Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

5000 Wohnungen stünden leer. Dann ka-
men, zu seinem Glück, die Flüchtlinge. Sie-
ben Frührentner beschäftigt Hauck heute,
weil die Flüchtlinge oft Hilfe brauchen mit
den Maschinen.
Es gibt ja keine Arbeit. Es gibt ja keine
Arbeit,hatten die Leute damals gesagt,
während sie auf ihre Wäsche starrten.
Julian Sobanski, 25, kurz geschorene Haa-
re, Tattoos, raucht draußen in der Sonne
und lächelt. Seine Wäsche dreht sich in den
Maschinen 26 und 27. Er zieht gerade um,
von der Einzimmerwohnung in drei Zimmer,
70 Quadratmeter. Was sich verändert hat?
»Es gibt kein ›arbeitslos‹ mehr. Wenn ich
einen Job brauche, rufe ich irgendwo an und
hab morgen einen neuen«, sagt er. Sobanski
verlegt Rohrleitungen, Wasser, Gas, Strom,
Fernwärme. 2200 Euro netto, sagt er, ver-
diene er im Monat als Vorarbeiter.
Läuft es in Deutschland?
»Läuft bei mir«, sagt er. Das habe mit
dem Land nichts zu tun.


Blau-Weiß
Die B 3 zieht sich durch Marburg weiter
Richtung Butzbach. Vor 15 Jahren wurden
jede Menge Kreisverkehre gebaut, die sind
jetzt fertig. Kreisel, mit Agaven bepflanzt,
besetzt mit Gänsen aus Beton oder Bau-
schaumkunst. Im Kreisel findet der Deut-
sche zu sich selbst: Man ist in Bewegung,
ohne dass es recht vorangeht.

In Butzbach: Kreisel 1, Kreisel 2, Krei-
sel 3, weiter bis an die Stelle, an der früher
mal die Tankstelle von Siegfried Schunk,
67, stand, im Ortsteil Nieder-Weisel.
Schunk träumtevon einem Rasthaus mit
30-Grad-Dach, portugiesisches Flair, Meer-
blau mit Weiß.
Was geblieben ist: eine einzelne Zapf-
säule an der Straße, dahinter das Haus,
das Dach noch immer flach, die Wand in
Schwammtechnik orange getupft.
Schunk sitzt im Kurzarmhemd im Ven-
tilatorwind, im Schatten hinter Rollläden,
die Wand hinter ihm ist tatsächlich blau
mit weiß, fast meerblau, fast portugiesisch.
Zunächst hatte er es noch mit einem Zu-
satzgeschäft versucht, Biergarten, Eisbe-
cher, dann, das war 2014, als seine Strom-
kosten nur für Getränke 800 Euro im Mo-
nat betrugen, sah er ein, dass er mit seiner
privaten Tankstelle gegen die großen Be-
treiber keine Chance hatte.
Schunk kündigte seinen Mitarbeitern
und richtete ein geräumiges Versiche-
rungsbüro ein, mit Jura-Kaffeevollauto-
maten und einer kleinen Deutschland -
flagge neben dem Computer. Die eine
Zapfsäule ließ er stehen, automatisierte
sie im 24-Stunden-Modus, heute verdient
er damit mehr als früher mit der ganzen
Anlage.
Und die Flüchtlinge? Beim Thema Asy-
lanten war er damals in Rage geraten, da-

68 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

Fautenbach, Baden-Württemberg
Andrea Glaser an der B 3

bei gab es, im Vergleich zum Jahr 2016
etwa, kaum welche.
»Die Flüchtlinge?«, wiederholt Schunk.
»Wir haben in Butzbach 307 davon.«
307?
»Ja, weiß ich genau, weil ich Zeitung
lese und verfolge, was die Flüchtlinge so
machen«, sagt er. »Sie gehen nicht zum
Deutsch kurs, sind frech und verjubeln ihr
Geld. Auf der anderen Seite«, sagt er, »le-
ben alte Leute im Ort, die nicht genug
Geld haben und neuerdings noch ihre Ren-
te versteuern müssen.«
Er nennt diese Menschen Urbewohner,
für Schunk sind das alle, die von jeher in
Deutschland leben und arbeiten, ihn ein-
geschlossen. Für die Ureinwohner werde
nichts mehr gemacht, sagt er. Schunk hat
früher SPD gewählt, längst fühlt er sich
von seiner Partei nicht mehr beschützt.
Was er heute wählt?
»AfD«, sagt Siegfried Schunk. »Ich wäh-
le sie, seit es sie gibt.«

Weinberge
Die B 3 erstreckt sich weiter bis nach Leu-
tershausen, nördlich von Heidelberg, wo
der attraktivste Junggeselle des Orteslebte,
Hermann Bletzer, damals 67 Jahre alt.
»Der Bletzer ist noch zu haben«, hatte
sein Freund Max Hilarius Göhrig, 69, ge-
sagt. Sie waren Landwirte und Winzer und
saßen zusammen unter Bäumen und hat-
ten Zeit.
Wo sind die beiden?
»Nicht mehr da«, sagt Peter Haas, der
in rotem T-Shirt und mit braun gesonntem
Kopf aus kleinen, freundlichen Augen
schaut. »Beide tot, seit fünf, sechs Jahren.«
Sie und Haas waren etwa ein Jahrgang.
Haas hat seine Hänge oberhalb seines
Hauses in Schriesheim, schon der Vater war
Winzer, eine Kindheit im Weinberg. Mitt-
lerweile erntet er, weil es so warm gewor-
den ist, schon Ende August. »Von der Son-
ne haben wir es hier jetzt wie im Burgund.«
Fünf Hektar Weinberge besitzt er, roten
und weißen Burgunder, Müller-Thurgau,
Saint Laurent, und wenn er jetzt zwischen
den Reben steht und das Unkraut weg-
spritzt mit dem Glyphosat, bleiben Leute
stehen und schütteln den Kopf. Sie bezeich-
nen ihn als »Giftspritzer«, und neulich, als
er im Wirtshaus saß, wollte eine Frau, dass
er gegen Glyphosat unterschreibt. Das gab
es noch nie. Er brauche das Mittel, sagt
Haas, es vernichtet das Unkraut, an den
Hängen könne man nicht pflügen, weil
sonst alles absacke. »Wissen Sie«, sagt
Haas, »man schuftet seit Jahrzehnten, ver-
dient nicht viel, und plötzlich macht die
Politik einen zum Verbrecher.«

Freundinnen
Weiter in Richtung Fautenbach, durch
Rastatt, vorbei an Lidl, Edeka, Burger-
King, Matratzen-Concord, typisches Aus-
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