Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

löste in ihm ein vages Unbehagen aus, das er für den Rest des Abendessens
nicht mehr los wurde.
Als sie die Hütte durch die niedrige Tür verließen, um in ihre Lager
zurückzugehen, lehnten die jungen Frauen immer noch nebeneinander auf der
Erde und schliefen. Der Resident wartete, bis seine Gäste sich entfernt hatten,
und rüttelte sie dann an den Schultern wach. Mit schläfrigen Augen erhoben
sich die drei und folgten ihm in die Hütte.
Cipriani, Bertoldi und Attilio gingen durch die raschelnde Dunkelheit
zurück zu ihren Zelten. Der Anthropologe schüttelte angewidert den Kopf.
»Auf diese Weise werden wir Italiener nicht lange in Frieden regieren«,
sagte er.
Attilio dachte an die vier erhängten Männer, die vielleicht nicht einmal
Rebellen gewesen waren, an den Geruch ihrer verwesenden Leichen. Und
gab ihm Recht. Er hatte nicht dafür gekämpft, Afrika mit Gewalt und Willkür
zu überziehen, sondern für eine höhere Zivilisation, gerecht und großherzig.
Doch dann merkte er, dass er Cipriani missverstanden hatte, als dieser ohne
sich umzudrehen mit dem Daumen über seine Schulter wies, wo die drei
jungen Frauen gerade in der Hütte des Residenten verschwunden waren: »Sie
verlangen Respekt, können es aber nicht lassen, an ihren Flittchen
herumzuschnüffeln.«
Attilio sah forschend in das Gesicht des Anthropologen, doch das war nur
ein dunkler Umriss. Lediglich in seinen dicken Brillengläsern spiegelte sich
ein Lichtstrahl von einem unbekannten, fernen Stern, während der süßliche
Geruch des toten Fleisches vom Hügel herüberwehte.


Nachdem ihm aus der blutgetränkten weißen Uniform geholfen worden war,
hatte Rodolfo Graziani seiner Frau zugerufen: »Sie darf nicht gewaschen
werden!« und war in Ohnmacht gefallen.
Als er im Krankenhaus erwachte, verspürte er einen Schmerz in der
Leistengegend. Einen reißenden Schmerz, der doch nicht so schlimm war wie
der damit einhergehende Gedanke: »Ich bin kein Mann mehr.« Mühsam
tastete er mit der verbundenen Hand unter die Bettdecke und fand mit
unsagbarer Erleichterung, was er suchte. Sein Glied ruhte, wenn auch
verkrustet von geronnenem Blut, zusammen mit den Hoden wie faules Obst
zwischen Schenkeln und Laken. Langsam war seine Angst aus dem
Brustkorb gewichen, hatte aber eine Schmutzspur wie nach einem

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