VonAndreas Niesmann
W
enn es ein Symbol
gibt, das die Arbeit
dieser großen Koali-
tion aus CDU, CSU
und SPD beschreibt, dann ist es die
Nachtsitzung. In Nachtsitzungen
wurde die Regierung geboren, in
Nachtsitzungen brachte sie ihre
wichtigsten Reformvorhaben auf
denWeg:Einwanderungsrecht,Koh-
leausstieg,Dieselpaket–und nun
dasKlimaschutzgesetz.
Als am Freitagvormittag die ers-
ten Schüler der Klimabewegung
„Fridays fürFuture“ vordem Kanz-
leramteintrudeln,staunensienicht
schlecht.ImmernochkeinErgebnis?
Nein, immer noch nicht. Einen
Abend, eineNacht und einenMor-
gen verhandeln dieParteispitzen zu
diesem Zeitpunkt schon miteinan-
der.Die Radio- undFernsehjourna-
listen,dieüberNachtausgeharrtha-
ben, sind bereits gegangen.Ausge-
schlafeneKollegen haben dieTag-
schichtübernommen.
Obdie VerhandlerimKanzleramt
zwischendurch wenigstens die
Chance auf ein kleinesNickerchen
haben, ist unklar.„Schlaf wirdeher
überbewertet“, wirdUnionsfrakti-
onschefRalph Brinkhaus später sa-
gen. DerZDF-Fernsehwissenschaft-
ler Harald Lesch nennt es trotzdem
„erbärmlich“, derartweitreichende
Entscheidungen unter derartwidri-
genRahmenbedingungenzutreffen.
Am Ende gehe es nur noch um die
Frage,wergewinne:„GesäßoderGe-
hirn?“
Andererseitsbrauchtesvielleicht
dendreifachenDruck–dentermin-
lichen, den innerkoalitionären und
dender Straße–,umirgendwiezuei-
ner Einigung zu kommen. 18Stun-
den dauerndie Verhandlungen an,
als um kurznach zwölf endlich die
Nachricht über dieTicker läuft:Der
Durchbruchistgeschafft.CDU,CSU
und SPD haben sich geeinigt, das
Klimaschutzpaketsteht.
Stück fürStück sickerndanach
dieDetailsdurch.Ab2021sollendie
ProduzentenvonKohle,Gas,Heizöl,
Diesel undBenzin einenPreis für
CO 2 bezahlen, das durch dieVer-
brennung fossilerRohstoffe freige-
setzt wird.Zehn Euro wirdder Aus-
stoßpr oTonnezu Beginnkosten,bis
2025sollderPreisschrittweiseauf
EuroproTonnesteigen.Benzinund
Diesel werden dadurch zuBeginn
um etwa3Cent pr oLiter teurer,bis
2026würdederLiterpreisum10bis
15Centsteigen.
Im Gegenzug sollenBerufstätige,
die auf ihrAuto angewiesen sind,
durch eineErhöhung derPendler-
pauschalevon30a uf35 Centje Ent-
fernungskilometerentlastetwerden,
allerdingserstabdem21.Kilometer.
Auch beimStrompreis sollenVer-
braucherprofitieren–durcheinAb-
sinken der EEG-Umlage.Bahnfah-
rensoll billigerwerden, die Mehr-
wertsteuer aufTickets imFernver-
kehr vonderzeit 19 auf7Proze nt
sinken.InlandflügewollendieKoali-
tionäredagegenteurermachen:Die
Luftverkehrsteuer für Starts von
deutschenFlughäfensollschonAn-
fang2020angehobenwerden.
Dervielleicht wichtigste Punkt
der Einigung: ein Überprüfungsme-
chanismus,der die Einhaltung der
deutschen Klimaziele gewährleisten
soll.Vorallem die SPD hatte darauf
bestanden.DasKlimakabinett soll
weiterbestehen und künftigJahr für
Jahr bewerten, ob derCO 2 -Ausstoß
wievorg esehensinkt.
