DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 131
Kultur
B
enjamin Netanyahu gratulierte seinen Agenten. Mutig
und entschlossen sei die Operation gewesen, kommen-
tierte der israelische Premierminister im Sommer 2018
zufrieden. Keine Pläne zum Angriff auf Israel hatte der
Mossad vereitelt, keine Staatsgeheimnisse einer fremden
Macht aufgetan, nur eine alte Armbanduhr gefunden. Mehr
als 50 Jahre lang war sie in Syrien verschollen gewesen: die
Uhr von Eli Cohen.
Anfang der Sechzigerjahre sah sich Israel von Feinden
umzingelt. Immer wieder griffen Kämpfer aus den ara -
bischen Nachbarstaaten an, attackierten
israelische Siedlungen. Auf den Golan -
höhen verschanzte sich die syrische Ar-
mee. Drohte ein Krieg? Die Israelis brauch-
ten dringend Informationen, möglichst
direkt aus der Führungsspitze des Gegners.
Sie brauchten einen Mann in Damaskus.
Dieser Mann war Eli Cohen.
Unter dem Namen Kamil Amin Thabit,
getarnt als heimgekehrter syrischer Ge-
schäftsmann, schlich er sich ins Vertrauen
hochrangiger Politiker und Militärs. Seine
Wohnung war Schauplatz wilder Partys,
auf denen er seinen betrunkenen Gästen
Geheimnisse entlockte. Von dort funkte
er seine Erkenntnisse codiert in die Heimat,
und dort wurde er schließlich auch beim
Absetzen einer Botschaft erwischt und
festgenommen. Nach Wochen der Folter
und nach vergeblichen Versuchen, ihn
freizubekommen, wurde Eli Cohen am
- Mai 1965 unter dem Jubel des Publi-
kums auf dem Märtyrer-Platz in Damaskus
gehängt. Er war 40 Jahre alt. Syrien weigert
sich bis heute, Cohens sterbliche Überreste
freizugeben. Nur seine Uhr kehrte heim.
Die wahre Geschichte des israelischen Topspions, der mit
falscher Identität die syrische Elite unterwanderte, klingt der-
maßen spektakulär, dass man sie für die überzogene Fantasie
eines Thrillerautors halten könnte. Nun ist sie neu verfilmt
worden.
Im Netflix-Sechsteiler »The Spy« spielt Sacha Baron Cohen
seinen spionierenden Namensvetter. Cohen ist bekannt als
komische Figur mit brachialem Humor, weltweit berühmt ge-
worden als falscher Kasache Borat, der durch die US-Provinz
reist und seinen ahnungslosen Gegenübern mit peinlichstem
Verhalten entlarvende Reaktionen entlockt. Cohen, das ist
der Mann, der bei der Verleihung der MTV Movie Awards
2009 in der Rolle des schwulen Fashionmoderators Brüno
von der Decke schwebte und mit seinem Gesäß im Gesicht
des Rappers Eminem landete. Dieser vulgäre Komiker in
der Rolle des israelischen Nationalhelden Eli Cohen, nach
dem in Israel Straßen benannt worden sind? Eine geniale
Besetzung.
In »The Spy« gibt es wahrlich wenig zu lachen, und doch
ist Sacha Baron Cohen hier ganz in seinem Metier. Gleicht
seine bekannte Vorgehensweise doch verblüffend jener
der historischen Figur: Beide Cohens begeben sich voll -
ständig in eine künstliche Identität, infiltrieren ihr Ziel,
wiegen ihre Umgebung in falscher Sicherheit und bringen
Ahnungslose dazu, entlarvende Informationen preiszu -
geben.
Sacha Baron Cohen fügt seinem bisherigen Spiel mit
»The Spy« eine Ebene hinzu: Diesmal erleben wir ihn
nicht nur in der Rolle des Infiltrators, sondern auch in der
Rolle desjenigen, der in diese Rolle schlüpft. Zunächst wirkt
sein Eli verun sichert und kann die echten Erinnerungen
kaum loslassen, zunehmend findet er jedoch Gefallen am
mondänen Leben des Kamil. Schließlich träumt er seine
Träume.
Allein der Kinofilm »Borat« hat über eine Viertelmilliarde
US-Dollar eingespielt. Sacha Baron Cohen muss schon lange
nur noch das machen, worauf er Lust hat. Nun hatte er offen -
bar Lust darauf, sich als ernsthafter Schauspieler zu ver -
suchen. Es gelingt ihm hervorragend. Wie in jeder seiner Rol-
len verwandelt sich Cohen mit Haut und Haar, diesmal in
den ehrgeizigen Spion, der bald nicht mehr unterscheiden
kann zwischen dem echten und dem falschen Leben. In re-
duzierten, wie ausgeblichenen Farben gefilmt, ist »The Spy«
über weite Strecken ein Kammerspiel, das sich ganz auf die
einsame Verlorenheit seiner Hauptfiguren konzentriert.
Daheim in Israel leidet Elis alleinerziehende Ehefrau Nadia
(Hadar Ratzon Rotem) unter der monatelangen Abwesenheit
des Gatten, erst spät die wahren Gründe seiner Geheimnis-
tuerei ahnend.
Obwohl das schreckliche Ende von der ersten Minute an
klar ist, bleibt »The Spy« durchgängig spannend. Wiederholt
bestaunt man ungläubig die Dreistigkeit, mit der Cohen seine
Gegner manipuliert. Nach einem Truppenbesuch auf den
Golanhöhen überzeugt der angebliche Patriot die Syrer,
einige Eukalyptusbäume zu pflanzen, damit die armen
Soldaten etwas Schatten bekommen.
Die Bäume markieren später die syrischen Stellungen und
tragen bei zum schnellen Sieg der Israelis im Sechstagekrieg.
Stefan Kuzmany
Unser Mann in
Damaskus
SerienkritikSacha Baron Cohen spielt in der
Netflix-Produktion »The Spy« den israelischen
Topspion Eli Cohen. Eine geniale Besetzung.
AXEL DECIS / NETFLIX
Hauptdarsteller Cohen (2. v. r.): Gefallen am mondänen Leben