Berliner Zeitung - 05.10.2019

(Marcin) #1
GruppenkursinKarlshorst:Vornedie Autorin, auf dem Stuhl sitzend dieFeldenkrais-Pädagogin UlrikeMüller-Thal. THOMAS UHLEMANN

D


erDuftvonZitronengras
erfüllt denRaum, eine
KerzeverbreitetdenGe-
ruch. Im Halbdunkel
liege ich mit vier anderenFrauen
undzweiMännernrücklingsamBo-
den,unterunsMattenundDecken,
den Kopf im Nacken leicht abge-
stützt.AmRandsitzteineFrauaufei-
nem Stuhl, sie heißtUlrike Müller-
ThalundistFeldenkrais-Pädagogin.
Langsam undruhig gibt sie Anwei-
sungen.EssindkeinegroßenBewe-
gungen,diesieunsandiesemMon-
tagabend abverlangt, keine kompli-
zierten Verrenkungen.
Stünde draußenvordem Karls-
horsterKiezladeneinBeobachter,der
dasGeschehenindemErdgeschoss-
Raumverfolgt,erwürdesichvermut-
lich wundernund fragen, welches
Ziel die Übungen haben.Undviel-
leicht auch, was er da sieht.Felden-
kraisist weitwenigerbekanntalsYoga
undQi Gong,besondersimOsten.


KeinHöher,Weiter,Schön er

DerBeobachter sähe–gäbe es die
Vorhängenicht–beispielsweise,wie
sichdieLiegendenalleaufeineSeite
drehen und die Knie fast wie in der
Embryohaltung in RichtungBauch
hochziehen. Sieben linke Hände
wandernand ie Stirn, siebenEllen-
bogen zeigen zur Zimmerdecke,
dann beginnen alle,ihren Kopf hin
undherzudrehen.Beieineranderen
Übung bewegt sich–aus derselben
seitlich liegendenPosition heraus –
das oben liegende Knie Richtung
Zimmerdecke,wobeidieFüßeaufei-
nanderbleiben.Jeder macht das in
seinemTempo,sos olldasauchsein.
Esgehtalsonichtdarum,dieBewe-
gung synchron zu machen, mög-


lichst viele Wiederholungen zu
schaffen oder sie möglichst„schön“
zumachen.
DaswirdmirbeieinerÜbungbe-
wusst,inderwirmitunseremeinen
BeineinenHalbkreisaufdenBoden
zeichnen sollen.Unwillkürlich stre-
cke ich dieFußspitzen durch.Dann
sagtUlrikeMüller-ThalindenRaum
hinein, dass die Füsse locker sein
dürfen,undichfühlemicherwischt.
Ichsei in die „Selbstbild“-Falle ge-
tappt,wirdmirdie Feldenkrais-Päd-
agogin nach derProbestunde erklä-
ren.JederhabeeinebestimmteVor-
stellung, wie er wirken möchte und
wieeineBewe gungauszusehenhat.
Undexaktsobewegtmansichdann
immerundimmerwieder.
„Es geht beiFeldenkrais um das
Spüren, es gibt kein richtig oder
falsch“,sagtUlrikeMüller-Thal.Ziel
sei es ,das Repertoir eanB ewegun-
gen, die sich derMensch im Laufe
seines Leben angewöhnt hat, zu er-
weitern, Alternativen zu entdecken
und so beispielsweiseAbhilfe bei
schmerzenden Gelenken zu finden.
„Dabeigehenwirnichtvonunseren
Defizitenaus,sondernvonunserem
Vermögen“, sagt die Feldenkrais-
Lehrerin.Aberesgehenichtnurum
die Physis: „Wer neue Körperbewe-
gungen lernt, lernt neuesDenken –
und umgekehrt“–soh at es Moshé
Feldenkrais formuliert, derErfinder
derMethode.
Klingt etwas esoterisch? Dabei
warMoshéFeldenkrais–1904inder
heutigen Ukraine geboren, 1918
nach Palästina ausgewandert–ein
handfesterMann: Seit Jugendtagen
Jiu-Jitsu-Kämpfer unterrichtete er
die Selbstverteidigungsmethode
langeJahre,spätergründeteerinPa-

LEHRER&LEKTIONEN

Global:In der International
FeldenkraisFederation sind
mehr als 70 00 Lehreraus
21 Ländernorganisiert. Dem
FeldenkraisVerband
Deutschland(FVD), der sich
als Berufsverbandversteht,
gehörenmehr als 1700 soge-
nanntePractitioner an. Mehr
Infos: http://www.feldenkrais.de

Lokal:Aufder Internetseite
des FVD findet man für Berlin
rund 50 Anbieter der Felden-
krais-Methode.Fast 80
AdressenvonLehrinnen und
Lehrerninder Hauptstadt
und ihrem Umland listet die
Website desVereins Felden-
krais Berlin auf: http://www.felden-
kraisberlin-info.de

Sublokal:In Karlshorst bie-
tet UlrikeMüller-Thal in ihrer
Praxis in derWildensteiner
Straße Einzelstunden
(65 Euro) an sowie u.a. im
KiezladenPotpourri (Egin-
hardstraße 9) Gruppenlek-
tionen (Probestunde 10
Euro, sechs Lektionen 59
Euro). http://www.mueller-thal.de

risdenerstenJudo-ClubFrankreichs
undbekamalseinerdererstenEuro-
päer 1936 den „SchwarzenGürtel“.
NachFrankreichwarFeldenkraisge-
kommen, um hier zu studieren –
Elektrotechnik,MechanikundInge-
nieurwissenschaften.Später arbei-
tete er alsNukleartechniker undIn-
genieur.
Eine alte ,schmerzhafte Kniever-
letzung,dieernichtoperie-
renlassen wollte,veran-
lassteihn,sichabden40er-
Jahren intensiv mitBewe-
gungabläufen und
Physiognomie zu beschäf-
tigen. So entstand seine
Lehre, der sich Feldenkrais
ab1952ausschließlichwid-
mete.EineMethode,ind er
er „seineErkenntni sseaus
Physik,Mechanik,ElektronikundBe-
wegung“ verknüpfte.Sos chreibt es
der Feldenkrais Verband Deutsch-
land, in dem dem aktuell mehr als
1700Lehrerorganisiertsind.
In den 80er-Jahren kamUlrike
Müller- Thal erstmals mit dieserBe-
wegungslehreinKontakt. Nach der
Ausbildung zur Gymnasti klehrerin
und zur Physiotherapeutin folgte
2003 eine zurFeldenkrais-Pädago-
gin, die sie 2007 abschloss.Seither
gibt sieEinzel- undGruppenstun-
den. Es sindErwachsene jeden Al-
ters,diezuihrkommen.„Schmerzen
oder Bewe gungseinschränkungen
sind ein häufigerGrund“, sagt die
59-Jährige.Der Schmerzpunkt
stünde aber nicht imZentrum der
Lektionen. „Mit Hilfe der Felden-
krais-Körperarbeit ist es möglich,
unbewussteBewe gungsgewohnhei-
ten zu erkennen, vielfältige,gesün-
dere Wahlmöglichkeitenzuf inden

unddenGebrauchdesKörperswie-
der zu verbessern“, schreibt die
Deutsche Schmerzgesellschaft.Die
Veränderungengeschähenzunächst
im Gehirn, das dieMotorikanders
gesteuert. „Verkürzte und ver-
spannteMuskelnwerdenlängerund
weicher,ungenutzteMuskeln wer-
denwiederaktiv.“
EineFrau,dieinderProbestunde
einpaarMattennebenmir
liegt, hat die wohltuende
Wirkung vonFeldenkrais
am eigenen Leib erfahren:
Sieleide se it einemBand-
scheibenvorfall an Rü-
ckenschmerzen, erzählt
die 40-jährigeNadine.Die
Mischung aus Bewe gung
und Pausen bei Felden-
krais tue ihr gut und lin-
deredieBeschwerden,sagtsie.„An-
genehmeralsYoga.“
Anders als beimYoga gibt es im
Feldenkrais kein Idealb ild einer
Übung, das erreichtwerden muss.
Undesg ibtauchkeinen,derDiagno-
sen stellt, die dann nur noch zu be-
folgensind.„Daswärefürvieleleich-
ter“, sagtUlrike Müll er-Thal. Doch
Feldenkrais bedeute vielmehr,in
sich hineinzuspüren, woVerände-
rungmöglichundsinnvollist.
Aber si eunterstützt ihreSchüle-
rinnen und Schüler dabei.In der
Gruppen-Probestunde erhebt sie
sich mituntervonihrem Stuhl und
gehtzudenÜbenden,ummitihren
warmen Händen die ungewohnte
Bewe gung zu begleiten.Erstaunlich
rasch sind die 60Minuten um.Ein
beunruhigender Gedanke befällt
mich: Binich möglicherweise zwi-
schendurch eingeschlafen? Denn
BLZ/HECHER entspannendistFeldenkraisauch.

