Süddeutsche Zeitung - 05.10.2019

(Ron) #1
von christine dössel

I


n der wohl schrecklichschönsten
Gruselszene des Films verblutet
eine Frau qualvoll in ihrem Bett, das
Schlafzimmer von brennenden Ker-
zen erleuchtet, unter der Bettdecke:
ein Schlangennest. Vor dem Haus lässt ein
ominöser Schwarzer im Ledermantel eine
Feder in den Nachthimmel steigen, und
siehe: Sogleich schneit es Federn auch im
Haus. Fauler Zauber? Aber ja!
Später, es ist spektakeltechnisch der Hö-
hepunkt des Films, vollzieht sich im Innen-
hof eines Forts ein nächtliches Voodoo-
Ritual. Feuerzauber, Getrommel, weißge-
schminkte Menschen beim ekstatischen
Tanz. Die Leiche einer jungen Frau wird
aufgebahrt, ein weißer Hahn geköpft. Ein
Voodoo-Priester – es ist der ominöse
Schwarze, den man schon kennt – rammt
der jungen Frau einen Dolch in den Leib.
Sie scheint wirklich tot zu sein, denn sie
zeigt keinerlei Reaktion. Allerdings fließt
auch kein Blut. Dann wird ihr ein Wunder-
mittel verabreicht, das sogenannte Mojo,
um das sich hier letztlich alles dreht, und
hui: Die Tote, sie heißt Sarah, erwacht zum
Leben. Zuvor war sie aus dem Kühlfach in
der Pathologie verschwunden, wo ihre
Mutter Ellen (Nina Kunzendorf) die Leiche
identifiziert hatte. Sarah, sagte man ihr,
sei durch einen Drogencocktail ums Leben
gekommen. Wenig später kam eine SMS:
ein Hilferuf von Sarah.
Starker Tobak,was der FilmTotenfieber


  • Nachricht aus Antwerpen, ein in Belgien
    gedrehter Voodoo-Thriller aus deutscher
    Hand, da alles auffährt (Produktion: Cle-
    mens Schaeffer, Gabriele Jung). Kann doch
    gar nicht wahr sein, oder? Der Regisseur
    Titus Selge lacht bei dieser Frage herzhaft
    auf. Es ist ein kehliges, kräftiges Kurzla-
    chen. Der 53-Jährige mit dem Hang zum Re-
    defluss trägt einen gepflegten Bart und bei
    unserem Gespräch in einem Berliner Café
    das Herz auf der Zunge. Mit der Glaubwür-
    digkeitsfrage sieht er sich bei seinem Mys-
    tery-Film, der an diesem Sonntag, 21.45
    Uhr, im Ersten läuft, öfters konfrontiert.
    Und er dachte beim Lesen ja auch: „Was für
    ein crazy Drehbuch, total abgefahren.“


Die Urfassung, die sehr viel länger, bun-
ter und verrückter sei („den Rahmen eines
Fernsehformats sprengend“), stammt von
Volker Führer. Selges Aufgabe war es, den
Stoff im Auftrag der ARD Degeto für das
Erste zu adaptieren und in die „Dramatur-
gie eines Neunzigminüters einzupassen“.
Mit allen „Zwängen“, die das im deutschen
Fernsehen so mit sich bringt. Und auch mit
den „handwerklichen Vorgaben“ des Gen-
res: „Das ist ein Voodoo-Thriller, kein Psy-
chodrama. Da geht es gar nicht so sehr dar-
um, ob die Geschichte wasserdicht und
glaubwürdig ist. Es ist ein Spiel mit den Ver-
satzstücken des Genres.“ Heißt: Tieropfer,
Menschenopfer, Fetische, Zombies – alles
drin. Spezialeffekte, Zitate, Verweise auf
einschlägige Voodoo-, Mystery- und Hor-
rorfilme.Angel Heart,Es, The Believers,
Stranger Things,Dark– das ist die Refe-
renzebene. Alles gefilmt in eleganten, cine-
astisch üppigen Bildern, in kühler, nacht-
blau-erdbrauner Ästhetik, die heraussticht
aus dem deutschen Krimi-Allerlei (Kame-
ra: Stephan Wagner). Selbst der Bademan-
tel des Oberbösewichts Jay Jay (Kristof
Koenen) passt sich farbtonmäßig an.
Gute Unterhaltung und ein bisschen gru-
selig soll es sein, mal etwas anderes im Fern-
sehkrimieinheitsbrei. Hokuspokus? Und
wenn schon. Im Voodoo-Genre spiele
grundsätzlich auch die Freude mit, „sich ei-
nen Bären aufbinden zu lassen“, sagt Selge,
dem der Dreh ganz offensichtlich einen Hei-
denspaß gemacht hat. „Das Einzige, was
wir nicht durften: Schlangen aus dem Ge-
sicht rauskommen lassen.“ Folgt sein kehli-
ger Kurzlacher. Wenn man ihm vorhält, der
Film bediene doch auch viele Klischees
und laufe Gefahr, die schwarzmagischen
Afrikaner zu dämonisieren, kontert er
selbstbewusst mit den Erfordernissen des
Genres. „Hey, it’s Voodoo! Wenn man zum

