Die Welt Kompakt - 06.10.2019

(John Hannent) #1

24 FORUM WELT AM SONNTAG NR. 40 6. OKTOBER 2019


Bundesjustizministerin Christine
Lambrecht (SPD) hat einen
Traum: Es ist der Traum von
sozialen Medien, in denen nicht
ständig gegen geltendes Recht
verstoßen wird. Deshalb möchte
sie das Netzwerkdurchsetzungs-
gesetz ihres Amtsvorgängers
Heiko Maas (SPD) verschärfen.
Dieses Gesetz ist bislang eines
der schlechtesten Gesetze, die es
in Deutschland gibt.
Plattformen wie Facebook
bilden die größte Öffentlichkeit,
die es jemals gab. Dieser virtuelle
Ort unterliegt verschiedenen
Regulierungen: Neben Facebooks

eigenen, fragwürdigen AGB sind
das vor allem die Gesetze der
Staaten, in denen Facebook aktiv
ist. Diese sind dem Konzern aber


  • dem Eindruck nach – weit-
    gehend egal. Mit zwei, drei
    Mausklicks finden sich auf der
    Plattform in Deutschland illegale
    Inhalte von Pornografie (Jugend-
    schutz) bis Holocaust-Leugnung,
    von Morddrohungen über Ver-
    gewaltigungsfantasien bis zu
    banalen Beleidigungen. Das
    Netzwerkdurchsetzungsgesetz
    soll Facebook dazu zwingen,
    entsprechende Inhalte zu lö-
    schen. Damit verschob Maas die
    Macht ausgerechnet zu einem
    Konzern, dessen Führungsriege
    es weder mit der Wahrheit noch
    mit der Demokratie sonderlich
    ernst meint.
    Man muss sich nicht wundern
    üüüber die Millionen Beispiele zuber die Millionen Beispiele zu
    Unrecht gelöschter Inhalte (de-
    ren Verschwinden die Nutzer
    bisweilen an Zensur erinnern
    kann) und die Millionen Bei-
    spiele zu Unrecht online gelasse-


ner Inhalte (was bisweilen an
die Unterstützung von Extre-
misten erinnert). Für die ju-
ristisch oft sehr komplizierte
Frage, welche Äußerung von der
Meinungsfreiheit gedeckt ist
und welche nicht, setzt Face-
book ungelernte Kräfte ein, die
in wenigen Sekunden entschei-
den müssen, was gelöscht wird
und was nicht. Für Anwälte sind
Klagen gegen Facebook jeden-
fffalls mittlerweile ein einträg-alls mittlerweile ein einträg-
liches und relativ risikofreies
Geschäft geworden: Der Kon-
zern ist regelmäßig im Unrecht.
An den wenigen Stellen, an
denen das Netzwerkdurch-
setzungsgesetz wie vorgesehen
fffunktioniert, indem es Facebookunktioniert, indem es Facebook
dazu zwingt, nur tatsächlich
illegale Inhalte zu löschen, sorg-
te es aufgrund seiner unvor-
teilhaften Konstruktion dafür,
dass Beweise vernichtet wurden.
Das half dann und wann den
Tätern statt den Opfern.
Deshalb kommt es jetzt da-
rauf an, wie Lambrecht das

ieser Protest muss
alarmieren: Zum
ersten Mal haben
hochrangige ehemalige
Währungshüter aus mehre-
ren europäischen Ländern
in einem Manifest die Geld-
politik der Europäischen
Zentralbank (EZB) scharf
kritisiert. Dass Notenbanker
vom Format eines Otmar
Issing, eines Christian No-
yer oder eines Jürgen Stark


  • allesamt Geburtshelfer
    des Euro und der gemein-
    samen Notenbank – derart
    offen mit dem Kurs ihrer
    früheren geldpolitischen
    Heimat fremdeln, zeigt, wie
    ernst die Lage ist.


VON ANJA ETTEL

Die EZB hat über die
Jahre die Grenzen ihres
Mandats immer weiter
ausgedehnt und sich damit
der verbotenen Staats-
finanzierung mindestens
verdächtig gemacht. Die

Schadwirkungen ihrer jah-
relangen Schocktherapie
aus Negativzinsen, An-
leihekäufen und langfristi-
ger Zinsbindung werden
immer größer, während der
positive Effekt auf Wachs-
tum und Preise nur noch
gering ist. Das trifft die
Banken, deren Geschäfts-
modell erodiert. Und es
trifft die Sparer, denen eine
Geldpolitik außer Rand und
Band die Chance auf eine
auskömmliche Altersvor-
sorge nimmt.

In einer Welt der Minus-
zinsen wird Wohlstand
umverteilt. Es geht zuguns-
ten der Eigentümer, zu-
lasten der Sparer. Weil Geld
billig und allzeit verfügbar
ist, haben sich auf vielen
Märkten längst gefährliche
Blasen gebildet. Der Preis-
wahnsinn bei Immobilien
zeugt davon. Für normale
Bürger ist der Immobilien-
erwerb damit unerreichbar
geworden. Weil die regulie-
rende Kraft des Zinses an
den Anleihemärkten fehlt,
wachsen in vielen Staats-
haushalten der Euro-Länder
die Schuldenberge in den
Himmel. Schulden machen
kostet ja vermeintlich
nichts. Wer in dieser ver-
kehrten Welt sorgfältig
haushaltet und sein Geld
zusammenhält, wird best-
raft. Wer immer noch ver-
sucht, über vermeintlich
sichere Zinspapiere fürs
Alter vorzusorgen, wird
ausgelacht. Und wer die
EZB für ihr Beharren auf
den Krisenmodus kritisiert,
obwohl die Krise doch lange
vorbei ist, steht oft genug
als Ewiggestriger da oder
wird gar als Euro-Gegner
diffamiert.
Einer Notenbank, die ihre
Aufgabe als Hüterin der
gemeinsamen Währung und
Wächterin über die Preis-
stabilität ernst nimmt, kann
all das nicht egal sein. Zen-
tralbanken sind mächtige
Akteure, und sie sind aus
gutem Grund unabhängig.
Niemand soll ihnen in ihre
Geldpolitik hineinreden.
Doch ihre Macht gründet
auf einer Währung, die sich
nicht nachdrucken lässt:
Vertrauen. Schwindet es, ist
die Macht dahin.
Die EZB hat bereits viel
Kredit verspielt. Sie sollte
den Protest ihrer früheren
Ratsmitglieder und eins-
tigen Notenbankchefs daher
ernst nehmen und den geld-
politischen Wahnsinn be-
enden, bevor es zu spät ist.
Tut sie es nicht, könnte
ausgerechnet die einstige
Krisenretterin des Euro zur
Verursacherin der nächsten
großen Finanzkrise werden.

Die Geldpolitik


ist ein Wahnsinn


EZB

Was Hass ist,


muss das


Gericht


entscheiden


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