es heute ein Medikament, bei dem die frühe Gabe
essenziell sei. „Aber man darf natürlich nicht die
Augen vor der Wirklichkeit verschließen. In vie-
len Fällen wird ein positiver Test zu einem
Schwangerschaftsabbruch führen“, sagt der Un-
ternehmer. Entscheidend sei eine gute Beratung.
„Unsere Philosophie ist: Die Entscheidungsge-
walt muss bei den werdenden Eltern liegen.
Wenn sie sagen: Wir wollen das nicht, wir können
die Last nicht tragen – dann müssen sie sich auch
für einen Abbruch entscheiden dürfen.“
Corinna Rüffer sieht vor allem die Risiken des
Fortschritts. Die behindertenpolitische Spreche-
rin der Grünen ist Mitglied eines überfraktionel-
len Arbeitskreises, der sich mit Pränataltests aus-
einandersetzt. „Es war immer klar, dass dem Tri-
somie-Test noch viele weitere folgen würden“,
sagt Rüffer, die ein Kind mit Down-Syndrom hat.
„Die Entwicklung der Pränataldiagnostik bewegt
sich immer mehr in Richtung Eugenik und Selek-
tion.“ Sie ist nicht generell gegen Pränataldiag-
nostik. Diese sei segensreich, wenn es Therapie-
möglichkeiten gebe. Aber: „Es stellt sich auf im-
mer dramatischere Weise dar, dass in einer Ge-
sellschaft, die auf Normalität ausgerichtet ist,
vieles auf dem Rücken schwangerer Frauen aus-
getragen wird“, sagt Rüffer. „Sie haben dafür zu
sorgen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen
und Abweichungen zu vermeiden.“
Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine
Aschenberg-Dugnus findet es hingegen „sehr ver-
ständlich“, dass Mütter und Väter schon vor der
Geburt wissen möchten, ob ihr Kind gesund ist.
„Pränataltests, mit denen über die kindliche
DNA im mütterlichen Blut eine Mukoviszidose
und andere Genstörungen nachgewiesen werden,
können zu mehr Gewissheit führen“, sagt die Li-
berale. Ein generelles Screening auf Krankenkas-
senkosten lehnt sie ab, sagt aber: „Unbenommen
soll jede Mutter auf Selbstzahlerbasis entschei-
den, ob sie einen Test durchführen möchte.“
PROBLEM Für Alexander Scharf, den Präsiden-
ten des Verbandes niedergelassener Pränatalme-
diziner, ist genau diese Haltung ein Problem.
„NIPD ist immer ein Geschäft mit der Angst“,
sagt der Arzt. „Wir wollen in einer Art Vollkasko-
Mentalität alles testen, was möglich ist. Doch da-
bei denken wir zu wenig darüber nach, wie wir
mit dem Ergebnis eigentlich umgehen. Wie viel
Wissen verträgt eine Mutter?“ Je mehr Merkmale
man mit einem Bluttest abfrage und je seltener
eine Krankheit sei, desto häufiger komme es vor,
dass der Test fälschlich einen Gendefekt anzeige.
Scharf warnt: „Es steht zu befürchten, das viele
bei einem auffälligen Ergebnis innerhalb der
Zwölf-Wochen-Frist die Notbremse ziehen und
aus der Schwangerschaft aussteigen – auch wenn
es keine medizinische Notwendigkeit dafür gibt.“
Der Selbsthilfeverein Mukoviszidose e.V. for-
dert, dass nur Eltern mit erhöhtem Risiko für die
Krankheit Zugang zum Pränataltest bekommen
sollen. Dem vermeintlichen Zwang zur Diagnos-
tik müsse die Gesellschaft die Zusicherung ent-
gegensetzen, „dass auch Kinder mit Behinderung
willkommen sind“, sagt Vorstandschef Stephan
Kruip. „Aus Sicht vieler unserer Mitglieder kann
auch ein Leben mit Mukoviszidose ein erfülltes
Leben sein.“ Kruip selbst läuft Marathon.
osef Hecken hatte es immer gewusst.
