Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
interview: alex rühle

Ein Büro in den Warschauer Räumen der
GazetaWyborcza. An den Wänden Pressefo-
tos aus den letzten 40 Jahren, Solidarność-
Szenen, der runde Tisch von 1989, Lech
Wałęsa Hand in Hand mit Sharon Stone.
Am Tisch sitzen Bartosz Wieliński, Außen-
politikchef derGazeta, und Nina Horaczek
vom WienerFalter. Aus Budapest ist Már-
ton Gergely zugeschaltet, leitender Redak-
teur der Wochenzeitung HVG. Horaczek
wird mit den beiden Kollegen in der kom-
menden Woche durch Deutschland und
Österreich reisen, um davon zu erzählen,
wie es sich anfühlt, wenn mitten in Europa
die Pressefreiheit Schritt für Schritt verlo-
ren geht. Die SZ traf die drei Journalisten zu
einem Vorgespräch.

SZ: Herr Gergely, Herr Wieliński, Sie ge-
hen auf Einladung von Frau Horaczek auf
eine Reise, um von Ihren Erfahrungen zu
erzählen. Titel der Veranstaltung: „Presse-
freiheit in Gefahr“. Wie steht es denn dar-
um in Polen und Ungarn?
Márton Gergely:Die freie Presselandschaft
ist vernichtet – die Pressefreiheit noch
nicht. Der Unterschied ist wichtig. Wir ha-
ben keine russisch-türkischen Verhältnis-
se. Viktor Orbán ist geschickt. Wir Journa-
listen werden nicht direkt an unserer Ar-
beit gehindert, wer frei ist, kann theore-
tisch auch frei berichten, aber die Voraus-
setzungen für freien Journalismus sind
nicht mehr gegeben. Er lässt die Geschäfts-
leute die Dreckarbeit machen.
Wie geht er dabei vor?
Gergely:Orbán hat 2010 probiert, mittels
Gesetzen die Medien zu drangsalieren. Das
ging schief, der Aufschrei aus Brüssel und
Europa war zu groß. Heute kaufen sie ent-
weder missliebige Zeitungen auf, um sie
dann einfach einzustellen, so ist es der
Népszabadság2016 ergangen. Oder sie ver-
hängen Anzeigenboykotte, sodass wir im-
mer weiter sparen müssen.
Bartosz Wieliński:Uns hat man auch
versucht, ökonomisch auszuhungern.
Nach dem Sieg der PiS 2015 wurden alle
staatlichen Gazeta-Abos gestrichen. Es
fühlte sich an, als hätte ganz Warschau auf-
gehört, die Zeitung zu lesen. Selbst an den
staatlichen Tankstellen gibt es uns nicht
mehr. Bei uns gab es zwar Entlassungen da-
mals, aber wir haben überlebt. Wir haben
eine Paywall eingeführt und heute 200 000
Online-Abonnenten. Damit sind wir die
weltweit sechzehntgrößte Onlinezeitung.
Die Regierung versucht, uns jetzt durch
Werbeboykotte das Wasser abzugraben.
Und sie versuchen es gleichzeitig mit politi-
schem Druck, die Regierung hat 30 Klagen
gegen uns angestrengt. Das kostet Geld,
Zeit und Nerven.
Frau Horaczek, wo verorten Sie Öster-
reich im Vergleich zu Polen und Ungarn?
Horaczek:Noch ein ordentliches Stück ent-
fernt, aber es ging zuletzt in diese Rich-
tung. Als die FPÖ 2017 mit in die Regierung
kam, haben mich ihre Angriffe nicht über-
rascht. Was mich überrascht hat, war die
Geschwindigkeit, in der sich ein Land ver-
ändern kann. Dass etwa der Sprecher des
von der FPÖ geführten Innenministeriums
den Polizeipressestellen per Mail mitteilte,
kritische Medien wie etwa derFaltersoll-
ten nur noch das absolut gesetzlich Vorge-
schriebene an Informationen bekommen.
Außerdem wurde von der Regierung ver-
sucht zu steuern, worüber wir wie berich-
ten. Und worüber sie überhaupt noch mit
den Medien reden.
Sie, Frau Horaczek, haben 2018 die Strate-
gie herausgearbeitet, mit der die staatli-
che Übernahme der medialen Berichter-
stattung durch Rechtspopulisten funktio-
niert:1) Eigenes Medienimperium aufbau-
en. 2) Mit Fake-News Ängste schüren.
3) Kritiker diffamieren. 4) Facebook als
Verstärker nutzen. 5) Pressefreiheit an-
greifen. 6) „Staatsfunk“ schaffen. 7)Geg-
ner finanziell zerstören. Wenn wir diese
Liste zugrunde legen: Wie weit sind Ihre
Länder jeweils?
Horaczek:Was die eigenen Medien der
Rechtspopulisten angeht – ich glaube, da
sind wir fast weiter als die Ungarn.
Gergely:Nie im Leben! Heute morgen
wurde auf Orbáns Facebookkanal ein Foto
publiziert, das ihn beim Lesen einer Wo-
chenzeitung zeigt. Das ist ab heute unsere
neue, angeblich bürgerliche Konkurrenz.
Die sie lanciert haben mit diesem Foto.
Wen meinen Sie mit „sie“?
Gergely:Ende 2018 wurde von der Regie-
rung eine „Mitteleuropäische Presse- und
Medien-Stiftung“ (Kesma) gegründet. Die
Oligarchen rund um Orbán haben der Kes-
ma all ihre Zeitungen geschenkt. Diese Stif-
tung besitzt jetzt 476 verschiedene Titel –
seit heute morgen 477. Das überschreitet al-
les, was die Wettbewerbsbehörde je zulas-
sen würde. Die Regierung hat aber verfügt,
dass diese Stiftung von „nationalem Inter-

