Berliner Zeitung·Nummer 220·21./22. September 2019–Seite 24
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Sport
WissenSienoch, in welchemJahrSieesins Finalevon„Jugend trainiertfürOlympia“ beziehungsweise derJugendspartakiade geschafft haben?
DasinteressiertekeinSchwein.Dafürwurdeaberauchnichtgesorgt.Esistjaheutenoch
so.Ichfindeesimmerschade,dassdieanderenSchülerzusolchenVeranstaltungennicht
eingeladenwerdenals Zuschauer.DasistjaindenUSAganzandersorganisiert.MeinEng-
lischlehrersagte:„Ja,wenndumalimEnglischensotollwärstwieimHochsprung“–solche
Sprüche.
HEIKE DRECHSLER
Sie kamam
- Dezember 1964 in
Gera zurWelt und
wurde mit 18 die bis
heute jüngsteWeit-
sprung-Weltmeisterin.
Sie trainiertebei der
BSG Wismut Gera und
dem SC MotorJena.
Neben demWeitsprung
holte sie bei Großereig-
nissen auch Medaillen
im Sprint.
Einer Silber-und zwei
Bronzemedaillen bei
Olympia 1988 in Seoul
folgteWeitsprung-Gold
bei den Spielen 1992
in Barcelona und
2000 in Sydney.
Anfang diesesJahres
heiratete die Mutter
eines Sohnes in zweiter
Ehe den früheren finni-
schen Hürdenläufer
Arto Bryggare und
nahm den Namen
Drechsler-Bryggare an.
Sie arbeitet als Ge-
sundheitsbotschafterin
einer Krankenkasse
und lebt seit vier Jahren
in Berlin.
Daswar1979,diegroßeSpartakiade.IchwardamalsaufderKinder-undJugensportschule
Gera.Zuvor war ich für meinenVereinWismut Gera schon bei der Kreisspartakiade.Ich
weißnoch,dasswirfürBerlinmiteinemhellblauenTrainingsanzugausgestattetworden
sind,aufdemGeradraufstand.Daraufwarichtotalstolz.DawarenLeichtathleten,Rad-
sportler ,Schwimmer–alleaus GeramitdiesemhellblauenAnzug.FürunswardieseGe-
samtspartakiadeeinHighlight,wiekleineOlympischeSpiele.Ichwarunheimlichaufge-
regt,mitmeinenFreundinnenzusammendortzus ein,undnatürlichwarenwirallestolz.
Ichwardamals14Jahrealt.
InderSchulehabensiekeinengroßenFirlefanzgemacht.IchhattejaamAnfangdesSchul-
jahresmeinenLeistungsauftrag.DawarnatürlichZiel,beiderSpartakiadegutzusein.Wir
hattenWeitenals Ziele.Mitdem PublikumunddenganzenBedingungenbinichübermich
hinausgeflogen.Dastatmirgut.IchwarstolzwieBolle.MeinSelbstbewusstseinwarindie-
semAlternochnichtsoausgeprägt.DanachwarichimTeamnichtmehrsounsichtbar,
manhatmicheinbisschenmehrwahrgenommen.
Dasmuss 1978 gewesen sein.Ichwar auf demHans-Geiger-Gymnasium inKiel, siebte
Klasse.Ich wollte ja eigentlichTurnerin werden, Akrobatin.Durch„Jugend trainiertfür
Olympia“ bin ich zur Leichtathletik gekommen, denn derTurnlehrer war auch für die
Leichtathletenzuständigundhatmichdahingeführt.BeimeinerGrößewarjazuerwar-
ten, dass es mit demTurnen nichtswerden würde.Bei der erstenProbestunde stand da
eineHochsprunganlage.Ichkanntedasnicht,wusstenicht,dassHochspurngeineLeicht-
athletik-Disziplinist.Eshatmirgefallen,weileseinbisschenakrobatischwar.Ess ahbei
mirvielleichtnichtelegantaus,aberichkonntemirvorstellen,dasseselegantaussehen
kann.Undichwolltewissen:WiehochgehtdieLatte?
Wie war der Empfang in der Schule danach?
Dawardie Mauernatürlichziemlichhoch.WirwusstenwenigausdemWesten,siewenig
ausdemOsten.EswarenzweiunterschiedlicheSysteme,undder Sporthattesicherinden
altenBundesländerneineandereBedeutung.
WiedieEntwicklungverlaufenist,darüberbinichfasteinbisschentraurig.Ichwarvorein
paarJahrenin Jenaeingeladen,umKampfrichterundSchülerzuunterstützen.Miristauf-
gefallen,dassmanchenullAhnunghatten,nichtwussten,dasszumWeitsprungeinAnlauf
gehört. Sowardas Niveau.EsgabauchLehrer,dieihr eSchülersupervorbereitethatten.
Vielleicht muss man„Jugend trainiert“ inZukunft verändern, mehrMarketing machen.
UndmancheSchulleitermüssendenWettbewerbmehrwertschätzen.
WusstenSie, dass es im anderenTeil Deutschlands einen ähnlichenWettbewerb gab?
HabenSieheute noch irgendwie Berührung mit „Jugend trainiertfürOlympia&Paralympics“?
Nee,dahatmansichüberhauptnichtmitbeschäftigt.Dashabeicherstspätermitbekom-
men,dassesdieSpartakiadegab.Ichwussteabernichtgenau,wasdasist.
UnsereTochteristim100-Meter-Hürdenkader.SiemachtauchMehrkampf.Sieistmitih-
rerSchuleausLeverkusenjetztzumerstenMalbeimFinaledabei.Beiunswardamalsder
Turnlehrerauchfür„Jugendtrainiert“zuständig.Nachder GanztagsschulehaterdieSchü-
lerinseinemkleinenAlfaRomeoeingesammeltundzumVereinstraininggefahren.Eswar
wirklicheinsehr,sehrgroßesEngagement.WennmanheutesoeinEngagementnichthat,
wenndieSchuledasnichtunterstützt,findetsportlicherWettkampfleidernichtstatt.
