwa die lange vermisste Ungewiss-
heit im Kampf um den Titel wieder?
Gemach. Mag die Momentaufnah-
me auch den Eindruck erwecken,
dass sich so gut wie alle Klubs unter
gleichen finanziellen wie sportlichen
Voraussetzungen um Punkte und
Tore kabbeln, scheint die Hoffnung
auf eine Fortsetzungsgeschichte, ge-
nährt durch Coups wie den der Hof-
fenheimer bei den Bayern, doch ziem-
lich unwahrscheinlich. Sieben Spielta-
ge geben nicht genug belastbare Da-
ten und Fakten her, um daraus eine
verlässliche Saisonprognose abzulei-
ten. Die derzeitige Verletzlichkeit be-
sonders hoch eingeschätzter Teams
erklärt sich auch durch innerbetriebli-
che Umbruchphasen. Etwa in Mün-
chen, wo nach dem Abschied der Alt-
stars Ribéry, Robben und Hummels
eine neue Spielweise wie eine neue
Hierarchie gefunden werden müssen.
Schwankende Leistungen, besonders
krass in dieser Woche mit dem
rauschhaften 7:2-Triumph in der
Champions League bei Tottenham
Hotspur und dem ernüchternden 1:2
daheim gegen Hoffenheim, bleiben
da nicht aus. Oder in Dortmund, wo
der Sturm auf den Titel schon vor der
Saison nach dem Erwerb einer Reihe
verheißungsvoller Spieler deklariert
worden ist und das Selbstverständnis
eines Seriensiegers längst noch nicht
zu Hause ist. Auch die allzu früh
hochgelobten Leipziger stellen nach
den ersten Saisonniederlagen in der
Bundesliga und der Champions Lea-
gue fest, dass sie noch weit davon ent-
fernt sind, wie ein Champion von
morgen aufzutreten. Sie müssen erst
die auf Ballbesitz gründende und mit
der Methodik der bewussten Überfor-
derung erarbeitete Lehre ihres neuen
Trainers Julian Nagelsmann verinner-
lichen, der vieles ganz anders macht
als sein auf rasche Balleroberung fi-
xierter Vorgänger Ralf Rangnick.
Auf der anderen Seite, und das ist
der erfreulichste Aspekt der akuten
Gemengelage in der Bundesliga,
wächst der Mut der kleineren und
Mittelstandsvereine, den Großen ein
Bein zu stellen und im Zweifel coura-
giert in die Quere zu kommen. Die
taufrische Erfolgsgeschichte des SC
Freiburg liefert hierfür ein illustrati-
ves Beispiel. Dort haben sie seit lan-
gem ein in sich geschlossenes Team
unter dem Patronat des alemanni-
schen Fußballlehrers Christian
Streich personell so angereichert,
dass der Trainer unter vielen qualifi-
zierten Bundesliga-Fachkräften die
freie Wahl hat, ohne dass die Homo-
genität des großen Ganzen gefährdet
wäre.
Die vielen anderen Klubs, die der-
zeit oben dabei sind, gehören samt
und sonders seit längerem zum Kreis
der Kandidaten für die internationa-
len Wettbewerbe. Der Kreis der Meis-
terschaftsanwärter aber dürfte sich
im Lauf der Saison erheblich verklei-
nern. Vorerst aber dürfen die Fans
darauf hoffen, dass ihnen die Bundes-
liga noch länger kurzweilige Spielta-
ge liefert, in denen das Undenkbare
möglich und das Wahrscheinliche
zur Illusion wird.