esse“ sei, weshalb die Aufsichtsbehörde
nichts unternehmen kann.
Horaczek:Na gut, dann sind wir Num-
mer zwei. Die FPÖ hat sich ein ihr naheste-
hendes Medienimperium aufgebaut. Seit
2008 gibt es eigene Onlineportale wie un-
zensuriert.at oder seit 2012 FPÖ-TV. Die
sind nicht alle im Besitz der FPÖ, aber eng
verbunden, personell wie inhaltlich. Diese
Medien unterstützen sich gegenseitig und
geben den Leuten das Gefühl, wenn fünf
Zeitungen dasselbe schreiben, wird’s
schon stimmen. Es gab aber auch bei den
klassischen Medien einen ziemlichen
Schwenk. Wir haben kürzlich Teile der
Buchhaltung der ÖVP öffentlich gemacht,
die belegen, wie die Partei die Wahlkampf-
kostenobergrenze überschritten hat. Das
sind Steuergelder, also ist das von öffentli-
chem Interesse. Trotzdem wurden wir von
manchen Medien für diese Recherche
scharf angegriffen. Es gibt tolle Journalis-
ten in Österreich, aber es gibt eben auch die
mit dem vorauseilenden Gehorsam. Wobei
man ja gar nicht viel befürchten muss,
wenn man hier kritischer Journalist ist.
Wie viel muss man in Polen oder Ungarn
befürchten?
Wieliński:Die polnische Regierung ver-
sucht, uns seit 2015 zu schließen, und wird
nicht ruhen, bis ihr das gelungen ist. Wir de-
cken alle paar Wochen neue Skandale auf
und nehmen somit unsere Kontrollfunkti-
on wahr. Kaczyński ist aber überzeugt,
dass die Macht der Regierung unbe-
schränkt sein soll. Sie werden uns nicht
morgen zumachen, aber mittelfristig ist
die Freiheit ernsthaft bedroht.
Gergely:Positiv ausgedrückt sind wir
auch nicht mehr gefährdet als ein ZDF-
Team auf einer Pegida-Demo. Das Pro-
blem ist: Pegida ist hier sozusagen Normali-
tät. Unser Alltag sieht so aus, als wären wir
jeden Tag mitten in einem hasserfüllten Pe-
gida-Aufmarsch. Die Hälfte der Bevölke-

