Die Welt Kompakt - 06.10.2019

(John Hannent) #1

30 WIRTSCHAFT & FINANZEN WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER2019


m zu erklären, wie der
deutsche Sparer tickt,
braucht Tamaz Georgadze
nur zwei Zahlen. Die eine
ist sehr groß, sie beträgt 16
Milliarden Euro. Die andere ist im Ver-
hältnis dazu verschwindend gering. Sie
beträgt gut 150 Millionen Euro. Die ers-
te Ziffer ist die Summe, die seine Kun-
den in Zinsprodukte bei Georgadzes
„Weltsparen“ gesteckt haben. Der Ber-
liner Anbieter sucht europaweit nach
Banken, die noch irgendeinen Zins bie-
ten. Die kleinere Zahl, die gut 150 Mil-
lionen Euro, sind das Geld, das sie
beim sogenannten Robo-Advisor der-
selben Firma in breit gestreute rentier-
liche Anlagen wie Aktien und Anleihen
investiert haben.

VON HOLGER ZSCHÄPITZ

Ein Robo-Advisor ist eine automati-
sierte Vermögensverwaltung. Das Geld
wird nach einem regelbasierten Modell
und nach bestimmten Risikoklassen an-
gelegt, und das zu vergleichsweise ge-
ringen Gebühren. Die Zahl der Robo-
Angebote steigt zurzeit schnell an.
Doch es ist offensichtlich: Die Deut-
schen parken ihr Geld lieber zu Nied-
rigstzinsen, als dass sie es einem Anla-
ge-Roboter überlassen.
Geordgadze, der Gründer und Chef
der Weltsparen-Mutter Raisin, gilt als
Wunderkind seiner Branche. Er hat Abi-
tur mit zwölf Jahren gemacht, er hat ein
Doppelstudium absolviert, war jahre-
lang McKinsey-Berater. Trotzdem kann
das Genie nicht verstehen: „Warum ver-
zichten die Deutschen freiwillig auf
Geld?“, fragt er.
Der promovierte Volkswirt und Jurist
hat sich aufgemacht, den Deutschen das
ertragreiche Sparen zu niedrigen Kos-
ten beizubringen. Und nicht nur er: Ei-
ne ganze Reihe von Fintech-Unterneh-
mern arbeitet mittlerweile daran, alter-
native Anlageformen zu verbreiten.
Doch gerade einmal rund vier Milliar-

den Euro haben die Robo-Advisor bis-
lang laut Daten von Statista eingesam-
melt. Für ein Volk von über 80 Millio-
nen Menschen ist das verschwindend
gering. Rund 6,7 Billionen Euro beträgt
das Geldvermögen der Deutschen. Die
Robo-Advisor haben bisher fünf Promil-
le dieser Summe eingesammelt.
Dabei ist das Anlegen dank der digita-
len Helfer spielend einfach. Abhängig
von der Risikoneigung, stellen Anbieter
wie Weltsparen, Scalable, Oskar oder
Moneyfarm ein Depot zusammen. In
der Regel investieren sie in kostengüns-
tige Indexfonds. Die Depots werden au-
tomatisch angepasst. Sparer müssen
sich um nichts mehr kümmern. Auch
größere Institute haben Robo-Advisor
im Angebot, bei der Deutschen Bank
heißt die Abteilung „Robin“, bei Comdi-
rect einfach „Cominvest“.
Tatsächlich sind Robo-Advisor eine
kostengünstige Lösung für Anleger. Im
Schnitt stellen die Anbieter für ihre
Dienstleistungen zwischen 0,3 und ei-
nem Prozent in Rechnung. Hinzu kom-
men Kosten für die Indexfonds, die zwi-
schen 0,1 und 0,3 Prozent liegen. Zwar
ist die Altersvorsorge mit den digitali-
sierten Helfern etwas teurer, als wenn
man alles selber macht. Nur kostet Sel-
bermachen viel Zeit und Nerven.