Italiener geht, sagt man auch nicht, die Spa-
ghetti sind ein Klischee. Sondern die sind
fester Bestandteil der italienischen Küche.“
Ungewöhnlich ist der Film auch inso-
fern, als er in der belgischen Hafenstadt
Antwerpen spielt, die mit ihrem morbiden
Charme in nachtdunklen Bildern bestens
zur Geltung kommt. Außer der großartigen
Nina Kunzendorf (einst Conny Mey im
Frankfurt-Tatort) als auswärtige Protago-
nistin, die nach ihrer vermeintlich toten
Tochter forscht, gibt es einen fast aus-
nahmslos belgischen Cast. Das ist die
Bedingung, wenn man eine sogenannte
Tax-Shelter-Co-Finanzierung in Anspruch
nimmt, eine steuerliche Förderung. Da gibt
es Geld aus Belgien, wenn man in Belgien
mit Belgiern dreht. Eine Win-win-Situati-
on, auch für die deutschen Zuschauer, die
mal andere Gesichter sehen als die ewig
gleichen Kriminasen. Etwa Steve Driesen
in der Rolle des befremdlichen Kommis-
sars Wouters. Der ist nicht nur äußerlich
verlottert und seelisch ein Wrack, sondern
überdies ein fiebriger Junkie, der sich Sprit-
zen setzt. Schaut aus wie Heroin, Selge
sagt, es könne auch Morphium sein.
Wenn es um die Zwänge beim Fernse-
hen geht, kann der freundliche Titus Selge
sich in Rage reden. Er kennt sie, die Regula-
rien des „kontrollierten Systems“, leidet
darunter und ist ihnen auch immer wieder
zum Opfer gefallen – nämlich indem er, der
„einen künstlerischen Anspruch“ an die
Fernseharbeit hat, zwischendurch schlicht
keine Angebote bekam. Sein Lebenslauf
weist Pausen auf. Auch weil er ein Familien-
mensch ist und mit seiner Frau, der öster-

reichischen Regisseurin, Drehbuchautorin
und Produzentin Barbara Albert, strikt „fif-
ty-fifty“ macht, was Arbeitszeit, Geld und
Erziehungsarbeit anbelangt. Die beiden ha-
ben einen zwölfjährigen Sohn.
Selbst nach seiner intellektuell-experi-
mentellen Verfilmung von Michel Houelle-
becqs dystopischem BestsellerUnterwer-
fung, die letztes Jahr, eingepackt in einen

ARD-Themenabend, zur besten Sendezeit
ausgestrahlt wurde, kam nichts. Null. Kein
einziger Auftrag. „Weil Fernsehen so nicht
sein darf.“ Das Verdikt lautete: „zu an-
spruchsvoll“. Das vertreibe die Zuschauer.
Anspruchsvoll warUnterwerfungalle-
mal, auch gesellschaftspolitisch brisant,
geht es darin doch um die mögliche Islami-
sierung Frankreichs, ja, ganz Europas. Bei
einem Kinofilm wären die zwei Millionen

