der Libyschen Akademie sitzen nun Mädchen, deren Tarife und Talente
weiter auseinanderliegen als Kiew und Zagarolo.
In der E-Mail, in der Datum, Uhrzeit und Kleiderordnung für den Auftrag
mitgeteilt wurden (weißes, zugeknöpftes Kleid, durch das die Brüste nicht zu
sehen sind, sachlicher, knielanger Rock, keine Pfennigabsätze), wurde die
Identität des Auftraggebers nicht enthüllt, sondern lediglich als »sehr
namhaft« beschrieben. Als Einzige waren die rund zwanzig Mädchen
informiert, die vor ein paar Monaten nach Libyen eingeladen worden waren
und nun in der ersten Reihe saßen, um den Hals die Kette mit dem Anhänger
aus massivem Gold und einem Emailleporträt des Oberst. Eine Auszeichnung
für die Freundschaft, die sie während ihres Aufenthalts den mehr oder
weniger jungen libyschen Männern erwiesen haben, denen sie vorgestellt
wurden. In dieser süßen Stunde der Versöhnung zwischen zwei ehemals
verfeindeten Ländern, was konnte es da Besseres geben als die Liebe, um den
Frieden zwischen den Völkern zu besiegeln?
Der Libyer – so nennen ihn die Mädchen mit hochachtungsvollem
Tonfall – sitzt in einem Ledersessel auf der Bühne des Auditoriums.
Zwischen ihm und der ersten Reihe mehrere Meter Platz. Er zwinkert mit den
Augen, als hätte er Bindehautentzündung, doch er ist bloß müde. Trotz seiner
tiefschwarz gefärbten Haare spürt er allmählich die Last seiner fast siebzig
Jahre. Manchmal wird seine Heerführer-Rhetorik durch eine Art
Altersnuscheln unterbrochen, als würde ein schmutziger Lappen ihm die
Kehle verstopfen. Der Dolmetscher ist ein kleiner Mann im schwarzen
Zweireiher von der Stange mit einem kompakten grauen Haarhelm, der
aussieht wie aus Aluminium. Der Oberst nickt feierlich zu den
fremdsprachigen Worten, die seine große Weisheit weitertragen.
Als die Mädchen den Saal betraten, bekam jede ein dickes dunkelblaues
Buch ausgehändigt, mit goldenen Lettern auf dem Einband: Der ruhmreiche
Koran. Schwer und in Kunstleder gebunden, treibt es bei der Hitze den
Schweiß in die Handflächen. Seit drei Stunden sitzen die Mädchen nun schon
dort, ohne etwas zu trinken zu bekommen. Eine von ihnen ohne Stuhl fühlt
sich schwach und legt einen Moment das Buch auf den Boden. Sie wird
sofort wegen Profanierung des Saales verwiesen.
Als der Libyer seine Rede beendet hat – zumindest fürs Erste –, sollen
Fragen gestellt werden. Die Mädchen dürfen sie auf kleine Zettel schreiben,
von denen der Dolmetscher ihm die Übersetzung ins Ohr flüstert, woraufhin
jeff_l
(Jeff_L)
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