ILLUSTRATION: KATRIN FUNCKE/ART
ACT/STERN
Diese Woche: Prof. Dr. Stefan
Röpke, 48, Psychiater, Leiter des
Bereichs für Persönlichkeitsstörun-
gen und Posttraumatische Belas-
tungsstörung an der Charité Berlin
AUFGEZEICHNET VON CONSTANZE LÖFFLER;
die gleichen Situationen, die mit dem
belastenden Ereignis zu tun haben: der
Unfall, das brennende Haus, die Schreie,
der Schuss. Meist sind die Träume sehr
plastisch. Die schlechte psychische Verfas-
sung des Patienten schien mir weniger
durch die Vergangenheit verursacht zu
sein als vielmehr durch Schlafmangel.
Wir schickten ihn ins Schlaflabor. Die
Aufzeichnungen zeigten: Der Mann litt
unter einer REM-Schlaf-Verhaltensstö-
rung. REM steht für Rapid Eye Movement,
das heißt schnelle Augenbewegungen. Je-
D
er Patient kam von der Ambulanz
auf unsere Station. Er hatte eine
besondere Vorgeschichte: Vor et-
lichen Jahren fand er einen An-
gehörigen als Opfer einer Straftat
tot auf. Durch das erschütternde
Ereignis erkrankte er an einer Posttrauma-
tischen Belastungsstörung (PTBS). Nachts
hatte er Albträume, tagsüber bekam er
Flashbacks und sah im Geiste die schreck-
liche Szene immer wieder. Er mied Freun-
de und Familie, fühlte sich erschöpft, war
depressiv und konnte nicht mehr arbeiten.
Schließlich ließ er sich in einer
Klinik erfolgreich behandeln
und führte die folgenden Jahre
ein nahezu normales Leben.
Nun aber schien alles von
vorn loszugehen. Seine Frau er-
zählte, dass er seit einem Jahr
zunehmend unruhig schlief,
im Traum wirres Zeug schrie
und um sich schlug. Sie war in
ein anderes Schlafzimmer ge-
zogen. Der Patient fühlte sich
erschöpft, und die Erinnerun-
gen an das frühere Trauma
drängten sich ihm vermehrt
auf. Der Hausarzt hatte ihm ein
Beruhigungsmittel verschrie-
ben, aber die Schlafstörungen
waren nicht weniger geworden.
Mittlerweile hatte der Mann
das Rentenalter erreicht. Wir
erleben häufig, dass besondere
Ereignisse oder Veränderungen
wie etwa der Beginn der Rente
eine PTBS erneut triggern kön-
nen. Studien zufolge erleben
bis zu 20 Prozent der Men-
schen, bei denen eine PTBS zu-
vor geheilt worden ist, einen
Rückfall. Neben der Pensionie-
rung können Auslöser erneute
traumatische Erlebnisse, kör-
perliche Erkrankungen oder
das zunehmende Alter sein.
Man weiß heute, dass nach
dem Auftreten erster Sympto-
me ein rascher Therapiebeginn meist
einen langwierigen Rückfall verhindern
kann. Ich traf den Mann erstmals bei der
morgendlichen Visite. Während des Ge-
sprächs fielen mir allerdings ein paar Un-
gereimtheiten auf: Er erinnerte sich nicht
an das, was er träumte. Normalerweise
durchleben PTBS-Patienten immer wieder
der, der schläft, vollführt während der
Traumphasen schnelle Augenbewegun-
gen. Bei Gesunden ist die restliche Bewe-
gungsmuskulatur des Körpers in diesen
Phasen erschlafft. Bei Menschen mit die-
ser speziellen Schlafstörung dagegen fehlt
der schützende Mechanismus: Die Mus-
keln erschlaffen nicht. Gleichzeitig träu-
men sie besonders aggressive Dinge. Sie
treten und schlagen dann im Schlaf um
sich. Oft attackieren sie den Partner neben
sich oder verletzen sich durch einen Sturz
aus dem Bett. Auch dieser Patient hatte
mindestens einmal die Hand
mit voller Wucht gegen die
Bettkante gedonnert.
Die gute Nachricht: Es war
kein Rückfall einer Posttrau-
matischen Belastungsstörung.
Allerdings kann diese Art der
Schlafstörung ein Frühzeichen
für neurodegenerative Erkran-
kungen wie Morbus Parkinson
oder eine besondere Art einer
Demenz sein. War er bereits an
so etwas erkrankt? Mithilfe
von Kernspinaufnahmen und
Hirnstromaufzeichnungen
konnten wir aber alle relevan-
ten neurologischen Erkran-
kungen ausschließen.
Wir verschrieben ihm zwei
Medikamente, Clonazepam
und Pramipexol, mit denen wir
bereits bei der Erkrankung
gute Erfahrungen gemacht
hatten. Drei Monate später
hatten sich die Schlafstö-
rungen so weit gebessert, dass
seine Frau ins gemeinsame
Schlafzimmer zurückkehrte.
Auch die Depression und die
wiederkehrenden Erinnerun-
gen verschwanden zusehends.
Bald würde er wieder richtig
fit sein. Wir empfahlen dem
Patienten, sich einmal jährlich
beim Neurologen vorzustellen,
um mögliche Anzeichen der
infrage kommenden Begleiterkrankungen
möglichst früh zu erkennen. 2
Ein Mann schläft extrem unruhig und ist
erschöpft. Ist ein früheres psychisches Trauma der
Grund? Die wahre Ursache verraten seine Augen
Albtraumhafte Nächte
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