Jugend schreibt


AufSuche


nach der Hierarchie


Von Roland Zorn

E


s war wie immer – fast. Ein De-
tail passte nicht, als Uli Hoe-
neß in guter Tradition mit den
Vorstandskollegen eine gute
Viertelstunde nach Spielende
in die Kabine marschierte. Der Präsident
des FC Bayern hatte den rot-weißen
Schal, den er zuvor auf der Tribüne gut
sichtbar getragen hatte, abgelegt. Vermut-
lich aus praktischen Gründen und nicht
etwa, weil die Liebe zu seinem Herzens-
verein nach dem 1:2 am Samstag gegen
die TSG Hoffenheim erkaltet wäre. Aber
erklären wollte er sich nicht, er hielt es
wie die Spieler, die sich überboten beim
Suchen geeigneter Ausreden, warum es
nichts zu sagen gab. Die Einfälle waren
dabei so wenig kreativ wie zuvor der Auf-
tritt der Münchner auf dem Rasen, nur
Nationaltorwart Manuel Neuer hob sich
etwas ab. Der Kapitän verwies auf eine ja-
panische Medienrunde, die er gerade hin-
ter sich hatte. Auch er verspürte wohl kei-
ne große Lust, die Niederlage zu erklä-
ren.
Es war ein zähes Ringen, hinterher,
aber vor allem auf dem Platz. Die erste
Saisonniederlage des FC Bayern mag ei-
nen einfachen Grund gehabt haben.
Nach der famosen zweiten Halbzeit beim
Champions-League-Finalisten der ver-
gangenen Saison, Tottenham Hotspur,
waren die Münchner noch zu beseelt von
ihrer Leistung, um sich wieder seriös auf
den Bundesliga-Alltag einzustellen. „Wir
sind anscheinend noch nicht so weit, die-
ses gute Spiel alle drei, vier Tage zu brin-
gen“, stellte Trainer Niko Kovac fest. Es
wäre auch nicht das erste Mal, dass auf
eine internationale Gala ein uninspirier-

ter Auftritt in der Meisterschaft folgte.
„Ein bisschen müde“ seien die Spieler ge-
wesen, sagte Sportdirektor Hasan Saliha-
midzic, der nicht teilnahm am Ausreden-
Wettbewerb, sondern in der Mixed Zone
stehen blieb. „Wir haben viele einfache
Fehler gemacht“, gab er zu. Zwei führten
zu den beiden Hoffenheimer Gegentoren
durch Sargis Adamyan (siehe nächste Sei-
te). Bei Bayern hatte am siebten Spieltag
nur Bestand, dass Robert Lewandowski
auch in der zehnten Pflichtpartie der Sai-
son getroffen hat, zum zwischenzeitli-
chen Ausgleich.
Dass es mit der Stimmung beim offi-
ziellen Oktoberfestbesuch des FC Bayern
am Sonntag nicht zum Besten bestellt
sein würde, nahm Salihamidzic gelassen
hin: „Das sind wir ja schon gewohnt.“
Auch in den vergangenen beiden Jahren

war der Team-Ausflug auf die Wiesn ge-
trübt gewesen, 2017 nach einem 2:2 ge-
gen Wolfsburg, in der vergangenen Sai-
son nach einem 0:3 gegen Mönchenglad-
bach. Für Neuer, der außer den japani-
schen Journalisten noch den vereinseige-
nen Medienkanälen Auskunft erteilte, ist
das Ergebnis „ein Warnhinweis für uns,
dass man nichts geschenkt bekommt“.
Nur ein Ausrutscher also? Vielleicht.
Allerdings kann auch die Leistung in der
zweiten Halbzeit in London nicht als
Maßstab für das aktuelle Niveau der Bay-
ern herangezogen werden. Es waren in
dieser Saison gute Auftritte dabei, aber
sie reichten nie über 90 Minuten. Und ge-
gen Hoffenheim war diese ansehnliche
Phase zu kurz, um zu gewinnen. Die Nie-
derlage könnte auch der Auftakt zur baye-
rischen Herbst-Krise sein. Kovac jeden-

falls hat mit einem Satz über Thomas
Müller kurz vor Spielbeginn für Wirbel
gesorgt. „Wenn Not am Mann sein sollte,
wird er mit Sicherheit seine Minuten be-
kommen“, sagte er bei Sky. Ob der Bay-
ern-Coach damit tatsächlich gemeint
hat, dass der ehemalige Nationalspieler
sich bis auf weiteres mit dem Platz auf
der Bank zufriedengeben muss und nur
noch als eine Art Notnagel dient, ist
nicht gewiss. Der Versuch, seine unglück-
liche Bemerkung zu entschärfen, glückte
nach dem Spiel nur bedingt. „Sie müssen
jetzt nicht irgendwas daraus zaubern“,
sagte er auf der Pressekonferenz. „Wenn
jemand nicht spielt und wir ihn brau-
chen, kommt er. Und Thomas ist gekom-
men und hat noch mal Schwung reinge-
bracht.“ Da bleibt noch viel Raum für
Spekulation. Müller verkniff es sich, die-

