Feuilleton
26 * Berliner Zeitung·Nummer 220·21./22. September 2019 ·························································································································································································································································································
SONNTAGSKRIMI
VonTorstenWahl
P
utzige Filmtitel gehören zum
Weimarer Tatortwie Thüringer
Bratwurst und Klöße oder dieGoe-
the-ZitatevonLessing.Diesmalwird
mit„DieharteKern“eineSonderer-
mittlerin namensEvaKern®Nina
Proll ̄ eingeführt, die mal Chefin in
Weimar werden wollte und den Fall
mitharterHandaufklärenwill.Denn
KommissarLessing ®Christian Ul-
men ̄sitzt,vielmehr:liegthinterGit-
tern, weilmitseinerDienstwaffeein
mordverdächtigerSchrottplatzbesit-
zer®Heiko Pinkowski ̄ erschossen
wurde .Gattin Kira Dorn®Nora
Tschirner ̄wirdwegenBefangenheit
abgezogen, ermittelt aber weiter.
Schließlich feiertihr „Z werg “, der
seltsamerweise nie zu sehen ist, am
nächstenTagseinen fünften Ge-
burtstag–das oll der Papa dabei
sein. Helena Hufnagel, neu im Kri-
migenre, wollte eine Atmosphäre
kreieren, in der sichRealismus und
Magietreffen.Ungewohntsindsen-
timentaleMomente und die sehr
präsenteFilmmusik.Diesonst so
clever eund schnoddrigeKira muss
heimlichweinen –und Elliot Smith
singt sein trauriges „Between The
Bars“dazu.ZumWeinenschlechtist
leider auch dieStoryvon Sebastian
KutscherundDeniz:ildizr.IhreGe-
schichte wirkt schief zusammenge-
schraubt, abgenutzte Einzelteile
passen nierecht zusammen.Der
Krimi spielt mit derJagd um eine
buddhistische Akasha-Statue,die
angeblich magische Kräfte besitzt
und vonunschätzbaremWert sein
soll,aberaussiehtwieeinStaubfän-
gervomTrödelmarkt.MurmelClau-
sen und Andreas Pflüger,die bisher
alleachtWeimar-Folgenausgetüftelt
hatten,zeichnendiesmalnurfürdie
Dialoge verantwortlich, dieweniger
wortwitzigsindalsgewohntundim-
mer wieder gernmit dem nahe lie-
genden Begriff „Schrott“ spielen.
Doch ohne die absurdenDialoge
zwischen Lessing und Dornfehlt
dem Weimarer „Tatort“ langeZeit
der harteKern.Selbst der übliche
Showdown, der im übrigen so aus-
sieht wie dasSteinbruch-Finale im
sechsten Weimar-Fall „Der kalte
Fritte“,kanndenMangelnichtmehr
wettmachen.EinKrimi, der sich in
derSchrottpresseverk lemmthat.
Tatort: Die harteKern–So, 22.9., 20.15,ARD
Inder
Schrottpresse
verklemmt
Nora Tschirner ist diesmal auf sich allein
gestellt. MDR/WIEDEMANN&BERG/STEPHANIE KULBACH
TOP 10
Donnerstag,19. September
1Bozen-Krimi ARD 4,66 16 %
2Tagesschau ARD 4,64 17 %
3Lena Lorenz ZDF 3,87 13 %
4heute-journal ZDF 3,67 14 %
5heute ZDF 3,48 16 %
6SokoStuttgart ZDF 3,08 18 %
7Voice of Germany Pro7 2,99 11 %
8Notruf HafenkanteZDF 2,88 11 %
9GZSZ RTL 2,69 10 %
10 Gefragt–gejagt ARD 2,68 16 %
ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %
D
er Mietendeckelerhitzt die Gemüter.
DabeischeintdieEmpörungüberEin-
griffe in dasMarktgeschehen in der
veröffentlichtenMeinungzuüberwie-
gen. In Gesprächen mitBerlinernhörtman aber
eherdasGegenteil,sagtderKulturwissenschaftler
JosephVogl,dersichseitJahrenmitderunheimli-
cherAnschmiegsamkeitdesMarktesanalle,auch
autoritäre,politischeSystemebeschäftigt.
HerrVogl,wennmanbedenkt,dassrund140Milli-
arden EuroSpekulationsgelderindenletztenzehn
Jahren in denBerliner Immobilienmarkt geflossen
seinsollen,istesdannnichtrationalzuregulieren?
Eswar wenigrational,erstjetztdamitzubegin-
nen.IndenletztenJahrenistinBerlinjanichtsUn-
gewöhnliches passiert, nur das Übliche,das man
längst anderswo besichtigen konnte,nämlich die
Verwüstung vonMetropolen durchImmobilien-
spekulation:inLondon,inParis,inNew:ork. Ge-
rade in Berlin hat man sehendenAuges,also mit
Vorsatz,dieBeständeausdenlandeseigenenWoh-
nungsgesellschaften verscherbelt, an Konzerne
wiedie DeutscheWohnen.EinOpferaufdemAltar
der Schuldenbremse und eineDreingabe an pri-
vate Investoren. Jetzt lässt sich nichts mehrregu-
lieren, nur noch Schadensbegrenzung betreiben.
Abernatürlichsolltemandamitendlichanfangen.