Zuschauer, die das Experiment hatte, ein
satter Erfolg gewesen. Die Quotenrechner
beim Fernsehen geben sich nicht unter
fünf zufrieden. Zwei Jahre Arbeit hat Selge
in das Projekt investiert, „on spec“, wie er
sagt, „on speculation“, also ohne festen Auf-
trag. Schauen, was geht. Allein die Rechte
an dem Roman für fünf Jahre Fernsehaus-
strahlung zu bekommen, war ein „irrsinni-
ger Verhandlungsmarathon“.
Titus Selge ist der Neffe des (auch im
Fernsehen wohl bekannten) Edgar Selge,
der am Deutschen Schauspielhaus Ham-
burg in einer gefeierten Inszenierung Hou-
ellebecqsUnterwerfungals Solo spielt. Die-
ses furiose Bühnen-Solo bildet die Basis
der Verfilmung. Titus Selge zieht geschickt
weitere Ebenen ein, zeigt mit seinem Onkel
in der Hauptrolle zentrale Szenen des
Romans am Originalschauplatz Paris. Ein
spannendes, metafiktionales Unterfangen,
kinoreif gefilmt. Man hätte gedacht, dass
danach die Angebote nur so prasseln. Im-
merhin hat Netflix den Film gekauft.
Trotz aller Zwänge, Zwangspausen und,
ja, „Verletzungen“ hat Titus Selge seine Lei-
denschaft für den Beruf nicht verloren, das
merkt man ihm an. Es sprudelt nur so aus
ihm heraus. „Ich erzähle einfach gern“, sagt
er. „Ich hab als kleines Kind schon die Leu-
te unterhalten. Und ich bringe sie gerne
zum Lachen.“ Geboren 1966 in Münster,
wuchs Titus Selge in der Nähe von Stutt-
gart auf. Bildungsbürgerliche, frankophile
Familie. Der Vater, ein Literaturwissen-
schaftler, ist der zehn Jahre ältere Bruder
von Edgar Selge. Ein Büchner-Spezialist,
sehr theateraffin. Schon als Kind wurde

Sohn Titus ins Stuttgarter Schauspiel mit-
genommen. Dort fing er dann nach dem
Abitur auch als Assistent an, später ging er
ans Theater Basel, wo Frank Baumbauer In-
tendant war. Sieben eigene Theaterinsze-
nierung hat Titus Selge gemacht, um mit
28 zu erkennen, dass das nicht sein Weg ist.
Er schlug einen neuen ein, studierte
Film in Ludwigsburg, von Anfang an mit
dem Wunsch, seine eigenen Drehbücher zu
schreiben. Das ging nicht immer, er musste
Geld verdienen. Selge drehte Einspieler für
Harald Schmidt, mehrere Folgen für die Se-
rienDas AmtundBerlin Berlin,Tatorte,
auch Komödien (Ein Reihenhaus steht sel-
ten allein). Immerhin: Für die vier Folgen
Polizeiruf 110mit Jan-Gregor Kremp als Er-
mittler hat Titus Selge die Bücher selbst ge-
schrieben, skurrile Geschichten, „wo wir
uns viel Quatsch erlaubten“. Selge grinst
schelmisch, wenn er von den irren Plots er-
zählt. Bei der FolgeDie Lettin und ihr Lover
sei die Quote unterirdisch gewesen, worauf-
hin er den nächsten und letzten Fall „unter
Aufsicht“ schreiben musste.
Bis heute hat Selge den Anspruch eines
Autorenfilmers. Den versucht er als Nächs-
tes in seinem ersten Kinofilm auszuleben,
gemeinsam mit seiner Frau. So hat der offe-
ne, neugierige, qualitätsbewusste Titus
Selge mit 53 ein neues Thema: „Schaffe ich
es, mir die Freiheit zu erarbeiten, wirklich
zu erzählen, was ich möchte?“ Dass er das
Handwerkszeug dazu hat, steht außer Fra-
ge. Und dass er sich selbst oft kritisch hin-
terfragt – auch seinenTotenfieber-Film –,
spricht für ihn. Auch hierin ist er eine Aus-
nahmeerscheinung.

