menschlichen Geistes teilte, zog sich ein letztes Mal zusammen. Und so, wie
im Herzen der Weiche alle Direktiven ersterben, erlosch auch der
Eisenbahner Ernani Profeti.
In den folgenden Jahren hielt sich Attilio an das Versprechen, das er sich bei
der Beerdigung Rodolfo Grazianis gegeben hatte, nie mehr an die Jahre
seiner Jugend zu denken.
Er hielt es 1960, als ein barfüßiger Äthiopier in Rom den Marathon
gewann, der Bikila mit Nachnamen hieß und das einzige amharische Wort
zum Vornamen hatte, dessen Bedeutung Attilio kannte – Blume.
Er hielt den Mund und wurde auch nicht nach seiner Meinung gefragt, als
der Journalist Angelo Del Boca in einem Essay nachwies, dass während der
Besatzung Äthiopiens Bisthioether eingesetzt worden war, auch Yperit oder
Senfgas genannt. Woraufhin ein anderer berühmter Journalist, Indro
Montanelli, ihn der Lüge bezichtigte, weil er in Abessinien gewesen war und
weit und breit kein Giftgas gesehen habe. Und fast alle glaubten Letzterem,
denn wem soll man glauben, wenn nicht dem, der als direkter Zeuge dabei
war? Nur einmal murmelte Casati nach der Lektüre eines der vielen Artikel
über den Streit mit seinem gewohnten Fangeisen-Lächeln: »Ach was, wir
beide wissen doch, dass es Lepra war« – worauf Attilio ihm nicht antwortete.
Attilio dachte auch nicht an das genetische Erbe, das er in Äthiopien
gelassen hatte, als Haile Selassie zum ersten Mal seit den zwanziger Jahren
auf Staatsbesuch nach Rom kam und der Ehrenzug entlang der römischen
Sehenswürdigkeiten am Circus Maximus jäh umgeleitet werden musste, weil
gerade noch rechtzeitig aufgefallen war, dass sie gleich den nicht
zurückerstatteten Obelisken von Aksum passieren würden. So sah der Kaiser
weder das Kolosseum noch das Forum Romanum, sondern besuchte
Garbatella, Ostiense, Testaccio und andere schöne Wohnviertel.
Attilio wandte seine Gedanken erst wieder dem Horn von Afrika zu, als
in einem gewöhnlichen Briefumschlag mit dem Absender von Carbones
Autowerkstatt ein Foto des lächelnden Ietmgeta Attilaprofeti in Mantel und
Doktorhut des Jungakademikers lag. Und an einem Tag im Mai 1968 – er
war mittlerweile über fünfzig –, als er in den Nachrichten die Sprechchöre
der Pariser Jugend hörte, die ihm in unangemessener Klarheit die Leichen,
Feuersbrünste, Trümmer und vor allem den Geruch nach verbranntem
Eukalyptusholz in Erinnerung rief. Warum nur sangen diese Studenten