OMAS FINANZSPRITZEUnd die tech-
nologischen Helfer punkten noch in an-
derer Hinsicht. Normalerweise ist Spa-
ren innerhalb der Familie schwierig.
Omas Geldgeschenke und Opas Spar-
buch liegen oft genug halb vergessen in
den Kinderzimmern herum, statt sinn-
voll investiert zu werden. Auch hier ver-
suchen die Fintech-Jünger, Abhilfe zu
schaffen. So lassen sich beispielsweise
mit dem Robo-Advisor Oskar in einer
App verschiedene, auch steuerlich ge-
trennte Sparkonten für sämtliche Fami-
lienmitglieder anlegen.
„Ich selbst habe für meine Kinder ei-
nen ETF-Sparplan bei der Comdirect
angelegt. Aber es kamen immer mehr

Freunde zu mir, die mich um Finanzrat
gefragt haben. Nach der fünften Anfra-
ge habe ich über ein einfaches Produkt
nachgedacht“, erzählt Jens Ohr, Vor-
stand bei Finanzen.net und einer der
Gründer von Oskar, an dem auch die
Axel Springer SE beteiligt ist, bei der
WELT AM SONNTAG erscheint. Zwar
gebe es mit Indexfonds für jeden Sparer
die Chance, sich selbst ein Depot zu-
sammenzustellen, so Ohr. Doch die
meisten Bundesbürger scheinen damit
überfordert zu sein.
Nach einem halben
Jahr hatte der Wirt-
schaftsingenieur, der
einst sein Studium für
die erste Firmengrün-
dung abgebrochen hat,
eine hohe vierstellige
Kundenzahl gewonnen.
Im Schnitt liegt die
monatliche Rate der
Oskar-Sparer bei mehr
als 100 Euro. Die meis-
ten Kunden eröffnen
für sich selbst ein Kon-
to und nicht für die Kinder. Dabei hat
Ohr noch eine interessante Erkenntnis
gewonnen: Wenn die Bundesbürger für
ihre Kinder anlegen, muss es nicht mehr
das allergünstigste Finanzprodukt sein.
Dann gehe es eher um Komfort und ein-
fache Handhabung. Doch geht es um ih-
re eigene Vorsorge, würden viele am En-
de ihr Geld auf dem Sparbuch behalten.
Genau wie Georgadze treibt auch
Ohr vor allem diese schwer zu erklären-
de Nachlässigkeit in Bezug auf die Al-
tersvorsorge um. Das Verhalten der
Deutschen ist umso frappierender, als
die Sparer in anderen Ländern sich die
Möglichkeiten der neuen Technologien
längst zunutze machen. In den USA ha-
ben die Bürger den digitalen Helfern
umgerechnet mehr als 600 Milliarden
Euro anvertraut. In Großbritannien
sind es rund 13 Milliarden Euro.
Vor allem jungen Menschen droht ei-
ne große Renten-Lücke im Alter. Wie

ernst die Lage ist, zeigt ein Manifest,
das hochrangige ehemalige Währungs-
hüter der Europäischen Zentralbank
(EZB) jetzt veröffentlicht haben. Die
Verfasser, darunter die beiden früheren
EZB-Chefökonomen Otmar Issing und
Jürgen Stark, warnen darin vor den Fol-
gen der anhaltenden Krisenpolitik der
EZB. Insbesondere Sparer der jungen
Generation könnten mit Zinsprodukten
keine ernsthafte Vorsorge mehr betrei-
ben. „Die jungen Generationen sehen
sich der Möglichkeit
beraubt, durch sichere
zinstragende Anlagen
für ihr Alter zu sor-
gen“, schreiben die
EZB-Kritiker in ihrem
Manifest.

SCHULE MACHEN
Weltsparen-Gründer
Georgadze hofft zwar
wie jeder Gründer auf
neue Kunden. Doch er
wünscht sich auch,
dass sich das Robo-
Modell insgesamt durchsetzt: „Mit
Technologie lässt sich auch ein gesell-
schaftliches Problem wie die Altersvor-
sorge lösen.“

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GETTY IMAGES/FRANKRAMSPOTT

Sparfuchs auf automatisch


Robo-Advisor ist


gerade der Star der


Fintech-Branche: Er


sucht die besten


Finanzanlagen. Aber


viele Kunden zögern


und verspielen damit


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