se zu schüren. Er hielt es wie die Kolle-
gen: „Nothing to say, wie der Engländer
sagt“, ließ er Journalisten im Vorbeige-
hen wissen.
Dazu kam ein Foto, das eine vielsagen-
de Szene vor der Partie eingefangen hat.
Ko-Trainer Hansi Flick war sichtlich be-
müht, einen traurigen Javier Martínez zu
trösten. Der Spanier hatte wohl auf einen
Startelf-Einsatz gehofft, aber Kovac zog
ihm wieder Corentin Tolisso vor. Dass
dies der Grund für Flicks Einsatz als Seel-
sorger war, liegt nahe. Salihamidzic sagte
auf Nachfrage, er wisse jedenfalls nicht,
dass den Mittelfeldspieler irgendetwas
anderes als seine Reservisten-Rolle belas-
ten würde. Der arg unglückliche Auftritt
von Tolisso am Samstag dürfte bei Martí-
nez kaum zu mehr Verständnis für die
Entscheidung des Trainers geführt ha-
ben. Diese beiden Ereignisse am Rand
des Spiels sind kein Beweis, dass es mit
der Harmonie in der Mannschaft doch
nicht so weit her sein könnte wie zuletzt
betont. Womöglich hätte im Falle eines
Sieges Müller die Diskussion in seiner ge-
wohnt pointierten Art beendet, und der
verärgerte Martinez wäre allenfalls eine
Randnotiz gewesen.
Nun aber könnte es zumindest intern
ein leichtes Grummeln geben. Es muss ja
nicht so heftig kommen wie im vergange-
nen Jahr, als der Trainer in Frage gestellt
wurde und die Bayern in der Tabelle in
der Talsohle des Tiefs neun Punkte Rück-
stand auf Borussia Dortmund hatten.
Nach der Länderspielpause, Mitte Okto-
ber, muss der FC Bayern beim FC Augs-
burg antreten. Es ist der erste Härtetest
in dieser Saison für den Mannschaftsfrie-
den – und der nächste für Kovac.

Unsanfte Landung:Am Dienstag gelang Serge Gnabry mit vier Treffern gegen Tottenham noch ein Gala-Auftritt, am Samstag fiel er gegen Hoffenheim nicht groß auf. Foto Sampics

WORTE DES TAGES

Leichtes Grummeln


„Nothing to say, wie der
Engländer sagt.“
Thomas Müllernach dem 1:2 gegen
Hoffenheim auf dem Weg aus dem Stadion

MÖNCHENGLADBACH.Fast 65 Mi-
nuten lang hielten sich die feiernden Men-
schen in der Nordkurve des Borussia-
Parks zurück, obwohl ihnen längst klar
war, dass sie zum ersten Mal seit mehr als
acht Jahren die Spitze der Bundesligata-
belle erklimmen würden. Erst Mitte der
zweiten Halbzeit sangen sie dann doch
„Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey“, be-
vor sie am Ende einen imposanten
5:1-Sieg gegen den FC Augsburg bejubeln
durften. „Ich bin ja schon länger in Mön-
chengladbach, aber ich war noch nie Ta-
bellenführer“, sagte Mittelfeldspieler
Christoph Kramer und kündigte zufrie-
den an, sich in den kommenden Tagen be-
sonders intensiv mit den schönen Details
zu beschäftigen, die dem Tableau derzeit
zu entnehmen sind. Noch wichtiger war

ihnen aber ihre durch und durch souverä-
ne Leistung. „Das war ein Auftritt, wo al-
les auf dem Platz zu sehen war, was wir
uns vorstellen“, sagte Sportdirektor Max
Eberl.
Die Borussia hatte Augsburg kunstvoll
auseinandergespielt. Nach einer Viertel-
stunde stand es bereits 3:0. Zunächst hat-
te Denis Zakaria nach einer starken Ein-
zelaktion von Marcus Thuram auf dem
linken Flügel getroffen (2. Minute), be-
vor Patrick Herrmann schnell zwei weite-
re Treffer nachlegte (8. und 13.) und den
Augsburgern jeden Glauben an die Mög-
lichkeit eines Punktgewinns raubte. Die
Vorlagen für die beiden Treffer des lang-
jährigen Mönchengladbachers, der zu-
letzt häufig nur auf der Ersatzbank saß,
hatte jeweils Alassane Pléa geliefert.
„Wir haben die erste Halbzeit komplett
verschlafen. Mit einer Zweikampffüh-
rung wird man in der Ersten Bundesliga
kein Spiel gewinnen“, zürnte der Augs-
burger Philipp Max nach der Partie.
Den Gladbachern gefiel die Passivität
des Gegners natürlich ganz gut. Der Bo-
russia-Park tobte im niederrheinischen
Dauerregen. Kramer sprach von einem
„rauschhaften Gefühl“, dabei hatte Trai-
ner Marco Rose sein von den Belastun-