rung glaubt Orbán alles. Die Regierung be-
hauptet, dass George Soros die kritischen
Medien und damit auch uns lenke. Wir ha-
ben natürlich noch nie einen Cent von So-
ros erhalten. Diese frei erfundenen Ver-
schwörungstheorien werden aber systema-
tisch verbreitet und irgendwann geglaubt.

Zur Soros-Lüge gehört immer auch die Be-
hauptung, dass Soros’ Marionetten an der
„Umvolkung“ arbeiten und alle Ungarn tö-
ten wollen. Wir gelten für so viele Men-
schen mittlerweile als Staatsfeinde, dass
ich manchmal, beim Elternabend in der
Schule etwa, meinen Beruf verschweige.
Horaczek:Eine FPÖ-nahe rechtsextre-
me Zeitung hat behauptet, derFaltergehö-
re auch zu diesem angeblichen Soros-Netz-
werk.
Da kommen zwei Punkte Ihrer Liste zu-
sammen: Schüre mit Fake-News Ängste
und diffamiere deine Kritiker. Werden Sie
auch persönlich denunziert?
Wieliński:In den sozialen Medien perma-
nent. Eine der Lieblingsbezeichnungen ist
dabei der Begriff „Volksdeutscher“. So hie-
ßen im Zweiten Weltkrieg die eingedeutsch-
ten Polen, heute ist das ein Synonym für
Kollaborateure, eine extreme Beschimp-
fung. Ich spreche deutsch, schreibe in deut-
schen Zeitungen, kritisiere in derGazeta
die Europapolitik meiner Regierung, die ja
permanent eine antideutsche Kampagne
führt. Die Diffamierung als Volksdeutscher
impliziert auch, dass ich kein vollwertiger
Deutscher bin, sondern irgendwas zwi-
schen Marionette und Untermensch.
Horaczek:DieKrone, die auflagenstärks-
te Zeitung Österreichs, hat Florian Klenk,
den Chefredakteur desFalter, vergangene
Woche als Diffamierer bezeichnet, als
„Schmutzkübler“ und „Anpatzerchef“. Nur
weil wir gewagt hatten zu recherchieren,
wie viel Schulden die ÖVP hat und wofür sie
Steuergelder ausgibt. Wir machen unseren
Job und müssen uns dann öffentlich übelst
beschimpfen lassen.
Wieliński:Es kann alle treffen. Unsere
Regierung will die unabhängige Justiz los-
werden. Im Justizministerium wurde eine
eigene Trollgruppe gegründet, deren An-
führer anscheinend der stellvertretende
Justizminister war. Diese Trolle haben im