Selbst nach derFinanzkrise dachte man, dass der
freie Marktamb esten dieProbleme löst und eine
ArtAusgleichderInteressenerzeugt.Warum?
Ach,dersogenanntefreieMarkt.Indenletzten
JahrenhatsichdasPrivatvermögendurchdenIm-
mobilienboom inDeutschland um dreiBillionen
Euro verg rößert, und die Hälfte davon ist aus-
schließlich demreichsten Zehntel derBevölke-
rung zugute gekommen.Eine Bereicherungsma-
schine.Knapp vierzigProz ent der Haushalte ha-
benkeinVermögenoderSchulden,siekönnenalso
garnichtinvestieren.DieRedevondenSegnungen
desMarktsdientnurdazu,solcheUmverteilungen
vonden Löhnen undEinkommen derMieter zu
Investorenzuverschleiern.DabeiistderMarktin-
zwischenzueinerLeerformelverkommen.
Daswaraberoffenbarnichtimmerso?
Im 18. Jahrhundert, als man denMarkterfun-
den hat, war er mit bürgerlichenEmanzipations-
hoffnungenverbunden, freierHandel und politi-
scheFreiheiten.ErsolltewieeinEidesKolumbus
auf demGebiet derSozialtheorie funktionieren:
SelbstsüchtigeInteressenwerdendurchdieMagie
des Markts ins Gemeinwohlverwandelt. Adam
Smith sagte:„wie durch eine unsichtbareHand“.
Undnach demZweiten Weltkrieg sollte der ge-
zähmte Marktder sozialenMarktwirtschaft dann
zur Gründungsurkunde derBundesrepublikwer-
den. EinWohlfahrtsstaatskompromiss,umd as
Schlimmste zuverhindern. DieErinnerungen an
die Katastrophen der 20er-und 30er-Jahrewaren
noch wach, und man glaubte,der Kapitalismus
könntenurdurchseineZügelungüberleben.Spä-
testensseitThatcherundReaganstelltemanfest,
D
iese Ausstellung des Berliner
Kupferstichkabinetts könnte
auch „Ganz nah dran“ heißen.
Schließlich sehen wir alles,was
Adolph Menzel ®1815–1905 ̄–jen-
seits der großen Ölbilder oder der
meisterlichenZeichnungen–aufPa-
pier malte,wie durchsMikroskop:
DieA¶uarelle ,ind ie der bedeu-
tendste deutsche Realist, dieses
Auge des 19.Jahrhunderts,sor affi-
nierthineinzuzeichnenverstand,die
Gouachen und Pastelle verraten
seine künstlerischen Techniken.
UndseineVirtuosität, die Fähigkeit,
Atmosphärehineinzulegen: Licht
und Düsternis,Dunst, Hitze, Kälte.
Schmerzund Freude,Enge undBe-
freiung.
Wirsehen, wieMenzel dieFarbe
auf Papier setzte,wod ie Grenzen
zwischen denvonihm eingesetzten
StilformenundTechnikenverlaufen
oderwoersieeinfachaufhob,indem
errealistischeSzenenundFigurenin
denKontrastsetztemitsichbeinahe
insFormloseauflösendenGestalten,
Gegenständen,Landschaften.
DasBerliner Kupferstichkabinett
hat seine diesbezüglichen Schätze
ausgepackt –100 voninsgesamt
6000 Papierarbeiten, die denwelt-
weit größtenMenzel-Bestand bil-
den. DasKuratoren-Triomit Anna
Päfflin und denBerliner Menzel-
KennernWerner Busch und Claude
Keisch hat die farbigenBlätter in
zehn Kapitel eingeordnet und mit
fundiertenWandtextenversehen.Da
gleiten unsereBlicke vonexperi-
mentellenStudien etwa derMen-
zel’schen Künstlerhand über Ge-
wänder,Papageienundumgestürzte
Bäume bis zur durchkomponierten
Landschaft.Manmöchtesie,umj e-
des Detail genau zu sehen, fast mit
derNasenspitzeberühren,dieStoffe
der Damenkleider,die Uniformen
der preußischenSoldaten, ebenso
die konstruierten wie dekonstruier-
tenRäumeundalldiebisweilenku-
riosenPorträtsvongroßenundklei-
nenLeutenderMenzel-Zeit.
Diese Schau befasst sich mit
Menzels Bildsprache zwischenGe-
mäldeundZeichnung.Derfeinme-
lancholischeGrundton wirdhierbei
mehrmalsvomSchalkhaften unter-
brochen, das die „KleineEminenz“
®Menzel war nur 1,40Meter groß ̄,
dieser aus der Froschperspektive
schauende feingeistigeBeobachter
einer eher derbenWirklichkeit, oft
selbstironisch aufblitzen lässt.Ge-
rade hier entdeckt man eine große
Wahlverwandtschaft dieses preußi-
schenMeistersausdemZeitalterder
Aufklärung zu demMenschenbe-
obachter fast zweiEpochen zuvor:
VonIngeborg Ruthe
DasAugedes
19.Jahrhunderts
„Menzel.MaleraufPapier“imKupferstichkabinett
„Die Rede von den Segnungen des Markts dient nur dazu, Umverteilungen von den Löhnen und Einkommen der Mieter zu Investoren zu verschleiern. IMAGO
„Das isteine