HEIKE HENKEL
Sie kamam 5. Mai
1964 in Kiel zurWelt
und ist die bislang ein-
zigeHochspringerin,
die in drei aufeinander-
folgenden Jahren Euro-
pameisterin,Weltmeis-
terin und Olympiasie-
gerin wurde.
Sie trainiertebeimTSV
Kronshagen, probierte
Turnen, Fechten und
Basketball aus, ehe sie
sich auf die Leichtath-
letik konzentrierte und
später zur LG BayerLe-
verkusenwechselte.
1992 gewann siebei
den Olympischen Spie-
len in Barcelona mit
2,02 Meterndie olym-
pische Goldmedaille
im Hochsprung.
1989 heiratetesie den
Olympia-Schwimmer
RainerHenkel, 2004
den ZehnkämpferPaul
Meierund heißt seither
Meier-Henkel. Di eGra-
fik-Designerin hat drei
Kinder.Sie hältVor-
trägeu.a.zum Thema
Stressmanagement.
ImOlympiastadion.DaswareinRiesenstadion,totalleer,aberbeeindruckend.Dashabe
ichwohlimUnterbewusstseinwahrgenommenundwolltemehr,wolltedasöftererleben.
VielleichtauchmalmitPublikum.DamalsgabesnochkeinDach,die Bahnwarnichtblau.
DasStadionwarimursprünglichenZustand.Ichweißnicht,obmannach1936überhaupt
irgendwasveränderthatte.Ess ahjedenfallssoauswie1936.
Daswarim Ludwig-Jahn-Sportpark.DasStadionlagjagenauanderGrenze.Ichhabevom
StadionausdiePostengesehen,diedastanden,dieTürme,aufdenendieKontrolleuremit
ihren FerngläsernWache hielten. Es war ein besonderesStadion, ein sehr schönes.Man
warnichtweitwegvonden Zuschauern,sondernhautnah.DieWeitsprunggrubeistdicht
amPublikum.
InwelchemStadion haben IhreWettkämpfe stattgefunden?
Welche Erinnerungen habenSieandamals?Vermutlich war schon allein dieReise nach Berlin etwas Besonderes fürSie.
Ja,klar.BisdahinwarichnurinKielunter wegs,Schleswig-Holsteinmaximal.Damalsist
manehergeflogenalsmitdemBusgefahren.Daswarein weiterer Reizfürmich.Eindritter
war,dassichmitälterenSchulkameradinneninderMannschaftwegfahrendurfte.Wirsind
vonKielausmitdemBusnachHamburggefahrenundvondortmitdem Flugzeugnach
West-Berlin.EswarmeinersterFlug.InBerlinwarichzumerstenMalbeiMcDonalds,das
gab’s ja in Deutschland damals nicht so häufig.Wirhaben in derJugendherberge über-
nachtet.WirwareninderDisco.Soe ineGroßstadthatteichvorhernochnichtgesehen.
Berlin war natürlich eineGroßstadt.Wirsind mit demBushingefahren, haben in einer
Schule übernachtet, in einem Klassenraum auf Liegen.Natürlich waren Mädchen und
Jungs getrennt.Wirhaben jedenTagVerpflegungsbeutel bekommen.Ichweiß, dass wir
selbstständigzudenWettkampfstättengereistsind,dasswirmitderU-Bahngefahrensind.
Meine Freundinnen und ich fanden das total spannend.Heinz Florian Oertel hat nach
meinenSiegeneinRadiointerviewmitmirgemacht.Dashabenwirabendsdanninden
Bettengehört,wirhatteneinkleinesTaschenradiomit.DahabeichmichzumerstenMal
imInterviewgehört.Wirhabenunshalbtotgelacht.
BeimallerstenMalimTrainingbinich1,38Meterhochgesprungen,mitTurnschuhenauf
Hallenboden.InBerlinim Regenwarenes1,57Meter.IchhabekeineAhnung,obichda-
malsgewonnenhabe.IchwarstolzaufdieBestleistungimRegen.Daswarunerwartetund
toll.
Ichbin ja dreifacheSpartakiade-Siegerin geworden: imMehrkampf,Hoch- undWeit-
sprung.5,95MeterwarenpersönlicheBestleistung,meineFreundinwardamalssehrtrau-
rig, denn sie war normalerweise besser als ich.Im Hochsprung habe ich 1,80Meter ge-
schafft.DaswarfürdieZeitschonstark.DiePunktzahlvomFünfkampfweißichnichtge-
nau,4001oderso.Esw areineziemlicheKonkurrenzmitSybilleThieleausBerlin.Ichhabe
Wettkämpfegeliebt.EswareinetolleErfahrung,dennderSpaßwarimVordergrund.
Wie habenSiedamals in Berlin abgeschnitten?
1992 Weitsprung-Olympiasiegerin: HeikeDrechsler. 1992 Hochsprung-Olympiasiegerin: HeikeHenkel.IMAGO IMAGES (4)
Klassen-Kampf
„JugendtrainiertfürOlympia“,dergrößte
SchulsportwettbewerbderWelt,wird50.Am
MontagwirddasJubiläumimBerliner
Olympiastadiongefeiert.DieEntstehungwarhoch
politisch,orientiertesichanderDDR-Spartakiade.
DieOlympiasiegerinnenHeikeDrechsler(Ost)und
HeikeHenkel(West)überihreFinalauftritteals
SchülerinneninBerlin.
VonKarin Bühler