Eine weitere Serie über einen Flugzeugab-
sturz. Da ist man natürlich zunächst hin-
und hergerissen. Zwischen der Urangst
des fliegenden Menschen auf der einen Sei-
te: der Angst vor Höhe, vor dem Abstürzen,
vor Kontrollverlust und der engen, sticki-
gen Kabine, die sich wie alle Ängste unse-
rer modernen Welt bestens als Stoffe für
neue Geschichten anbieten. Und dem
leicht gelangweilten Zynismus des Serien
guckenden Menschen auf der anderen Sei-
te: Warum verschwinden in Serien eigent-
lich so absurd viele Passagiermaschinen
unter mysteriösen Umständen?
Genau das passiert auch in „Departure“,
der neuen kanadisch-britischen Miniserie
von Vincent Shiao. Ein Flugzeug hebt am
JFK Airport ab, Transatlantikflug 716 nach
London, 256 Menschen an Bord. Der Zu-
schauer begleitet Madelyn, eine Passagie-
rin, die kurz vor dem Start noch mit ihrem
Verlobten telefoniert und später als einzi-
ge Überlebende in einem Rettungsfloß ge-
funden werden wird. Denn mitten über
dem Nordatlantik ist Flug 716 vom Radar
verschwunden. Untersucht werden soll
der Fall von der seit Kurzem verwitweten
Luftfahrtexpertin Kendra Malley, gespielt
von Archie Panjabi. Unter dem Druck der
Öffentlichkeit und den Argusaugen ihres
Chefs und Mentors Howard Lawson (Chris-
topher Plummer) beginnt die Suche nach
der Ursache des Absturzes.
Kundige Serienzuschauer werden sich

an dieser Stelle zwangläufig anLostoder
Manifesterinnert fühlen: beides Serien,
bei denen das Verschwinden eines Flug-
zeugs als Ausgangspunkt für Mystery-
Plots diente. AberDeparturefunktioniert
anders: Erzählt wird die Geschichte von
Flug 716 als klassischer Krimi.
Die zahlreichen Motive und Spuren wei-
sen bald in viele Richtungen: War es techni-
sches Versagen, die Schuld eines suizida-

len Piloten, Börsenkalkül, ein Terroran-
schlag? Zwar wirken die Dialoge immer
mal wieder künstlich überspannt, als wol-
le man der Nüchternheit des Fachjargons
ein wenig mehr Glanz verleihen, im Grun-
de istDepartureaber eine Serie über ein Er-
mittlerteam auf der Suche nach Fakten: In
sechs Episoden wühlen sich Kendra Mal-
ley und ihre Luftfahrtexperten durch Über-
wachungsvideos, Anruflisten und Satelli-

tendaten. Zwischenzeitlich wird es sogar
so nerdig, dass bei der Berechnung des
möglichen Absturzortes der relative Dopp-
ler-Effekt angewendet wird.
Als Grundanordnung fürs Unterhal-
tungsfernsehen ist die unerwartet fakten-
basierte Arbeit der Ermittler eigentlich
spannend. DassDeparturediese Stärke
aber nie so recht ausspielen kann, liegt
sicherlich vor allem an dem allzu oberfläch-
lichen Umgang mit den Charakteren:
Oscargewinner Christopher Plummer be-
kommt so wenig Screentime, dass seine
Rolle zwischen Karrierist und Vaterfigur
unscharf bleibt. Die Bedeutsamkeit von Ne-
benfiguren wie dem Verlobten der einzi-
gen Überlebenden oder Malleys Stiefsohn
sind hölzern und viel zu vorhersehbar ins
Drehbuch eingearbeitet.
Und auch Archie Panjabi, die in „The
Good Wife“ als Julianna Margulies’ so ma-
nipulativer wie homoerotisch aufgelade-
ner Sidekick glänzte, bleibt als smarte Ex-
pertin seltsam eindimensional: Vor allem
weil die Serie ihren Schmerz über den Un-
falltod ihres Mannes immer nur anteasert,
um sich dann schnell wieder aufs Flugzeug-
unglück zu konzentrieren. Das ist gut für
die fiktiven Ermittlungen. Aber schlecht
für die Psychologie einer Serie – zumal
einer, die etwas über Ängste erzählen will.
annett scheffel

Departure, auf Universal TV.