Netz die intimsten Sachen über polnische
Richter veröffentlicht, die sich gegen die
Justizreform der PiS gewehrt haben: Bezie-
hungen, Kinder, soziale Situation. Eine
Hasskampagne, gesteuert aus dem Justiz-
ministerium. Der stellvertretende Minister
wurde dann rausgeworfen. Der Justizminis-
ter sagt, das war ein böser Mann – und da-
mit soll die Sache erledigt sein.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien?
Gergely:Orbán hat die meisten Facebook-
Follower in ganz Ungarn im Bereich Politik.
Ein Großteil der Nachrichten über ihn wird
über Facebook verbreitet. Oft wird die Pres-
se zu Terminen gar nicht mehr eingeladen,
manchmal nicht mal mehr die brave staatli-
che Nachrichtenagentur. Stattdessen gibt
es auf Orbáns Facebookseite Fotos und ei-
nen Text dazu, und mit diesem Material
müssen die Zeitungen dann arbeiten. Zwei-
tens nutzt die Regierung Facebook, um Fa-
ke News zu verbreiten und Ängste zu schü-
ren. Das heißt, über Facebook wird erst der
neueste Pestbazillus verbreitet, und dann
reicht Orbán wiederum durch Facebook
das vermeintliche Arzneimittel. Gleichzei-
tig beschwert sich die Regierung aber per-
manent, dass Facebook tendenziell sei und
rechte Meinungen zensiert würden. Kürz-
lich gab es zwei Meldungen am selben Tag:
Facebook lügt und benachteiligt Konserva-
tive. Stunden später großer Jubel: Orbán
hat die größte Facebook-Fangemeinde
Ungarns!
Horaczek:Der frühere FPÖ-Chef Heinz-
Christian Strache, der wegen der Ibiza-Affä-
re zurücktreten musste, ist mit fast
800 000 Fans der auf Facebook erfolg-
reichste Politiker des Landes. Heute hat
ÖVP-Chef Sebastian Kurz ebenso viele Fol-
lower. Und man findet dasselbe Muster in
ganz Europa. Matteo Salvini sagt, er redet
nicht mit den Medien, sondern direkt mit
den Wählern, via Facebook. Praktisch. Da
braucht man sich keine Journalistenfragen
gefallen lassen, sondern kann seine einfa-
chen Wahrheiten unter den Gläubigen ver-
breiten. Dasselbe macht Marine Le Pen mit
ihren drei Millionen Followern. Die Rechts-
populisten haben Facebook viel schneller
verstanden als alle anderen Politiker. Und
Facebook kommt strukturell allen Schrei-
hälsen entgegen.
Wosehen SieIhre Länder in Horaczeks Sie-
ben-Phasen-Plan?
Gergely:In Phase acht. Uns geht der Sauer-
stoff aus, wie in der Todeszone über 8000
Meter, wo die zentralen Organe nicht mehr
richtig funktionieren. Wenn wir an keine
Quellen mehr rankommen und kein Geld
mehr haben, wenn die Berichterstattung
keine Folgen mehr hat, weil die Justiz dage-
gen immun geworden ist und die Staatsan-
waltschaft der Regierung unterstellt wur-
de, fragt man sich, was die Arbeit noch
bringt.
Wieliński:In Polen ist die Medienland-
schaft noch geteilt in eine freie und eine un-
freie Zone. Das staatliche Fernsehen TVP
wurde im Januar 2016 gleichgeschaltet, so-
fort nach der Ausschaltung des Verfas-
sungsgerichts. Mittlerweile versucht TVP
nicht mal mehr zu kaschieren, dass es ein
Propagandainstrument der Regierung ist:
In Lublin gab es vor den Parlamentswahlen
eine Debatte der Kandidaten. So war es an-
gekündigt. Aber wer war dabei? Vier Kandi-
daten der PiS. Kein Vertreter der Oppositi-
on. Über die wurde dann gelästert. Das ist
unser staatliches Fernsehen. Es hat deut-
lich an Zuschauern verloren, aber in der
Provinz gibt es nichts anderes. Also schau-
en 37 Prozent nur diese hochmanipulati-
ven Programme.
Ihr ungarischer Kollege Zsolt Kerner sag-
te: „Du kannst schreiben, was du willst –
nur hat es keine Wirkung.“ Erleben Sie das
genauso?
Gergely:Auf die Politik haben wir keine Wir-
kung mehr. Es gibt keinen Skandal mehr,
der noch irgendwelche Folgen hätte. Inso-
fern hat Zsolt recht. Andererseits sind viele
Ungarn unzufrieden mit dieser Regierung
und interessiert an der Wahrheit. Es gibt Ta-
ge, wo man geneigt ist, zynisch zu werden,
weil man nichts ausrichtet gegen diese
Übermacht. Aber es gibt auch Tage, an de-
nen man denkt, wann soll man Journalis-
mus machen wenn nicht jetzt? Wann wa-
ren wir relevanter und mutiger als jetzt?
Wieliński:Absolut! Einige Kollegen zeh-
ren noch von ihren Erfahrungen aus den
Zeiten des antisowjetischen Widerstands.
Damals haben sie die Zeitung in einem Kel-
ler produziert. Jetzt braucht man nicht mal
einen Keller, sondern nur einen Server, ein
paar Laptops und eine Kamera, um eine Zei-
tung zu bauen. Polen ist nicht die Türkei,
man kann das Internet nicht ausschalten.