gen eines Europapokalteilnehmers ge-
stresstes Team gründlich umgebaut. Flori-
an Neuhaus, Breel Embolo, Nico Elvedi
und Oscar Wendt, die zuletzt meist ge-
spielt hatten, bekamen eine Pause. Aber
der Gladbacher Kader hat derzeit offen-
bar auch in der Breite eine beachtliche

Qualität. Herrmann spielte wie entfes-
selt, auch der neue Linksverteidiger
Rami Bensebaini deutet mehr und mehr
an, dass er die Borussia besser machen
kann, ebenso wie Lazlo Benes, der unter
Trainer Rose aufblüht. In der Bundesliga
hat der Traditionsverein vom Nieder-
rhein sein viertes Spiel in Folge gewon-
nen bei einer Tordifferenz von 13:1.
Zwar gab es zwischendurch auch diese
Abende in der Europa League in Istanbul
(1:1) und gegen den Wolfsberger AC
(0:4), wo die Mannschaft unter Verdacht
geriet, zur Bequemlichkeit zu neigen. Ge-
gen die Augsburger spielten sie nun aber
brillant. Wobei sie natürlich von dem gru-
seligen Tag profitierten, den die Bayern
erwischt hatten. Vor dem ersten Tor ver-
teidigte Tin Jedvaj, der kroatische Welt-
meisterschaftszweite, zaghaft wie beim
Freizeitkick im Park. Vor dem 2:0 ließ
der erfahrene Routinier Stephan Licht-
steiner sich beinahe wehrlos von Vorbe-
reiter Pléa düpieren, und den vierten
Treffer schenkte Tomas Koubek mit ei-
ner schrägen Slapstickeinlage her. Der
Torhüter ließ einen völlig harmlosen
Rückpass von Felix Uduokhai durch die
Beine glitschen. Pléa konnte den Ball er-
laufen und ins leere Tor schieben (39.).

Nach der Pause passierte dann nicht
mehr viel. Die Gladbacher schonten Kräf-
te, die Augsburger waren froh, nicht
noch höher zu verlieren. In der Schluss-
phase verkürzte Florian Niederlechner
noch auf 4:1 (81.), bevor der mittlerweile
eingewechselte Embolo doch wieder den
alten Abstand herstellte. Einer über-
schwänglichen Begeisterung wollten sie
sich aber auf gar keinen Fall hingeben, zu-
mal Matthias Ginter mit einer Schulter-
verletzung ausgewechselt werden musste
und auch Pléa und Stefan Lainer Blessu-
ren davontrugen. Zudem erinnern sich
alle noch ans vorige Jahr, als im Umfeld
des Klubs der zarte Gedanke an einen
möglichen Meistertitel erblühte, nach-
dem die Mannschaft im Oktober zwi-
schenzeitlich auf dem zweiten Platz
stand. Das war eine Art Höhepunkt der
Jahre mit Trainer Dieter Hecking. Der
große Unterschied zur derzeitigen Situati-
on ist allerdings, dass Roses Mönchen-
gladbacher Projekt gerade erst Formen
annimmt. Die neue Energie ist schon
deutlich sichtbar, an den fußballerischen
Feinheiten arbeiten sie zwar noch. Aber
das Zwischenergebnis sieht schon einmal
sehr, sehr vielversprechend aus.
DANIEL THEWELEIT

Sturm an


die Spitze


Mönchengladbach fertigt


Augsburg 5:1 ab


Waren die Bayern nach dem Coup gegen Tottenham zu sehr von sich selbst berauscht?


Oder ist die Niederlage gegen Hoffenheim der Beginn einer Herbstkrise?


Von Elisabeth Schlammerl, München


Not am Mann?Thomas Müller muss die Kommentare seines Trainers interpretieren – Robert Lewandowski hat getroffen. Fotos AFP

Gruppenbild mit Maskottchen:Die Glad-
bacher sind in Feierlaune. Foto AFP

Sozialismusin der Bundesliga?
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