DieApotheken-Umschauwolle „neue Ziel-
gruppen gewinnen“, heißt es in einer
Mitteilung, die neue Rubrik namens
„Männersache“ wende sich an Männer,
„die bisher zu wenig mit ihren spezifi-
schen Gesundheitsthemen abgeholt wer-
den“. Das Layout überzeugt schon mal:
Unter dem Titel „Müde Spermien“ setzt
sich die Doppelseite mit der männlichen
Fruchtbarkeit auseinander. Mit dabei
sind fröhliche Comic-Spermien, die
„Upps!“ und „Hurra!“ rufen.
Wie nett, dass sich dieAU, wie sie von In-
sidern liebevoll genannt wird (und was
ausgezeichnet passt, weil es natürlich oft
um Schmerzen geht), dass sich das Maga-
zin des Geschlechts annimmt, das laut Stu-
dien von Krankenkassen und Forschungs-
instituten seltener den Arzt oder die Ärz-
tin aufsucht. Ja, das ist löblich, denn auch
Männer haben einen Körper, der kaputtge-
hen kann. Ein Mann ist nicht weniger ein
Mann, wenn er sich um seine Gesundheit
kümmert. So weit, so empowernd.
Ein bisschen weniger löblich oder zu-
mindest hinterfragenswert scheint es,
dass hier Männer als Zu-Kurz-Gekomme-
ne in Sachen Gesundheit bemitleidet wer-
den. Denn wendet man den Blick weg von
den Magazin-Covern mit halbnackten
Frauen (Depression! Rückenleiden!) hin
zur medizinischen Forschung und Praxis,
ist der Männerkörper auf einmal nicht
mehr benachteiligt, sondern vielmehr das
Maß aller Dinge. Lange arbeiteten Arz-
neimittelstudien vorwiegend mit männli-
chen Probanden. Seit gerade einmal
15 Jahren ist es in Deutschland gesetzlich
empfohlen, Medikamente, die an Männer
und Frauen verschrieben werden, auch an
Frauen zu testen und entsprechend auszu-
werten. Dabei reagieren Frauenkörper oft
ganz anders. Medikamente, die bei Män-
nern gegen Herzleiden helfen, können bei
Frauen verheerende Nebenwirkungen
haben, tödliche sogar.
Dass dieApotheken-Umschauauf die
Geschlechterunterschiede beim Thema
Gesundheit hinweisen will, ist also ganz
und gar wunderbar. Aber dann bitte in
Zukunft auch auf einer Doppelseite mit
dem Namen „Frauensache“, liebeAU!
kathrin müller-lancé


Axel Springer verabschiedet sich endgül-
tig von seinem MagazinprojektBild Poli-
tik. Das bestätigte der Berliner Verlag.
Die letzte Ausgabe des Magazins (Unterti-
tel: „Die wichtigsten Fragen der Woche“)
war am 5. Juli am Kiosk erschienen. Da-
nach war die Testphase für abgeschlos-
sen erklärt worden. Die erste Ausgabe
kam am 8. Februar. Über das weitere
Schicksal des von Selma Stern und dem
stellvertretenden Bild-Chefredakteur
Nikolaus Blome geführten Blattes war da-
nach nichts mehr verlautet. Der Verlag
will „das Print-Konzept“ im Zuge der ge-
planten Neuausrichtung und Struktur-
maßnahmen nicht weiterverfolgen.
In einer Erklärung von Springer hieß
es weiter: „Die Ergebnisse aus der Markt-
forschung bescheinigten uns zwar, dass
die Leserinnen und Leser vor allem die in-
novative, prägnante und verständliche
Themendarbietung sowie die Konzentra-
tion auf das Wesentliche schätzen. Aber
im Zuge unserer klaren Strategie, uns zu
fokussieren und vor allem in wachsendes
Digitalgeschäft zu investieren, passt das
nun nicht mehr.“ Die wöchentlich erschei-
nendeBild politikwar nur an Verkaufs-
stellen in Hamburg sowie Lüneburg und
Lübeck angeboten worden. Bei Springer
heißt es,Bild Politiksei komplett aus der
Politik-Redaktion derBildheraus fertig-
gestellt worden. Deshalb könne man kei-
ne Angaben machen, inwiefern Mitarbei-
ter betroffen seien. hy

Keine Angst vor Experimenten:
Regisseur Titus Selge.
FOTO: ARD DEGETO/NFP/SOFIE SILBERMANN