Termine: Samstag um 20 Uhr in den Münchner
Kammerspielen. Sonntag, 23.9. Theaterhaus Frank-
furt, 24.9. Interkulturelles Zentrum Heidelberg, da-
nach Bregenz, Innsbruck, Graz und Wien.

Wenn im Sommer 2024 die Fußball-Euro-
pameisterschaft in Deutschland stattfin-
det, werden sich Millionen Zuschauer um-
gewöhnen müssen. Allem Anschein nach
wird sich kein klassischer Fernsehsender
die Übertragungsrechte aller EM-Spiele si-
chern, sondern die Deutsche Telekom mit
ihrem kostenpflichtigen Internetfernse-
hen Magenta TV. Im Konzern geht man da-
von aus, in der kommenden Woche ent-
sprechende Verträge mit dem europäi-
schen Fußballverband Uefa zu besiegeln.
Zuerst hattenFrankfurter Allgemeine Zei-
tungundBildin Berufung auf Uefa-Kreise
darüber berichtet. Die Telekom wollte dies
am Freitag nicht kommentieren.
Zumindest die wichtigsten Spiele müs-
sen allerdings in einem „frei empfangba-
ren und allgemein zugänglichen Fernseh-
programm“ gesendet werden. So regelt es

der Rundfunkstaatsvertrag. Demnach gel-
ten alle Spiele der deutschen National-
mannschaft sowie das Eröffnungsspiel,
die Halbfinals und das Endspiel als Ereig-
nisse „von erheblicher gesellschaftlicher
Bedeutung“. Die Telekom verhandele da-
her bereits mit Fernsehsendern, die einzel-
ne Spiele mit einer sogenannten Sub-Li-
zenz übertragen könnten, heißt es in infor-
mierten Kreisen. So könnte der Konzern
die hohen Kosten der Übertragungsrechte
wenigstens zum Teil wieder reinholen.
Wer alle 51 EM-Spiele schauen möchte,
könnte auf die Telekom angewiesen sein.
ARD und ZDF wollten sich am Freitag
nicht äußern. Für die EM 2020 zahlten bei-
de Sender für die TV-Rechte geschätzte
150 Millionen Euro. Insgesamt zeigen die
öffentlich-rechtlichen Sender immer weni-
ger Live-Fußball. Die Champions League

läuft auf Dazn und Sky, die EM-Qualifikati-
onsspiele des Nationalteams bei RTL.
Für die Telekom wären die EM-Übertra-
gungsrechte der bislang größte Coup in
der Geschichte ihrer TV-Angebote. Zuletzt
zählte der Konzern gut 3,4 Millionen Fern-
sehkunden. Statt etwa Kabel-TV zu nut-
zen, streamen diese Kunden über ihren

Festnetzanschluss herkömmliche Fern-
sehsender und exklusive „Magenta“-In-
halte. Dafür hat sich die Telekom bereits
Übertragungsrechte für Serien, aber etwa
auch für die diesjährige Basketball-WM,
die Deutsche Eishockeyliga oder die dritte

