Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
rama im Rücken aufgestellt. Auf manchen
Gipfeln liegt bereits viel Schnee. Das Wet-
ter war zwischenzeitlich nicht ideal in
St. Moritz. Es war windig und kalt. Klos-
terhalfens Nationalmannschaftskollegin
Gesa Felicitas Krause, deutsche Rekord-
halterin im Hindernislauf, die im nahen
Davos ihr WM-Trainingsquartier aufge-
schlagen hatte, floh nach Südafrika, aus
Angst, sich vor dem wichtigsten Wett-
kampf der Saison zu erkälten. Klosterhal-
fen hielt durch. Sie zog sich eine dicke Ja-
cke an und versteckte ihre Hände in den
Ärmeln. Sie sagt, es sei doch eigentlich
egal, ob die Sonne scheine oder nicht, am
Ende gehe es doch darum, bereit zu sein,
im Training alles zu geben.
Im NOP werde härter und mehr trai-
niert als in Leverkusen, erzählt Kloster-

halfen. Das findet sie gut. Sie läuft rund
120 Kilometer pro Woche. Bei den Einhei-
ten auf der Laufbahn muss sie bis zu zwölf-
mal die 400-Meter-Distanz im Wettkampf-
tempo herunterhecheln. Auch nach gro-
ßen Rennen wie in Zürich müssen die
NOP-Läufer direkt nach ihren Wettkämp-
fen noch mal trainieren.
Julien, der Coach, sagt, er sei beein-
druckt von der Zähigkeit der Läuferin aus
Bockeroth. Er müsse sie manchmal sogar
bremsen. »Slow down, Koko.« Noch sei
Klosterhalfen keine komplette Athletin,
»sie ist halb komplett«, sagt Julien. Sie müs-
se physisch stärker werden. Sie müsse ler-
nen, wie ein Spitzenathlet zu leben, zu
denken, zu fühlen. Sie müsse ihre Ernäh-
rung weiter verbessern, ihre Renntaktik,
ihren Laufstil, einfach alles.
Klosterhalfen ist im NOP der Azubi. Sie
ist die erste deutsche Athletin, die es in das
elitäre Laufteam des Sportartikelherstellers


geschafft hat. Sie schwärmt von ihrem
neuen Leben, den Kollegen, den Trainern,
dem »Spirit«, der im Team herrsche. Im
Kraftraum auf dem Campus stehen die
modernsten Trainingsgeräte, es gibt ein
Unterwasserlaufband, Kältetherapie zur
Regeneration der Muskulatur.
Manche Athleten wohnen in Apart-
ments, in denen über ein Filtersystem der
Sauerstoffanteil in der Atemluft reduziert
werden kann. Durch dieses Verfahren wer-
den Hypoxiebedingungen wie in großer
Höhe simuliert, die dazu führen sollen,
dass der Körper mehr rote Blutkörperchen
produziert. Vielleicht, sagt Klosterhalfen,
sei das alles Hokuspokus. Aber auch sie
schlafe jetzt manchmal in ihrem Apart-
ment in einem Zelt unter Hypoxiebedin-
gungen. Das sei eben der Ansatz im NOP:

alle Möglichkeiten ausschöpfen, keinen
Weg ausschließen, Grenzen ausloten.
Der Anti-Doping-Experte Sörgel findet,
die Leistungssteigerungen Klosterhalfens
in diesem Sommer seien »enorm«, man
könne deshalb kein Doping ableiten, aber
dieses NOP sei ihm einfach nicht geheuer.
Für den Professor aus Franken ist das Kon-
zernlauflabor in Portland ein »geheimnis-
voller Maschinenraum«, in dem Trainer
und Athleten einen »Optimierungswahn«
auslebten. Sörgel nennt Klosterhalfen »ein
Persönchen«, er findet sie sehr dünn. Er
sagt: »Bei ihr geht die Optimierung offen-
bar bis auf die Knochen.«
In der Leichtathletikszene gilt das
Sprichwort, »vorn laufen die Bleistifte«,
aber über Klosterhalfen (die 1,74 Meter
groß ist und 48 Kilogramm schwer) kur-
sieren Gerüchte, sie sei magersüchtig. Die-
ses Gerede, sagt sie, gebe es, seitdem sie
Leistungssport betreibe, »weil ich eben

immer schon groß und schlank war. Aber
wenn man nicht genug isst, hätte man ja
gar nicht die Energie, um auf einem so
hohen Niveau Sport zu machen oder nach
einer hohen Belastung schnell zu regene-
rieren. Das würde nicht funktionieren.«
Klosterhalfen weicht in einem Gespräch
keiner Frage aus. Sie habe keine Ausnahme -
genehmigung für Arzneimittel, die auf der
Verbotsliste stehen, etwa für Asthmaspray,
das von erstaunlich vielen Leistungssport-
lern verwendet wird. Wie steht sie zu Nah-
rungsergänzungsmitteln? »Ich versuche, so
wenig wie möglich Chemisches zu mir zu
nehmen. Ich probiere, mich über die täg -
liche Nahrung ausgewogen zu versorgen.
Eisen und Vitamin D zum Beispiel aber
können hilfreich sein. Das ist ja auch nicht
schlecht für die Gesundheit.«
Am Abend im Hotel in St. Moritz hat
sie mal keine Trainingshose an, sondern
eine Jeans mit modisch zerschlissenen
Knien. Klosterhalfen erzählt von einem
Dopingtest am Vortag. Sie wird von der
Nationalen Anti Doping Agentur (Nada)
in Bonn überwacht, der Kontrolleur habe
Blut und Urin eingesammelt. Sie habe et-
liche Tests in diesem Jahr gehabt. Auch in
Portland seien Leute von der Nada aufge-
taucht. Sie begrüße die Kontrollen, so kön-
ne sie beweisen, dass sie sauber sei.
Klosterhalfen redet mit Leichtigkeit
über das bleischwere Thema Doping. Man
hat das bei deutschen Spitzenathletinnen
in der Vergangenheit schon anders erlebt.
Sie sei gut aufgeklärt worden vom Ver-
band, sagt Klosterhalfen, »ich bin eine
mündige Sportlerin«.
Der Sportmediziner Perikles Simon,
einer der hartnäckigsten Kritiker des Spit-
zensports, vertritt in der Diskussion über
Klosterhalfen eine andere Meinung als
sein Kollege Sörgel. Simon findet es
»lächerlich«, die Läuferin für ihren Auf-
enthalt in Portland anzuprangern. Er
wählt einen Vergleich aus dem Fußball:
»Ein Spieler hat die Chance aus der zwei-
ten Bundesliga zu Manchester City zu
wechseln. Soll er das Angebot ablehnen,
weil der Verein mal gegen das Financial
Fair Play verstoßen hat?«
Für Simon zeigt der Fall eher die Defi-
zite in der deutschen Leichtathletik auf.
Das klamme Fördersystem ermögliche es
Athleten kaum, sich allein auf den Sport
zu konzentrieren. »Und vielleicht wird in
Portland auch schlicht intelligenter trai-
niert als in unseren Stützpunkten.«
Simon fragt: »Warum muss Konstanze
Klosterhalfen so einen Shitstorm ertragen?«
Die Läuferin sagt, sie komme schon klar.
Es mache sie manchmal traurig, wenn
nach einer guten Laufzeit wieder Experten
die Stirn runzelten, »aber eigentlich lasse
ich das alles an mir abprallen«.
Gerhard Pfeil

104 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

Sport

AXEL KOHRING / PICTURE ALLIANCE
Athletin Klosterhalfen, Konkurrentinnen im September in Brüssel: »Sie ist halb komplett«
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