„Dieser Mechanismusistsoetwas
wieeineGarantie,SchrittfürSchritt
dieZielezuerreichen“,sagtBundes-
kanzlerin AngelaMerkel (CDU) am
Nachmittag inBerlin. Merkel räumt
ein, dassDeutschland das unter ih-
rerKanzlerschaft imJahr 2007 be-
schlosseneZiel,die SenkungdesCO 2
-Ausstoßes um 40Proz ent bis 2020
imVergleichzu1990,wohlnichter-
reichen werde. Si everstehe deshalb
dieSkepsisvielerAktivisten,wasdas
ErreichendernunavisiertenSen-
kungum 55 Prozentbis 2030 angehe.
DurchdenÜberprüfungsmechanis-
muswollemandembegegnen.Falls
Deutsc hlandvomReduzierungspfad
abkomme,werde „zeitnah nachge-
steuert“,versprichtsie.
DernebenihrsitzendeFinanzmi-
nister undVizekanzler Olaf Scholz
sagt: „Mit dem Klimaschutzpaket
machen wir ernst.“DieBewegung
„FridaysforFuture“habediePolitik
aufgerüttelt. 54 Milliarden Euro
werdeDeutschland jetzt bis 2023 in
den Klimaschutz investieren, sagt
der SPD-Politiker.„Damit lässt sich
viel auf denWegbringen.“ Neue
Schulden sollen dafür nicht aufge-
nommenwerden.CSU-Landesgrup-
penchef Alexander Dobrindt
schwärmt, die Koalition habe die
„richtigeBalancezwischenÖkologie
undÖkonomiegefunden“.
DieOpposition bewertet das er-
wartungsgemäßganzanders.Wobei
Grünen-Chef RobertHabeck noch
dasmildesteUrteilfällt:„ImMoment
sehe ichein diffuses Bild.“ Grünen-
FraktionsvizeOliverKrischerspricht
hingegen voneiner „historischen
Pleite“. DieMaßnahmen derBun-
desregierung seien langsam, un-
wirksamundunverbindlich.FDP-
ChefChristianLindnerlässtausrich-
ten,dieChanceaufeinen„echten
Neusta rtinderKlimapolitikunseres
Landes“ seivertan, das präsentierte
Paket nichts als „hektische Flick-
schusterei“.
Auch die Klimaschützer derBe-
wegung„F ridaysfor Future“, vonde-
nenandiesemFreitagnachAngaben
der Organisatoren deutschlandweit
1,4MillionenaufdieStraßegehen–
alleinin BerlinsprichtdiePolizei von
über10 0000Demonstranten–,sind
mit demErgebnis nicht einverstan-
den.EinenCO 2 -Preisvonbiszu
EuroproTonnehattensiegefordert,
davonistdieKoalitionweitentfernt.
„Das ist heute keinDurchbruch,
dasisteinSkandal“,twittertdieOrga-
nisatorinLuisa Neubauer .And ieser
Einschätzungmusssienichtsändern,
obwohlsieihrenTweetabsendet,be-
vorder Beschluss vorliegt. Andere
DemonstrantenkennendasErgebnis
am Nachmittag noch gar nicht–die
zeitliche Abfolge war wohl zu eng.
Mandarfdavon ausgehen, dass sie
wiederkommenwerden,wennihnen
klarwird,wasdieKoalitionbeschlos-
senhat.
DerguteAmerikaner:BruceSpringsteenzum70.–Feuilleton Seite 25
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Angela Merkel,
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Fröhlicher Protest auf breiten SchulternamBrandenburgerTor 1!IN1 AI4UNÙ/U!US /ONIA
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Weltweitdemonstrieren
amFreitagMenschenfürden
Klimaschutz,gut100000Berliner
versammelnsichamBrandenburgerTor.
DasKlimakabinettderBundesregierung
präsentiertkargeBeschlüsse,die
Empörungdarüberistgroß
Seiten 2, 3,4und 8
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