Fußballliga gekauft. Der Konzern ver-
sucht damit, seinen Kunden Telefon und
Internet, Fernsehen und Mobilfunk aus ei-
ner Hand zu verkaufen. Die Nutzer solcher
sogenannter Bündeltarife wechseln erfah-
rungsgemäß seltener den Anbieter als et-
wa reine Telefonkunden.
Erst am Dienstag hatte die Telekom mit
Michael Schuld einen neuen Chef ihres
Fernsehgeschäfts bekanntgegeben. Er be-
zeichnete die TV-Plattform als „wichtige
Säule unserer Wachstumsstrategie“. Tat-
sächlich ist die Zahl der Telekom-Fernseh-
kunden binnen Jahresfrist zwar um gut sie-
ben Prozent gestiegen. Allerdings wollte
der Konzern schon längst fünf Millionen
TV-Nutzer hierzulande gewonnen haben.
Nun plant die Telekom offenbar den gro-
ßen Wurf, um dieses Ziel doch noch zu er-
reichen. benedikt müller

Sie wollten nicht einsehen, dass sich die
Produktionsfirma, für die sie jahrelang
arbeiteten, einfach ihrer Dienste entle-
digt – nur weil die ARD beschlossen hat,
dieLindenstraßeauslaufen zu lassen. Mit-
arbeiter des Filmteams haben deswegen
gegen ihre Kündigung geklagt. Nun stellt
sich heraus: zunächst ohne Erfolg. Das
Kölner Arbeitsgericht teilte am Freitag
mit, dass mehrere Mitarbeiter der ARD-
Serie Prozesse gegen ihre Kündigung ver-
loren haben.
Das Ende derLindenstraßeist be-
schlossene Sache. Die letzten Folgen sol-
len im März 2020 ausgestrahlt werden.
Insgesamt hätten elf Mitarbeiter der Pro-
duktionsfirma gegen ihre Kündigung ge-
klagt, hieß es vom Gericht. Sie hatten ar-
gumentiert, die Kündigung sei unwirk-
sam, weil die Arbeitgeberin, die Geißen-
dörfer Film- und Fernsehproduktion KG
(GFF), ihrer Kenntnis nach im kommen-
den Jahr eine andere Serie produzieren
werde. Außerdem seien die Befristungen
ihrer Arbeitsverhältnisse unwirksam.
Die ersten vier Klagen hätten keinen
Erfolg gehabt, teilte das Gericht mit. Of-
fen gelassen habe das Gericht dabei die
Frage der Befristungen. Da die Produkti-
on derLindenstraßeeingestellt werde,
könnten die Mitarbeiter nicht weiter be-
schäftigt werden (Az.: 2 Ca 2698/19). Die
Arbeitsverträge seien mit der Produktion
der Serie verknüpft. Freie Ersatz-Arbeits-
plätze hätten nicht zur Verfügung gestan-
den. Gegen die Urteile kann Berufung vor
dem Landesarbeitsgericht Köln eingelegt
werden. dpa


Nina Horaczekist die
Chefreporterin der Wie-
ner WochenzeitungFal-
ter. Bei einem Interview
mit Gergely und Wieliński
entstand die Idee zur
gemeinsamen Reise.

Für den neuen TV-Chef ist die
Plattform eine „wichtige Säule
unserer Wachstumsstrategie“

Bartosz Wielińskiist
Außenpolitikchef der
Gazeta Wyborcza, der
größten unabhängigen
Tageszeitung in Polen.

Senderwechsel? Die Uefa soll die TV-
Rechte der EM verkauft haben.FOTO: DPA

Márton Gergelyist leiten-
der Redakteur beiHVG, der
größten unabhängigen
Wochenzeitung Ungarns. Er
war zuvor stellvertretender
Chefredakteur der Tageszei-
tungNépszabadság, die
2016 eingestellt wurde.