Der Bluttest, der feststellen kann, ob
eine Schwangere ein Kind mit
Downsyndrom erwartet, werde nur der
Anfang sein. Bald würden weitere Gen-
tests folgen, deren Zulassung „fundamentale
ethische Grundfragen unserer Werteordnung“
berühren, warnte der Vorsitzende des Gemeinsa-
men Bundesausschusses vor drei Jahren.
VON SABINE MENKENS
Der Gesetzgeber sei deshalb gefordert, Gren-
zen der sogenannten nicht invasiven pränatalen
Diagnostik (NIPD) zu definieren, forderte der
frühere saarländische Gesundheitsminister. Der
Ausschuss, in dem Ärzte, Krankenhäuser und
Kassen lediglich über die Krankenkassenzulas-
sung von Tests zu befinden haben, sei das falsche
Gremium für eine so wuchtige Weichenstellung.
Diskutiert hat der Bundestag tatsächlich. Im ver-
gangenen April wurde gefragt, wohin es führt,
wenn der Fortschritt ermöglicht, dass Menschen
vor der Geburt aussortiert werden können. Es
war eine ernsthafte Debatte, doch zu einer Ge-
setzesinitiative hat sie bislang nicht geführt.
Inzwischen hat das höchste Gremium der
Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ent-
schieden, dass es den umstrittenen Bluttest auf
Trisomie 13,18 und 21 für Risikopatientinnen auf
Krankenschein geben soll. In diesen Tagen tritt
außerdem ein, was sein Vorsitzender vorausge-
sagt hat: Die Heidelberger Start-up-Firma Elut-
hia bringt am 17. Oktober den ersten Test auf den
deutschen Markt, mit dem über DNA-Schnipsel
des Ungeborenen im Blut der Mutter Anlagen für
Mukoviszidose, spinale Muskelatrophie (SMA)
und Hämoglobinopathien feststellbar werden.
TESTS Mukoviszidose kommt relativ häufig vor.
Einer von 25 Menschen ist Träger der Anlage.
Zum Ausbruch kommt die Erkrankung, wenn ein
Kind sowohl von der Mutter als auch vom Vater
fehlerhafte Gene bekommt. Das ist in Europa bei
einem von 3000 Neugeborenen der Fall. In
Deutschland leiden etwa 8000 Menschen an der
Krankheit. Bei ihnen ist der Schleim, der in Bron-
chien, Bauchspeicheldrüse und Darm gebildet
wird, nicht in der Lage, aus dem umliegenden Ge-
webe Wasser zu ziehen. Er wird zähflüssig, die
Organe können dann nicht richtig arbeiten. Frü-
her starben viele Patienten jung, nun liegt die Le-
benserwartung von Neugeborenen bei 50 Jahren.
Trotzdem ist die Krankheit gefürchtet.
Seit 2016 werden Babys nach der Geburt auf
Mukoviszidose getestet. „Wir haben uns deshalb
entschieden, mit unserer amerikanischen Part-
nerfirma BillionToOne einen Test anzubieten,
mit dem man Mutationen im Mukoviszidose-aus-
lösenden Gen CFTR auch schon pränatal erken-
nen kann“, erklärt Tarrin Khairi-Taraki, einer der
beiden Gründer der Firma Eluthia. Der Test, der
695 Euro kosten soll, kann ab der 11. Schwanger-
schaftswoche angewendet werden. Die Eltern
könnten das Wissen nutzen, um sich auf das Le-
ben mit der Krankheit vorzubereiten oder rasch
nach der Geburt Behandlung einzuleiten, falls es
Therapiemöglichkeiten gibt, wie Khairi-Taraki
sagt. Gegen SMA etwa, ein Muskelschwunds gebe
J
GETTY IMAGES
Schlechte Gene
Risikopatientinnen sollen Bluttests auf Erbkrankheiten bei Embryos künftig auf
Krankenschein bekommen. Kritiker sehen darin Schritte zur Negativauslese und Eugenik
8 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER