5./6. OKTOBER 2019 7
A
ufdemBalkonmitdemschmiede-
eisernenGeländerblühtherrlich
derOleander,derauchbeiden
SpatzenderNachbarschaftbeliebt
ist.UrsulaWielandhatMariendistelteege-
kocht.DassilberneTablettihrerGroßeltern
mitfeinemGebäckundWeintraubenstellt
sievorsichtigaufdieStapel,diesichaufdem
Tisch im Salon angesammelt haben:Bild-
bände,Kunstbücher,Kataloge.
Überall liegenBilder undEntwürfe .Ab
dem 2. November wirdvon ihr inStuttgart
einzweiMetergroßesTriptychondeseinsti-
gen Pariser ErzbischofsJean-MarieLustiger
und den ihmNahestehenden allerReligio-
nen ge zeigt –imR ahmen derSammelaus-
stellung „fremd-vertraut“ des Künstlerson-
derbundes,einem Zusammenschlussvon
Kreativen,diesichdemgegenständlich-figu-
rativen Realismusverpflichtetfühlen.
Ursula Wieland gehörtdazuden Stars,
auchwennsiedasnievonsichsagenwürde.
SieistPorträtmalerin,undwerihren Ranger-
messenwill,musssichnurvorAugenführen,
dassschonJohannesPaulII.,einleibhaftiger
Papst,fürsieModellgesessenhat.ImLondo-
nerMuseumoftheOrderofStJohnflankieren
ihreBilder vonLordGreyofNaunton,dem
letztenGovernorofNorthernIreland,unddes
6.Earl Cathcart,britischerStadtkommandant
inBerlin,das Porträtder Queen.
Manwürde zu gerne in ihrAdressbuch
schauen,wennsieinihrerCharlottenburger
Altbauwohnung ihreKorrespondenz erle-
digt.SietutdiesmitihremLaptopderneues-
ten Generation an einemSekretär aus dem
17.Jahrhundert,derdie200bis300Jahrealte
Familienbibliothekbeherbergt:Lessing,Jean
Paul, Ovid undVoltaire. Dazwischen die ge-
sammeltenWerkeihres Lieblingsschriftstel-
lersThomasMann,dendiediplomierteDol-
metscheringeradeaufDeutschundFranzö-
sischliest.
Im Radio erklingt leise klassischeMusik.
ZumMalenhör tUrsulaWielandamliebsten
Brahms.Wenn sie Zeit hat, setzt sie sich an
denFlügelundspieltBachoderSchumann.
Zu ihrer Jugendzeit–wann genau das war,
behält sie lieber für sich–gab es noch viele
Vorurt eileüberKünstler.DieGroßmutterriet
ihr deshalb: „Sag niemandem, dass du
malst!“ DemVater zuliebe studierte die ge-
bürtige HeidelbergerinzunächstPharmazie,
balddaraufSprachen.VomMalenkonntesie
dennochnichtlassen.
SCHON FRÜH WAR SIE FASZINIERTvonder
Mimik derMenschen–besonders dann,
wennsieeineschlechteNachrichterhielten.
Als Kind durfte sie ihrenVater,einen Arzt,
häufig auf Krankenbesuchen begleiten.Bis-
weilen musste dieser den Angehörigen sa-
gen: „Es geht nicht mehr lange.“Fasziniert
beobachtete das Mädchen dann dieBewe-
gung ihrerGesichtsmuskeln und dieVerän-
derungdesAusdrucks.
SchließlichstudiertesiedochKunst,und
Kunstgeschichte gleich dazu.DerDurch-
bruch kam in London dank ihresMentors,
dem abstrakt-surrealistisch arbeitenden
MalerGrahamSutherland.IhreweitereKar-
riereverdankt sie einemZusammenspiel
glücklicherZufälle undBegegnungen. 1968
traf sie imWiener KonzerthausHerbertvon
Karajan und fragte ihn, ob sieSkizzen von
ihm anfertigen dürfe.Die gefielen dem
Maestrosos ehr,dassersieanschließendins
Konzer teinlud. Später kreuzte Leonard
Bernstein ihrenWeg. Siesprach ihn einfach
auf der Straße an und prompt landete auch
seinKonterfeiinihrenSkizzenbüchern.
Ihre Glückssträhneriss nicht ab.Bei ei-
nem SitznachbarnimF lugzeug handelte es
sich um den berühmten SchweizerMaler
undBildhauerJeanTinguely.„IchkenneSie,
aberSiekennenmichnicht“,sagtesiezuihm
und durfte ihnzeichnen. Daraus entstand
später ein Ölgemälde,undTinguely schrieb
seinemFreundGeorge WilliamStaempfli,ei-
nemlegendärenNewYorker Galeristen:„Da
gibteseineMalerin,dieSieunbedingtken-
nenlernen müssen.“Inzwischen hat sieGa-
leristen auch in der Schweiz, in Südafrika
undin Singapur.
UndweitereBerühmtheiten saßen ihr
Modell: derKomponistPhilip Glass,Peter
Ustinov, die SchriftstellerTschingis Aitma-
towund Elie Wiesel und die später ermor-
dete PremierministerinPakistans,Benazir
Bhutto.Inm ehreren,seltenlängerals15bis
20 Minuten dauerndenSitzungen erlebte
UrsulaWielanddieseweltbekanntenPersön-
lichkeiten hautnah, meist sehr einfach und
natürlich, und empfindet das als „großes
Glück.“
DerGeigerYehudiMenuhinbeeindruckte
mit Menschlichkeit, undStephen Hawking
punktete mitHumor.Der unter einerNer-
venkrankheitleidendePhysikerkonntenicht
mehr sprechen, als sie ihn 1992 malte,und
kommunizierte stattdessen über seinen
Sprachcomputer.Erb egrüßte sie mit den
Worten:„Ich bin gar nicht so großartig und
auchnichtsointelligent“undnahmihrda-
mitdieScheuvorderBegegnung,andiesich
Ursula Wieland gerne erinnert. „Erwar so
lustigundnahmsichselbstnichtsoernst.“
Anschließend wurde dasBild zugunsten
derInternationalenBehindertenstiftungder
VereintenNationenversteigert.AuchderEr-
lösvielerandererBilder,diebeidengroßen
AuktionshäusernChristie ’s undSotheby’s
unterdenHammerkamen,ginganwohltä-
tigeZwecke.ÜberihrenMarktwer tredetsie
ungern–derBegriff„hochgehandelt“istdas
Äußerste,wassiezulässt.
WAS URSULA WIELAND ANTREIBT, IST IHRE
„EWIGE NEUGIER“.Esf asziniertsie,wie
Menschen durchs Leben gehen.Wiesie mit
sichselbstunddenWiderständen,dieihnen
begegnen,zurechtkommen.DieNeugiergilt
auchdenganznormalenIndividuenausih-
rer50Ö lbilderumfassendenSerie„DieWelt
derFlugreisenden“.
Menschen, die unterwegs sind, faszinie-
rendie vielgereiste promovierte Künstlerin
seitjeher.AusinFlugzeugenund-häfenan-
gefertigtenSkizzen entstandene Ölgemälde
zeigenWartende,Schlafende und bisweilen
Gestrandete: eine sich auf derFlugzeugtoi-
lette schminkende Frau oder einen Ge-
schäftsmann amTelefon. Fast fotorealisti-
sche Stimmungsbildervonauf si ch zurück-
geworfenenGeschöpfen.
Es ist„die geistig-seelischeAusstrahlung
eines Menschen“,die sie interessiertund
nichtdie„geschminkteSchönheit“.Wennsie
Frauen malt, macht sie diese nicht jünger
unddieAugenoderLippennichtgrößer.An-
ders als viele Maler,die ihreModelleviel
schönerdargestellt haben, als sie sind.„Mit
den Augen der Liebe kann man Falten und
Fett abstrahieren“, lacht Ursula Wieland.
„Gucken Sienur Ihreigenes Kind an!“ Sie
selbstsieht„mitdemHerzundderSeele“.
BesondersaufschlussreichseiderBlickin
den Spiegel. „Haben Sieschon mal Men-
schen dabei beobachtet?Siemachen dann
nämlichgenau das Gesicht, das sie sehen
wollen.“Auch das Selbstporträt verrät viel.
Oftmalsist es zu schmeichelhaftoder auch
zu kritisch. Mitihrer viel zu hohen, viel zu
wackeligenLeiterholtsieeinunterderZim-
merdecke verstautes20 Jahrealtes Selbst-
bildnis hervor. „Zukühl“ urteilen ihre
Freunde.Sieselbstdagegenfindet:„Dasbin
ich.Ichsehemichso.Mansiehtsichselbstja
ganzanders,alsandereeinensehen.“
Möglicherweise sieht man anderege-
nauer als sich selbst? Oft weiß Ursula Wie-
landaufdenerstenBlick,mitwemsieeszu
tun hat. Einbisschen wie eine Psychologin.
Aber da gibt es auch so viel, was sie nicht
weiß. Sieist fasziniertvon dem Geheimnis,
das den Menschen umgibt.Jeden zeichnet
sieso,wiesieihnwahrnimmt.Dabeihilftihr
derGlaubedaran,„dassjederMenschinsich
gutist“.VielleichtkannsiedeshalbgutenGe-
wissenssagen:„Eshatnochniemandenge-
geben,denichnichtgernegemalthabe.“
Schon imVorfeld beschäftigtsich Ursula
Wieland intensivmit den Personen, die sie
aufderLeinwandverewigenwill:mitihrem
Leben, mit ihrer Artzusein, mit ihren Ge-
sichtsausdrückenund Haltungen.Viele ha-
benübrigensverschiedeneGesichter.Siebe-
obachtetihr Gegenüberganz genau. Dieses
zeigt ihr unbewusst,wie es gemalt werden
willundgibtdamitvielpreis.
UrsulaWielandsNeugieristweiterunge-
brochen.Undesg ibtnocheinige,diesieun-
bedingtmalenmöchte.Menschen,dieihret-
wasbedeuten,etwaihredreiKinderunddie
sechs Enkelkinder.AuchPersönli chkeiten
könnten darunter sein. Doch solange ein
Bild noch nicht fertig ist, hält sie es mit der
Devise: bloß keineNamen!Wann ist sie mit
einemPorträteigentlichwirklichzufrieden?
Im best en Falle, wenn es ihr gelungen ist,
„dieEssenzeinesganzenLebensaufsPapier
zubringen.“
Daniela Noackfragt sich seit dem
Interview, was siewohl beim Blick in
den Spiegel über sich preisgibt.
dassdumalst
AndenRatihrerGroßmutterhieltUrsulaWielan dsich
nicht lange. Heute ist die Berlinerin eine der
meistbegehrtenPorträtmalerinnenderWelt VonDaniela Noack
niemandem,
Sag
Ursula Wieland in ihrer CharlottenburgerWohnung,umgeben von ihren Bildern. DANIELA NOACK
LEBEN &STERBEN
Trauer ist eine
egoistische Kuh
W
enn ich einmal mit einemBlackout,
nach einer durchzechten Nacht ir-
gendwo inSpandau ohneJacke undT-Shirt
aufwachen würde,dann wäreder erste
Mensch,denichanrufe,Eric.“
Da ist vielleicht die schönste Liebeserklä-
rung, die ich je bekommen habe.Und das
auchnochvoneinemMann.MeinemFreund
Marc.Esi stmittlerweilelangegenugher,so-
dassichdarüberentspanntschreibenkann.
Alsichmich,irgendwannnachmeinen30.
Geburtstag, auf denWegmachte,Bestatter
undTrauerbegleiterzuwerden,hatteichakut
und hautnah noch keinenMenschen verlo-
ren.TrauerwarnureinabstrakterBestandteil
meinesLebens.Heutesageich:wiegut!Weil
akut betroffeneMenschen nur selten eine
wirklichguteHilfefür Trauerndesind.Sieha-
benverständlicherweisenochvielzusehrmit
ihrereigenenGeschichtezutun.
Wenn sichMenschen ehrenamtlich um
Sterbe ndeoderTrauerndekümmernwollen,
lautet eine der erstenFragen, die ihnen ge-
stelltwird,wielangeihrletzterVerlusthersei.
Nurzuo ft scheint in der akutenTrauer das
Wenn dir einFreund offenbart, dass er
überallinseinemKörperMetastasen hatund
die Frist, die ihm gegeben wird, nicht mal
mehr inJahren zu berechnen ist, dann stellt
das alles inFrage.Wirdoch nicht!Marc,wir
sind doch unsterblich!Warumgerad edu?
MeineMutteristÄrztin,siewirdschonjeman-
denkennen?HastdudireinezweiteMeinung
geholt? Warumschweigst du?Ichhabebis
heutediekompletteKommunik ationmitihm
ab diesemFreitag bei mir gespeichert. Alle
E-mails,alleWhatsApp,alleSMS.
Wieguticherstheuteverstehe,warumer
oft nicht geantwortet hat.Wiegut ich erst
heute verstehe,was ic halles falsch gemacht
habe.Ich war einEgoist. ICH konnte es mir
nichtvorstellen,dassMarcirgendwannnicht
mehr da ist. IC Hhatte das Gefühl irgendwie
helfen zumüssen, ohne zu fragen, wsas ge-
brauchtwird.
Langehabeichmichdafürgeschämt,dass
es MarcsKrankheit war ,die mir den letzten
Mutgegeben hat, auszusteigen und wirklich
Bestatte rzuw erde n. Ichmusst everstehen,
dass es mir nie um denBestatterging –das
Heute: EricWrede, Bestatter
wichtige für mich war,den Mutzuf inden,
meinLebenzuändern.
Marc wareiner der erstenMenschen, de-
renBestattungichorganisierenmusste.Esi st
aufE wigkeit in meinemKopf ei ngebrannt,
wieichmitmeinemFreundGeroweinendzu-
sammensaß,währendsichMarcsFamilievon
ihm verabschiedete.Wie groß auch meine
Angstwar,MarcausdemKrankenhausabzu-
holen, nachdem er gestorben war.Esw ar
dochmeinMarc.Merken Sie’s?Ichbinschon
wiederbeimir.Traueristei neegoistischeKuh.
AberichhabeinMarcsTodetwa sgelernt.
Wiesehr meinFreundeskreis zusammenge-
rücktist;wiegutesist,wennmansichinden
Armnimmt;wiewenigdasArschlochTodauf-
haltbar ist, aber wie viel es bewegen kann,
wennmandieVeränderungzulässt.
Dasist nur meineGeschichte,aber wie
viele Leben sich nachhaltig geänderthaben,
weilder TodalsRealitätaufgetauchtist–ich
kannesmirnichtmalvorstellen.HabtMut.
Kümmernumandereder beste und
schnellsteAusweg. Eigene Geschichten und
eigene Trauer haben aber in derBegleitung
vonSterbenden und trauerndenMenschen
nichtszusuchen.Natürlichwerdenalle Kolle-
ginnen und auch ich uns immer persönlich
öffnen, uns alsMenschen einbringen, auch
Erfahrungen teilen–aber nie ,umunsereei-
geneGeschichtezuverarbeiten.
Aber zurück zu meinemFreund Marc.
Kurznachdemmirklarwar,dassich Bestatter
werden möchte,telef onie rteich mit ihm.Er
kamgerade vomKarneval aus Köln zurück
underzähltemir,dasserjetztschoneineWo-
che an seinem immensen Katerlitt. Ich
machtenochWitzeüberseinAlter,erwar37,
und da darfese inem auch mal eineWoche
schlechtgehen.
Keinedrei Wochenspäterriefermi chan.
Wirmüssten uns treffen. FürMarc hatte ich
immerZeit.UnsereFreundschaftbasiertenie
darauf,dasswirunstäglichsahen,aberwenn
esdaraufankam,dannwarmanda.Eskaman
demAbendzueinemGespräch,dasmeinLe-
benverändernsollte.
NächsteWocheschreibt an dieser Stelle die Hebamme
Sabine Kroh.