ARD und ZDF im Abseits


Die Telekom sichert sich offenbar die Fernsehrechte für die Fußball-EM 2024. Wichtige Spiele müssen aber frei empfangbar sein


Niederlage


Lindenstraßen-Mitarbeiter erfolglos


DieserTatortspielt zwischen Schrott-
platz und Kindergeburtstag, es steht Wei-
mar drauf, aber ist auch Weimar drin?
Es herrscht ja ein sehr besonderer Ton-
fall in den skurrilen Krimis mit den Er-
mittlern Dorn (Nora Tschirner) und Les-
sing (Christian Ulmen). Deshalb muss es
hier kurz ums Kleingedruckte gehen.
Murmel Clausen und Andreas Pflüger,
die bisher alle Episoden schrieben, firmie-
ren nun unter der kuriosen Kategorie „Di-
aloge“. Unter „Drehbuch“ stehen zwei Na-
men, die man sich nicht merken muss,
weil sie eh erfunden sind. Die Produkti-
onsfirma Wiedemann und Berg sagt,
dass Clausen/Pflüger „mit anderen Pro-
jekten ausgelastet waren“ und die Folge
daher von anderen unter Pseudonym ent-
wickelt wurde. Die Dialoge ließ man vom
Spezialeinsatzkommando Clausen/Pflü-
ger überarbeiten, „um den ZuschauerIn-
nen den typischen Humor und Wortwitz
zu bieten“.
Nun, insofern führt die Episode „Die
harte Kern“ zu der Erkenntnis, dass Dialo-
ge allein noch keinen Weimarer Klassiker
machen.
Die Folge ist skurril, aber deutlich we-
niger aufgedreht als sonst. Sie ist auch
nicht so knallvoll mit Wunderlichkeiten.
Das kann man auf sich wirken lassen und
sogar gut finden. Oder man kann Buh ru-
fen und aufs nächste Mal warten. „Von
uns wird immer der fünffache Rittberger
mit Salto erwartet“, sagte Pflüger mal,
und Clausen: „Ohne Netz.“ Künftig
schreibt er ohne Pflüger, der sich auf sei-
ne Romane konzentriert.
Nach Plausibilität darf man in der
Handlung nicht suchen. Unter der Regie
von Helena Hufnagel wird aus vielen Selt-
samkeiten aber die schon wieder überzeu-
gende Haltung: Achtung, wir spielen Kri-
mi. Aus Lessings Waffe wurde ein tödli-
cher Schuss abgefeuert, weshalb ihn Eva
Kern von der internen Ermittlung (Nina
Proll) in die Zelle steckt. Dabei steht Kin-
dergeburtstag an – Dorn und Lessing
sind als Eltern und auch sonst ein Paar,
auch wenn sie oft selber wie Kindergar-
tenkinder wirken. Dorn ermittelt über
weite Teile allein, diese Frau will sehr ent-
schlossen ihren Mann wiederhaben.
Jemand hatte die Idee, in Tschirners
Seitenscheitelfrisur eine Andeutung
eleganter Locken zu legen. Das ist eine
Nuance, aber es macht, zusammen mit
Kamera und Musik, aus der Göre Dorn
manchmal fast eine Heldin im Stil ameri-
kanischer Kriminalromane aus den Drei-
ßigern – die kann hier auch ohne Weite-
res eine italienische Ape kurzschließen,
wenn es sein muss. Es muss. Lessing und
Dorn sind diesmal ein Paar gegen den
Rest der Welt. „Weißt du, dass du gerade
wahnsinnig sexy bist?“, sagt er, als sie die
Zünddrähte bloßlegt. Schon verrückt.
DieserTatortist: romantisch.


Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.


44 MEDIEN HMG Samstag/Sonntag, 21./22.September 2019, Nr. 219 DEFGH


Organversagen


Wie steht es um die Presse in Europa? Ein Blick nach Österreich,


Polen und Ungarn, wo die Freiheit unterschiedlich bedroht ist


Ein Schrei nach Hilfe angesichts der Gefahr von rechts: Bei einem Marsch durch die Hauptstadt Budapest protestieren
Ungarinnenund Ungarn gegen die Reformen der autoritären Regierung. FOTO: ATTILA KISBENEDEK / AFP

von claudia tieschky

Pseudonym


Folge26/2019
Kommissare: Dorn/Lessing

TATORTKOLUMNE

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