Eine Feldenkrais-Bewegungsfolge


Langsam,ruhig,konzentriert


Alexander-Technik


A


uch bei der Alexander-Technik
geht es um dasErkennen und
Ändernvon Gewohnheiten. Ihr
NamegehtzurückaufihrenErfinder
Frederick Matthias Alexander
(1869–1955).DemSchauspielerver-
sagtebeimRezitierenoftdieStimme.
Er erkannte durch ausdauernde
Selbstbeobachtung, dassVerspan-
nungenanseinenProblemenschuld
waren. Daraus entwickelte er seine
Methode.„DasErlernenderAlexan-
der-Technik ermöglicht es uns,uns
freier und inBalance zu bewegen,
konstruktiv mitStress umzugehen,
natürlicherzuatmen,klarerzuden-
ken“,schreibtderAlexandertechnik-
Verband.InBerlingibtesdiverseAn-
bieter,etwa die Alexandertechnik-
Schule am Paul-Lincke-Ufer in
Kreuzberg.MehrInfosim Internet:
http://www.alexander-technik-schule.de

D


ie Amerikaner Lenny Maietta
und Frank Hatch entwickelten
das Konzept fürKinästhetik in den
70er-Jahren.DasKunstwortist eine
Kombination aus zwei altgriechi-
schenWörtern:„kineo“ für sich be-
wegenund„aisthesis“fürWahrneh-
mung. Unter Kinästhesieversteht
man die Fähigkeit, dieBewe gungen
der Körperteile unbewusst zu kon-
trollieren und zu steuern. In den
80er-JahrenwurdendieerstenKurse
indieserTechnikangeboten.Siesoll
beispielsweise kranken Menschen
helfen können, ihreSelbstwahrneh-
mungzufördernunddie Ressourcen
zuerkennen.AuchPflegekräftewer-
den heutzutage inKinästhetik aus-
gebildet, um sichvorkörperlicher
Überbelastungzuschützen.
Mehr Infos auf derInternetseite
http://www.kinaesthetics-deutschland.de

Kinästhetik


B


ody-MindCentering (BMC) ist
einebesondersbeiTänzerinnen
und Tänzernbeliebte Methode zur
Erforschung des Körpers inBewe-
gung,BerührungundAusdruck. Die
Technik geht zurück auf dieErfah-
rungen, die die amerikanischeBe-
wegungsforscherin Bonnie Bain-
bridge CohenbeiihrerArbeitalsEr-
gotherapeutin mit schwerbehinder-
ten Kindernmachte.Sie kam dabei
zuderÜberzeugung,dasssichgeis-
tige und emotionaleZustände im
ganzenKörperundinseinenBewe-
gungenausdrücken.
In der Kreuzberger Tanzfabrik
gibt es zweimal wöchtlich BMC-
Stunden sowieEnde November ei-
nen Einführungskurs.Die Somati-
scheAkademieamPaul-Lincke-Ufer
bieteteineFortbildungan.MehrIn-
foswww.somatische-akademie.de

Body-Mind Centering


WWW.ALEXANDER-TECHNIK.ORG IMAGO STOCK&PEOPLE BODYMINDCENTERING.ORG

Berlin bewegt sich


22 Berliner Zeitung·Nummer 231·5./6. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


VonSusanne Rost

AusSchmerz


geboren


Alternativenzudengewohnten,mitunter


krankmachendenBewegungenzufinden–


darumgehtesbeiFeldenkrais


MosheFeldenkrais
(1904–1984)

HANS

E. CZETCZOK
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