überstellt wurden und Prisoners of War (POW) waren, zumindest nicht ganz
rechtlos laut Genfer Konvention.
Manchmal warfen die Matrosen einen ihrer wunderbaren Reichtümer
unter die dreckstarrende Meute: einen Schokoriegel, eine Schachtel
Zigaretten, eine Packung dieser harzigen Streifen, die man stundenlang im
Mund behalten konnte. Die italienischen POWs stürzten sich ohne Ansehen
des Rangs darauf wie Ertrinkende auf den letzten Rettungsring, traten, bissen
und schlugen sich, bis der unerfreulich winzige Schatz in einer Tasche
verschwand. Viel mehr als alles andere war dies für Otello der schwerste
Verlust, den die Gefangenschaft mit sich brachte: der Verlust der Würde. In
diesen Momenten bedauerte er, dass er nicht in der Schlacht gefallen war.
Sterben, aber wenigstens ehrenvoll. Erst als das Schiff im Hafen von New
York einlief, war er wieder glücklich, am Leben zu sein. Und sei es nur, weil
er sich nie hätte vorstellen können, eines Tages mit eigenen Augen die Welt
der Zukunft zu erblicken.
Nichts in den Vereinigten Staaten war so, wie die faschistische
Propaganda es ihnen erzählt hatte. Weder waren die Amerikanerinnen
allesamt geschminkte Verführerinnen, die halbnackt und hüftwackelnd durch
die Straßen liefen; die erwachsenen Männer, die man sah (nur wenige wegen
des Krieges), hingen nicht torkelnd an der Flasche; es gab keine Milliardäre
mit Zylinder, Goldmonokel und grotesk krummer Judennase, die aus Angst,
in eine Pfütze zu treten, mit gekrümmten Sklavenrücken herumliefen.
Natürlich hatte Otello diese karikaturenhaften Darstellungen der verwöhnten
amerikanischen Geldherrschaft nie so ganz geglaubt, doch nach fast
zehnjähriger Zensur von Büchern und Filmen aus der Neuen Welt hatte er
sich auch kein anderes Bild machen können.
Alles war zum Staunen, so empfanden es die Migranten seit Jahrzehnten,
die aus Lama Polesine, Casarsa, Mussomeli oder Roccamontepiano in Ellis
Island anlandeten. Die Straßen, in denen zu jeder Tageszeit mehr
Privatautomobile unterwegs waren, als es in ganz Lugo oder sogar Bologna
überhaupt gab; die Freiheitsstatue, die dem Betrachter Demut, Bestürzung
und Freude zugleich einflößte; die Wolkenkratzer, bei deren Anblick Otello
ganze Nächte auszurechnen versuchte (im Kopf, denn Stift und Papier waren
den Häftlingen noch nicht ausgehändigt worden), wie viel Tragkraft der
verwendete Stahl haben musste. Doch ausschlaggebend waren am Ende, nach
fast drei Jahren der kargen, mit Sand gewürzten Nahrungsrationen, die nie
jeff_l
(Jeff_L)
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