DieserPolizeirufumkreist das Thema
Zweisamkeit, nichts steht für sich allein,
alles ergibt sich aus den Verhältnissen
der Menschen zueinander. Eine Frau ver-
rät ihren Mann. Eine Tochter verdächtigt
ihren Vater, dann schämt sie sich für den
Verdacht, dann keimt er neu. Der Kom-
missar hat das Vertrauen in seine Kolle-
gin schon in einem früheren Fall verlo-
ren, nun belebt er es, und im Tiefenrau-
schen wächst die Loyalität zu echter Nä-
he. Zwei Opfer gibt es in diesem Fall, zwei
Ermittler, sogar zwei Mordserien, eine
alte, eine ganz frische. Man wird daran
erinnert, dass das gleiche Auto nicht das-
selbe Auto ist, und hier ist das nicht nur
eine Erkenntnis für die Freunde gramma-
tikalischer Grundkenntnisse. Dunkler
Zwillingheißt diese Episode, und ganz ne-
benbei wird schließlich erzählt, dass die
Zweisamkeit von Zwillingen einzigartig
ist, dass sie aber auch verhängnisvoll sein
kann. Wenn ein Zwilling bei der Geburt
stirbt, muss der andere Zwilling damit
umgehen können.
Zwei junge Frauen werden ermordet
und geradezu übertötet, die Schuhe stellt
der Täter jedes Mal ordentlich neben der
Leiche ab, wenigstens im Verhältnis der
Schuhe herrscht also Harmonie, sonst
nicht. Weil es zwei Verdächtige gibt – und
zwei Personen, die den Verdächtigen na-
hestehen – ergibt sich eine Spannung,
die bis zum Ende trägt. Die Zuschauer wis-
sen mehr als die Kommissare, sie erken-
nen Hinweise, die den Ermittlern entge-
hen, aber nichts ist eindeutig, alles könn-
te sich noch drehen.
Damir Lukačević (Regie und Buch) hat
einen Whodunit komponiert, der als Kri-
minalstück funktioniert, die Philosophie
über die Zweisamkeit schwebt als berei-
chernde leading idea über der Handlung.
Ein ganz anderer Film als die manchmal
auch anstrengenden Experimental-Tat-
orte, stattdessen eine eher klassisch ange-
legte Geschichte, bei der vieles stimmt.
Der Plot, das Personal (Angela Winkler/Si-
mon Schwarz/Emilia Nöth). Und den Er-
mittlern Katrin König (Anneke Kim Sar-
nau) und Alexander Bukow (Charly Hüb-
ner) hat Lukačević allerbeste Dialogstel-
len hingeschrieben, mit zwei Zutaten na-
türlich, Lakonie und Liebe. Sagt sie: „Du
riechst so gut.“ Sagt er: „Schnaps und
Schweiß.“ Ach, schön. holger gertz


Polizeiruf 110: Dunkler Zwilling, Das Erste, Sonn-
tag, 20.15 Uhr.


Die Fakten und die Toten


„Departure“schlägteinen neuen Weg ein: Die Serie versucht, einen Absturz kriminologisch zu klären


Mensch, Mann!


Die neue „Apotheken-Umschau“


Endgültiges Aus


„Bild Politik“ wird nicht fortgesetzt


Zwilling geteilt


durchzwei


„Polizeiruf“: Ein klassischer Krimi


überzeugt mit Lakonie und Liebe


Selge kennt und benennt
die Zwänge beim Fernsehen.
Oft musste er pausieren

44 MEDIEN HF3 Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019, Nr. 230DEFGH


Der Quotenkiller


Titus Selge hat in Belgien einen Voodoo-Thriller gedreht, mit dem er das deutsche


Fernsehkrimi-Einerlei aufmischt. Eine Begegnung mit dem Regieaußenseiter in Berlin


Auch die Liebe ist eine Art schwarze Magie: Ellen Bouché (Nina Kunzendorf) und Kommissar Wouters (Steve Driesen) kommen sich nahe. FOTO: ARD DEGETO/SOFIE SILBERMANN

Wohin führt der Weg von Flug 716 inDeparture? FOTO: UNIVERSAL TV

Ermittlerduo: König (Anneke Kim Sarnau)
und Bukow (Charly Hübner). FOTO: NDR


ABSPANN

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