Und sie findet fast dieselben Begriffe, wie sie in den Akten des
parlamentarischen Untersuchungsausschusses vor vierzehn Jahren standen:
[...] hat die Regierung Berlusconi angeklagt, die Hilfszahlungen für
die armen Länder in staatliche Hilfszahlungen für italienische
Unternehmungen umgewandelt zu haben [...] auch aufgrund des
Desinteresses der italienischen Medien an dem Fall.
Artikelüberschrift: Die äthiopische Kolonie.
Der Signalton ihres Handys reißt Ilaria aus den Gedanken.
Eine SMS. ICH MUSS MIT DIR REDEN. KANN ICH
VORBEIKOMMEN?
Piero. Der Mann, den sie bis vor drei Tagen als den größten Widerspruch
ihres Lebens betrachtet hat. Wie lange das her ist und wie naiv sie war!
Ihr Nacken schmerzt. Seit einer Stunde sitzt sie reglos auf dem Stuhl. Sie
schaut auf, sieht gerade noch den Rest eines vorüberfliegenden Flugzeugs in
ihrem Fensterrechteck.
Wieder ein Klingelton, diesmal an der Wohnungstür.
Ilaria macht auf, der Junge steht auf dem Treppenabsatz.
»Attilio sagt, essen kommen.«
Aus der gegenüberliegenden Wohnung weht durch die offene Tür ein viel
einladenderer Duft als das übliche Curry der Nachbarn. Daran könnte Ilaria
sich gewöhnen, jeden Abend ein leckeres Essen auf dem Tisch. Schade, dass
die beiden übermorgen schon abreisen.
Bevor sie hinübergeht, liest sie noch einmal die SMS. Ein Seufzen
entfährt ihr, fast schon ein Stöhnen. Das Auftauchen des Jungen ist
vergleichbar mit dem eines verrückt gewordenen Umzugshelfers. Er hat vor
ihrer Wohnungstür einen riesigen Berg durcheinandergewürfelter Sachen
abgeladen, darunter vielleicht auch ein paar Knallkörper, und sie dann allein
zurückgelassen, um alles zu sortieren. Nein, für Piero hat sie im Moment
eindeutig keinen Raum. Sie spürt das dringende Bedürfnis, ihn auf Distanz zu
halten.
Sie tippt: ICH KANN HEUTE NICHT. BIN NICHT ALLEIN.
berli17